Schwundgeld – die Währung der Zukunft?

Sinnvolle Alternativen zu bestehenden Währungssystemen

Diesen Artikel teilen:  
© raum&zeit

Viele mögen es kaum glauben, aber es gibt in Europa nicht nur den Euro. Daneben erobern sich alternative Währungen kleinere Regionen. Regionen, die der herkömmlichen Geldwirtschaft kein Vertrauen mehr schenken. Alfred Schmidt gibt einen interessanten Einblick in die alternativen W&aum...
Weiter lesen

Schwundgeld – die Währung der Zukunft?
Von Alfred Thomas Schmidt, Wiesbaden – raum&zeit newsletter März 2010

Viele mögen es kaum glauben, aber es gibt in Europa nicht nur den Euro. Daneben erobern sich alternative Währungen kleinere Regionen. Regionen, die der herkömmlichen Geldwirtschaft kein Vertrauen mehr schenken. Alfred Schmidt gibt einen interessanten Einblick in die alternativen Währungssysteme.

Die Hoheit des Geldes

Das Währungsmonopol ist praktisch mit dem Staat identisch. Wohl alle Staaten haben sich die Hoheit über das Geld als erstes gesichert. Damit sicherten sie sich auch die Macht, Geld zu drucken, seinen Nachdruck durch Unbefugte unter schwere Strafen zu stellen und seinen Wert zu verändern. In der Währungsgeschichte gibt es viele Beispiele dafür, wie eine daniederliegende Wirtschaft rasch durch ein alternatives, privat emittiertes „Bürgergeld“ angekurbelt werden und genesen konnte. So etwa, wenn staatliche Hilfsprogramme versagten, oder überhaupt kein Geld mehr vorhanden war. Sei es durch (Hyper-)Inflation, durch Bankrotte oder wegen einer nicht adäquat sozial abgefederten Massenarbeitslosigkeit.

Bürgergeld als Ausweg aus der Krise

In solchen Perioden haben sich die Menschen immer wieder zu lokalen Vereinigungen und Sozietäten zusammengeschlossen, um wieder einen schnellen Start des ökonomischen Zusammenlebens zu ermöglichen. All diesen Situationen gemein war, dass sich das Geld zuvor in den Händen Weniger anhäufte. Somit stand es dem Kreislauf der Wirtschaft nicht mehr zur Verfügung, sei es durch zu hohe Zinsen oder fehlende Bonität der Wirtschaftsteilnehmer („credit-crunch“).

Der einzige „Kredit“, den Arbeitnehmer dann noch haben, ist ihre Arbeitskraft, also die Fähigkeit, Leistungen für die Gesellschaft zu erbringen. Dafür wird natürlich auch in Notzeiten eine Verrechnungseinheit, eine Währung benötigt, damit der Metzger nicht mit einem Schwein zum Autohändler laufen mus, und die beiden nicht über den Kurs der Waren feilschen müssen. Denn der Austausch von Gütern muss auch in Notzeiten geregelt werden.

Das Experiment von Wörgl

Eines der berühmtesten Experimente mit einem derartigen Notgeld fand in den dreißiger Jahren in der österreichischen Gemeinde Wörgl statt, welches als „Experiment von Wörgl“ in die monetäre Historie Eingang gefunden hat. Wie Wörgl damals waren viele Städte und Gemeinden ausgeblutet, und die Zentralbank gab kein frisches Geld heraus. Da führte das kleine Wörgl eine sensationelle Neuerung ein: Das Wörgler Notgeld, ein an den Lehren Silvio Gesells angelehntes „Schwundgeld“.

Darunter muss man sich eine privat geschaffene, vorerst nur lokal, also sehr begrenzt umlauffähige, Währung vorstellen. Deren interessantestes Merkmal ist, dass sie in der Regel weder Zinsen trägt, noch andere zur „Zinsknechtschaft“ verpflichtet. In einem solchen Solidaritätssystem kann also niemand, und dies war eine der wichtigsten und revolutionärsten Intentionen des Erfinders, Herr oder Sklave werden. Entscheidend für die Entwicklung war, dass der Staat vorher versagt hatte, und es ihm in schweren Krisenzeiten unmöglich war, alle Regionen monetär wieder in den Griff zu kriegen. Somit war die Erfindungsgabe der Menschen gefragt, womit sich gleichzeitig bestätigt, dass Not erfinderisch macht.

