Hexen und ihre "Flugsalben"

Fantasie oder Realität?

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Am 15.3.1570 sagte die in Quedlinburg unter der Folter vernommene Magdalena Hermes aus, dass sie nach dem Rezept des Satans eine Paste zubereitet hätte. Nachdem sie mit dieser Paste vornehmlich die Scham und die Achselhöhlen eingerieben hatte, verspürte sie bald danach die Kraft, sich vo...
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Hexen und ihre "Flugsalben"
Von Ernst-Albert Meyer, Hessisch Oldendorf – raum&zeit Newsletter 206/2017

Am 15.3.1570 sagte die in Quedlinburg unter der Folter vernommene Magdalena Hermes aus, dass sie nach dem Rezept des Satans eine Paste zubereitet hätte. Nachdem sie mit dieser Paste vornehmlich die Scham und die Achselhöhlen eingerieben hatte, verspürte sie bald danach die Kraft, sich vom Erdboden zu lösen.
So das Protokoll der Inquisition! Gab es Hexensalben wirklich oder waren das die krankhaften Hirngespinste der Inquisitoren und Richter?

Angst vor Hexen und Zauberern

Die meisten Menschen waren im Mittelalter und auch später noch von der leibhaftigen Existenz des Teufels überzeugt. Deshalb fiel es auch dem Klerus nicht schwer, dem Volk einzureden, es gäbe Mitarbeiter des Teufels auf Erden: Hexen und Zauberer. Auf Befehl des Teufels, so predigten die Kirchenvertreter, hätten die Zauberer und Hexen die „Synagoge des Satans“ gegründet. Ihr Ziel sei es, die christliche Kirche und darüber hinaus die ganze christliche Welt zu vernichten. Geschickt wurde nun der Volkszorn auf diese Personengruppe gelenkt. Hexen und Zauberer konnte man für alle Missstände verantwortlich machen: Unwetter, Brände, Krankheiten, Pestepidemien, Missernten, Hungersnöte, Missgeburten, Unfruchtbarkeit, Viehsterben und ungeklärte Verbrechen. Es erhebt sich die Frage, warum vor allem Frauen als Hexen angeklagt und verbrannt wurden?

Frauen als Sündenbock

Hierfür gibt es verschiedene Gründe: In der christlichen Lehre galt die Frau als „unrein“ und gegenüber den Versuchungen des Teufels als besonders anfällig. Das zeigt schon die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies. Hier hatte Eva die „Ur-Sünde“ begangen und jede Frau galt damit als „Gefäß der Sünde“. In den Augen der Kirchenväter benutzten die Frauen den Sex als „heimtückische Waffe“, um Männer in Versuchung zu führen und sie vom rechten Weg abzubringen. Damit war jede Frau von vornherein als Sünderin „abgestempelt“ und sozial entmündigt. Deshalb war das Leben der Frauen in vergangenen Zeiten auch auf Ehe, Familie und Haushalt beschränkt. Und auch hier hatten sie bestimmte Regeln strikt einzuhalten. In Politik und Wirtschaft spielten Frauen dagegen nur selten eine Rolle.
Doch es gab noch weitere Gründe: Seit dem 11. Jahrhundert herrschte ein großer Frauenüberschuss. Die Ursachen dafür sind bis heute nicht geklärt. Arm, allein, unversorgt, am Rande des Existenzminimums dahinvegetierend, von den Mitmenschen verdächtigt, gemieden und teilweise krank, führten viele Frauen ein von Not, Armseligkeit und Einsamkeit gekennzeichnetes Leben. Damit waren die rechtlosen Frauen eine „leichte Beute“ für die Hexenjäger.