Wer Schwundgeld hortet verliert Geld

Diese Art Alternativgeld, und das ist ebenfalls ein weiterer wichtiger Aspekt, ist nicht akkumulierbar. Tatsächlich verliert sie sogar jedes Jahr automatisch an Wert, wenn es nicht sofort weitergegeben, also ausgegeben wird. Nach Silvio Gesell muss das Geld „kursieren, immer wieder kursieren und zirkulieren, möglichst rasch“. Auch können Banken das Geld nicht erwerben und durch Anhäufung den Wirtschaftsteilnehmern vorenthalten. Denn Banken gelten nicht als Mitglieder der Sozietät, ihre Anwesenheit als unerwünscht. Schließlich waren auch sie es gewesen, die die vorangegangene Katastrophe ausgelöst haben. Aber auch die Mitglieder können das Geld nicht akkumulieren und horten. Milliardäre und Millionäre gibt es in einem solchen Alternativsystem nicht, wohl aber Unterschiede in den Besitztümern.

Wie erreicht man, dass das Geld möglichst schnell ausgegeben wird, heilsam zirkuliert und nicht der Hortung anheimfällt? Indem der einzige Zins, den das Geld einbringt, ein „negativer Zins“, ein Strafzins ist. Beim Wörgler Experiment wurde das mit Rabattmarken erreicht. Monatlich musste eine Marke zu einem Prozent des Nennwerts des Scheins gekauft und in ein dafür vorgesehenes Feld auf der Vorderseite des Geldscheins geklebt werden, um seine Gültigkeit zu erhalten. Daraus bezieht die Währung ihre ökonomische Stärke: Es ist unvernünftig, sie zu horten, weil sich der Besitzer dadurch selbst schadet. Somit bleibt das Geld im Kreislauf, zirkuliert, was wichtig ist, ohne Stockungen und steht dem monetären „Pool“ der Gemeinschaft relativ schnell zur Verfügung. Letzteres bedeutet eine hohe Liquidität der Gemeinschaft. 

Anders als im herkömmlichen System können sich keine Banken oder Gläubiger exorbitante Außenstände verschaffen, die Menschen über die Zinserwirtschaftung zur „Knechtschaft“ zwingen. Sie können auch nicht andere in den Ruin treiben, indem sie ihnen dringend benötigtes Geld vorenthalten.

Pleitewelle durch falsche Geldpolitik

Im herkömmlichen System gibt es immer wieder gefürchtete Pleitewellen, wenn und weil die Wirtschaftsteilnehmer oft nicht einmal mehr in der Lage sind, mit ihren Gewinnen den geschuldeten Zins zu erwirtschaften. Wenn sie denn noch Gewinne erwirtschaften. In einer Deflation wird ja gerade derjenige Zeitraum gefährlich geringer, in dem die Unternehmen Geld einfahren müssen, um nicht illiquide zu werden. Dies ist auch in der jetzigen Krise der Fall, trotz relativ niedriger Diskontsätze. (Der Diskontsatz ist der Zinssatz, den Banken zahlen, wenn sie an die Zentralbank Wechsel verkaufen, um sich Liquidität zu verschaffen.) Warum nur?

Das wiederum liegt zum einen daran, dass die Banken extreme Anforderungen an die Bonität stellen, unter der nicht nur mittelständische Unternehmen zu leiden haben. Banken leihen sich zu günstigen Konditionen Geld von der Zentralbank. Da aber die Ausfallrate dramatisch steigt, ist die Diskrepanz zwischen Diskont und Sollzins für den einzelnen Kreditnehmer oft unverhältnismäßig hoch. Daher fällt er oft bei der Bonitätsprüfung durch. In den USA leihen sich deshalb immer mehr Teilnehmer privat Geld.

Zum anderen liegt es an der rigiden Verleihpraxis der in solchen Phasen immer unbeliebteren Banken. Sie kann soweit gehen, dass Betriebe regelrecht in die Pleite getrieben werden, die eigentlich gar nicht bankrott gehen müssten, wenn es mit rechten Dingen zuginge. Aber immer mehr Menschen haben eben das Gefühl, dass es an diesen rechten Dingen, an Fairness im System, hapert. Dass Banken gerne Regenschirme bei Sonnenschein verleihen, sie aber ausgerechnet bei Regen wieder zurückfordern, ist ein berühmtes bonmot aus der Geld- und Kreditszene.

Teufelskreis Inflation und Deflation

Es handelt sich um einen klassischen Teufelskreis, dem die Zentralbanken immer wieder mit Liquiditätsschwemmen entgegnen, was aber nur zu noch größeren Verwerfungen führen muss. Insoweit haben wir sogar Inflation und Deflation gleichzeitig, die Inflation wird nur kaschiert und hinausgezögert, die Deflation langsam aber sicher immer sichtbarer. Das äußert sich darin, dass Preise zurückgehen und Wirtschaftsteilnehmer abwarten, bis diese noch weiter fallen.

Die gigantischen Geldbeträge, die von den Notenbanken in einem Akt der Verzweiflung in das System wie in einen anämischen Blutkreislauf eines moribunden Patienten gepumpt werden, sind zukünftige (gigantische!) Schulden, also aufgestaute, versteckte (Hyper-) Inflation. Der Staat ist zu feige, seinen Bankrott einzugestehen!

Somit hat für lokale Sozietäten oberste Priorität, eine Hortung des Geldes zu verhindern und dessen schnellen Kreislauf zu ermöglichen.

Das versteht jedes Kind, wenn man als Analogie den Blutkreislauf des Menschen heranzieht, in dem es ja auch keinerlei Stockungen beziehungsweise Akkumulationen geben darf, weil er sonst zugrunde geht. Es gilt der klassische griechische Satz: Panta rei, alles fließt!

Doch, ach, der Zins und Zinseszins! Was richtet er nicht alles an im Laufe von Jahrzehnten, gar Jahrhunderten. Wie könnte man ihn also vergessen. Gerade er sorgt nach längerer Existenz eines Währungssystems immer für enorme Turbulenzen.

Immerhin existierte jedoch im Christentum einmal das kanonische Zinsverbot und auch der Islam verbietet interessanterweise bis heute, Zinsen zu nehmen. 

Obwohl also Soll- und Haben-Zinsen für uns selbstverständlich sind, weil wir so gut konditioniert worden sind, hat ein Zins(-nahme) Verbot seine Berechtigung. Denn abgesehen von den enormen Verwerfungen für die das alte Konzept sorgt, wäre nach einer gewissen Zeit alleine aufgrund des Abwartens von Wirtschaftsteilnehmern eine gigantische Kapitalanhäufung möglich, die jegliche Vorstellung sprengt. Der Zinseszinseffekt einer solchen „spekulative Hortung“ ist keineswegs zu unterschätzen. So wäre der berühmte „Pfennig Karls des Großen“, zu einem üblichen Zinssatz angelegt, heute so viel wert, dass sich die Nullen über die ganze Seitenbreite ziehen würden oder das Geld aufgestapelt bis über den Mond hinausreichen würde. Wohlgemerkt: bei einem einzigen Pfennig!

Daher kam es immer wieder und kommt auch immer erneut zu so genannten Crashes des Geld- und Wirtschaftssystems. Auch was wir jetzt sehen, ist im Prinzip ein Crash, er wurde nur durch gigantische Schuldenberge hinausgezögert. Der Knall des Crashes ist sozusagen noch nicht hörbar, aber die Kanonenschnur glimmt schon seit 2000, seit 2008 nun noch rascher!

Gerade Silvio Gesells „Schwundgeld“ sollte uns daher zum Nachdenken anregen, denn es sieht weder Zinsdruck noch Schulden und Kreditzwänge vor. Auch John Maynard Keynes, einer der bedeutensten Ökonomen des letzten Jahrhunderts, hat das Konzept keineswegs als Spinnerei abgetan und seinem Erfinder höchstes Lob zuteil werden lassen.

Schwundgeld im heutigen Deutschland

Es gibt in Deutschland wieder Schwundgeld und es erscheint zum denkbar günstigsten Zeitpunkt, nämlich bevor Wirtschaft und Gemeinwohl kollabieren. So gibt es etwa den „Engel“ in Berlin, den „Roland“ in Bremen, den „Regio“ und den „Chiemgauer“ in Bayern und den „Volmetaler“ in Westfalen. Diese Währungen werden in hoher Qualität gedruckt, woran man nicht vorbeikommt, wenn Geld eine gewisse lokale Gültigkeit, Praktikabilität und natürlich auch Fälschungssicherheit besitzen soll. Wichtiges Kriterium ist, dass ein solches Geld nicht nur im recht „engen“ Kreis der jeweiligen lokalen Gemeinschaft zirkuliert und geschätzt wird. Es muss zudem in möglichst vielen lokalen Geschäften entgegengenommen werden. Denn nur dann handelt es sich um ein Zahlungsmittel, das nach Wunsch genutzt werden kann und zugleich die Region wirtschaftlich stärkt.

Der Autor

Alfred T.Schmidt
freier Autor und Philosoph, beschäftigt sich seit 1999 intensiv mit natürlichen Heilmitteln und Supplementen. Außerdem setzt er sich für amnesty international und attac ein. 2005 erhielt er erste Rundfunkengagements zu den Themen Erhalt der Vitaminfreiheit und soziale Gerechtigkeit.

Artikel "Schwundgeld – die Währung der Zukunft?" online lesen

Klicken Sie auf folgenden Link um den Artikel online zu lesen:

Artikel online lesen
zur Startseite