Die Hexenbulle des Papstes

Mit der von Papst Innozenz VIII. im Jahr 1484 erlassenen, berüchtigten „Hexenbulle“ wurde die Inquisition beauftragt, ihre bis dahin nur auf Ketzer beschränkte Tätigkeit auch auf Hexen und Zauberer auszudehnen. Damit war faktisch über Jahrhunderte hinweg in Europa das Todesurteil für ca. 60 000 unschuldige Menschen – meist Mädchen und Frauen – gesprochen. Sie wurden, als Hexen abgestempelt, von ihren Richtern in das „reinigende Feuer“ geschickt. Die meist durch Denunziation bei den Inquisitionstribunalen angeklagten Frauen hatten keine Chance. Gab eine Frau ihre Hexentätigkeit nicht gleich zu, so verfügten die Inquisitoren über ein reichhaltiges Instrumentarium, sie zu einem Geständnis „zu bewegen“: Kerker, Folter, Hunger, falsche Zeugenaussagen und andere Schikanen.
Kaum bekannt ist, dass Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern das Zentrum der Hexenverfolgungen in Europa war. Hier erreichten die Exzesse mit 20 000 bis 30 000 Hexenverbrennungen zwischen 1560 und 1630 ihren Höhepunkt. Damit gehört das Kapitel „Hexenjagd“ nicht ins „finstere Mittelalter“, sondern hat sich in der Neuzeit abgespielt. 1793 wurde die letzte Hexe in Polen verbrannt.

Drei Rezepturen für Hexensalben

Ärzte, Geistliche und Wissenschaftler versuchten – obwohl das lebensgefährlich war – schon frühzeitig das Phänomen der Hexensalben aufzuklären. Gab es diese Salben wirklich, was enthielten sie und wie wirkten sie? Oder waren die Hexensalben nur die Hirngespinste der Inquisitoren, welche die angeklagten Frauen unter der Folter bestätigten?
Einen aufschlussreichen Bericht gibt uns der Chronist Giambattista della Porta (1539-1615) in seinem Werk „Magia naturalis“ aus dem Jahre 1561. Er schreibt, Hexen verwendeten für ihre Salben Kinderfett, Eisenhut, Sellerie, Pappelknospen und Ruß. Eine andere Mischung bestünde aus Wassermerck, Fledermausblut, Tollkirsche, Olivenöl, Fingerkraut und Schwertlilie. Einer Information aus dem 16. Jahrhundert zufolge rührten die vermeintlichen Hexen ihre Salben so an: „Man nehme Mandragora/ Tollkirsch/ Bilsenkraut/ Bittersüß und Stechapfel/ darf auch Schilling/ Giftlattich und Mohn dabei sein/ vermenge mit Katzenfett/ Hundsfett/ Wolfsfett/ Eselsfett/ Fledermausblut und Kinderfett/ um zu einer salbenartigen Konsistenz zu bringen.“
Damit ist eindeutig geklärt: Hexensalben waren Realität! Schon diese drei Rezepturen sind aufschlussreich: Neben Ekel erregenden aber wirkungslosen Bestandteilen wie Fledermausblut und Kinderfett finden wir hier Vertreter der halluzinogen wirkenden Nachtschattengewächse (Tollkirsche, Bilsenkraut, Stechapfel und Mandragora, auch als Alraune bekannt). Ihre damals noch unbekannten Inhaltsstoffe (Alkaloide) wirken nach den Erkenntnissen der modernen Toxikologie stark auf das Zentralnervensystem. Sie lösen dosisabhängig eine Mischung zwischen tiefem Schlaf und Narkose aus. Hier erlebten die Frauen intensive Halluzinationen, in denen sie durch die Lüfte flogen, um sich mit dem Teufel zu treffen oder sich in Tiere verwandelten. Auf dem Hexensabbat feierten sie Orgien mit dem Teufel und hatten Geschlechtsverkehr mit ihm. Die Halluzinationen waren so intensiv, dass die meist ungebildeten Frauen nach dem Erwachen glaubten, ihre Träume wirklich erlebt zu haben. Und viele waren auch danach fest davon überzeugt, im Besitz von Zauberkräften zu sein.

Anwendung am unteren Ende

Auch die Anwendung der Hexensalben beschreibt della Porta: Nachdem sich die Hexen am ganzen Körper warm massiert hätten, erfolge die Einreibung mit der Hexensalbe, manchmal am gesamten Körper oder nur am „unteren Ende“ (Einführen der Salbe in Mastdarm oder Scheide). Heute ist es pharmakologisches Grundwissen, dass Wirkstoffe besonders gut über Schleimhäute (Vagina, After) in den Körper aufgenommen werden. Bei der Anwendung wurde die Salbe auf das Ende eines Stabes oder Besenstiels aufgetragen, das dann in Scheide oder After eingeführt wurde. Ob dies die Vision vom Ritt auf dem Besenstiel ausgelöst hat?
Bei den Vernehmungen gaben die Hexen wiederholt an, dass beim Geschlechtsverkehr mit dem Teufel, sich dessen Penis „schrecklich kalt“ angefühlt habe. Auch das lässt sich erklären: Das Ende des Besenstiels wird in den Träumen der Hexen zum Penis des Teufels. Und der kalte Penis des Teufels ist das Ergebnis der Wirkstoffe der Hexensalbe. Vor allem der in vielen Hexensalben enthaltene blaue Eisenhut (Aconitum napellus mit Alkaloid Aconitin) senkt die Körpertemperatur und erzeugt so ein Kältegefühl. In der älteren Literatur wird für Hexensalbe oft der Begriff der „Flugsalbe“ gebraucht. Doch die Salbe konnte – wie die Inquisitionsprotokolle aussagen – noch mehr. Mit ihrer Hilfe gelang es der Hexe, sich jederzeit in eine Katze, einen Hund oder in den gefürchteten Werwolf zu verwandeln, der den Bauern das Vieh riss. Auch diese Verwandlungen lassen sich erklären: Das Aconitin erzeugt auf der Haut ein Kribbeln, ein Gefühl, als ob einem ein Fell wachsen würde.

Schwerpunkt in den Verhören

Seit dem 15. Jahrhundert beschreiben die Autoren der Hexenliteratur eine Salbe, auch „Flugsalbe, Buhlsalbe, Hexenschmiere oder Schlafsalbe“ genannt. Sie sollte es den Hexen ermöglichen, zum Hexensabbat zu fliegen. Aber die Salbe konnte noch mehr: Mit ihrer Hilfe konnte sich die Hexe nicht nur in bestimmte Tiere verwandeln, sondern sie konnte außerdem den von allen Menschen gefürchteten Schadenszauber ausüben.
Wie Protokolle belegen, stellte die Befragung der vermeintlichen Hexen nach dem Gebrauch der Hexensalben einen Schwerpunkt in den Verhören der Inquisition dar. So fordert der „Fünfte Titel (von peinlicher Frag)“ des Landrechts für die Markgrafschaft Baden-Baden vom 2. Januar 1588 von den angeklagten Frauen folgende Auskünfte: „Die Salb betreffend. Weil sie gefahren, wormit sie gefahren? Item wie solches zuegericht, vnd was Farb sie habe? Item ob sie auch eine zue machen getrawte?“ Weiter sollten die Frauen beantworten, woher sie das für die Hexensalbe benötigte Menschenschmalz haben und ob sie deswegen Menschen ermordet hätten.

Das Experiment mit der Frau des Henkers von Metz

Das Hexen-Thema beschäftigte damals breite Bevölkerungskreise. Sah man doch in den Hexen eine konkrete Bedrohung für Leib und Leben. Es ist schon außergewöhnlich, dass der berühmte spanische Arzt Andres de Laguna (1499-1560), Leibarzt von Kaiser Karl V. und Philipp II., sich für Hexensalben interessierte. Dieses Interesse war damals lebensgefährlich, denn die Spitzel der Inquisition lauerten überall. Von der Tollkirsche (Atropa belladonna) wusste de Laguna, dass sie einschläfere und wahnwitzige, aber angenehme Träume erzeuge. So ähnlich müsse es sich mit den Hexensalben verhalten, schlussfolgerte de Laguna. Doch ihm fehlten die Beweise dafür. Deshalb entschloss er sich zu einem ungewöhnlichen Experiment, da er durch Zufall in den Besitz einer Hexensalbe gekommen war. Aber lassen wir de Laguna selbst berichten: „Ich hatte in der Stadt Metz die Frau des Henkers von Kopf bis Fuß mit der Salbe eingerieben. Sie hatte durch die Eifersucht ihres Mannes vollkommen das Vermögen verloren zu schlafen, und war infolgedessen halb verrückt geworden … Sobald ich sie einrieb, riss die Frau ihre Augen wie ein Kaninchen weit auf, und bald sahen sie aus wie die eines gekochten Hasen, als sie in so tiefen Schlaf fiel, dass ich meinte, ich könne sie daraus nicht mehr aufwecken … Nach sechsunddreißig Stunden brachte ich sie wieder zu Sinnen und geistiger Gesundheit. Ihre ersten Worte waren: ,Warum habt ihr mich geweckt … in so einem ungünstigen Augenblick? Wo ich von allen Freuden der Welt umgeben war.‘ Dann wandte sie sich ihrem Mann zu (der neben ihr stand, sie stank wie eine Leiche) und sagte mit einem Lächeln zu ihm: ,Du Knicker! Du sollst wissen, dass ich dir Hörner aufgesetzt habe und zwar mit einem jüngeren leidenschaftlicheren Geliebten, als du es bist‘.“

Hexentrank und Salbe für Männer

Della Porta berichtet in seinem oben genannten Buch auch über das ungewöhnliche Verhalten einiger Männer, die einen Hexentrank eingenommen hatten. Er enthielt wahrscheinlich vor allem den Stechapfel (Datura stramonium). Darauf deutet das alberne und auch bizarre Verhalten der Männer hin. So glaubte ein Mann, eine Gans zu sein. Er aß Gras und klopfte mit den Zähnen auf den Erdboden als würde er picken. Außerdem sang er und vollführte Bewegungen mit den Armen als würde er fliegen. Ein anderer hielt sich für einen Fisch. Er ging umher und war dabei der Meinung, er würde schwimmen und auf den Grund eines Gewässers tauchen. Der französische Philosoph und Astronom Pierre Gassendi (1592-1655) rieb einige nichtsahnende Bauern mit einer Hexensalbe ein. Sie sanken kurz danach in einen tiefen Schlaf. Als sie aufgewacht waren, erzählten sie von ihrer Teilnahme am Hexensabbat.

Eine Traumwelt auf Rezept

Das „Antidotarium Nicolai“, ein in der Mitte des 12. Jahrhunderts entstandenes, bekanntes Arzneibuch, enthält 140 Rezepturen, wovon über die Hälfte Schmerzmittel sind. Sie beinhalten meist Opium, Bilsenkraut oder Mandragora (Alraune) bzw. eine Kombinationen dieser Stoffe. So mag manche Frau erst durch eine ärztliche Verschreibung die angenehmen Nebenwirkungen dieser Schmerz- und Schlafmittel kennen gelernt haben, was sie zur missbräuchlichen Anwendung verleitete. Jedenfalls war den damaligen Ärzten und Apothekern sowohl die halluzinogene Wirkung der Nachtschattengewächse als auch der mögliche Missbrauch mit diesen Arzneimitteln bekannt. So untersagen Apothekerordnungen des 14. und 15. Jahrhunderts immer wieder die Abgabe stark wirkender Arzneimittel an unbekannte Frauen, wie auch die Abgabe von Schmerz- und Schlafmitteln ohne ärztliche Verschreibung. Diese neuen, strengen Abgabebestimmungen für Arzneimittel aus Nachtschattengewächsen dürften zwei Gründe haben: Erstens Todesfälle durch unbeabsichtigte Überdosierung dieser stark wirkenden Pflanzen und zweitens der Missbrauch von Tollkirsche, Stechapfel, Bilsenkraut und Alraune in Hexensalben. Um 1600, als die Hexenjagd in Deutschland ihren Höhepunkt erreichte, war die Abgabe solcher Arzneien in manchen Gegenden untersagt. Auch Ärzte verschrieben Nachtschattenhaltige Schlaf- und Schmerzmittel nicht mehr und Apotheker stellten sie nicht mehr her. Denn welcher Arzt oder Apotheker wollte schon bei der Inquisition in Verdacht geraten, das Hexenwesen zu unterstützen?

Was Paracelsus seinen Kollegen empfiehlt

Auch Paracelsus (1493-1541), der fortschrittliche Arzt und Alchemist, war ein Kind seiner Zeit: Er glaubte ebenfalls an Hexen und Zauberer! Paracelsus schreibt 1531, vor allem an seine Berufskollegen gerichtet, über das Erkennen und Behandeln von angehexten Krankheiten: „Weiter geschiehts auch oft, dass ein Mensch an einem oder beiden Augen blind wird, auch oft an einem oder beiden Ohren hörlos, stumm, sprachlos, krumm, hinkend oder gar getötet, was alles durch Gottes Verhängnis durch solche Erzzauberer geschieht. Welches alles magische Eingriffe sind … Darauf sollen nun die Ärzte Achtung geben: Wo sich solche übernatürliche dolores (Schmerzen) und Krankheiten zutragen, dass sie das nicht für natürlich ansehen und halten und ihre apothekerische Arznei dazu brauchen, denn sie müssten – wie gar vielen schon geschehen – damit zu Spott und Schanden werden …“ Dann folgen konkrete Hinweise, wie der Arzt angehexte Krankheiten erkennen und behandeln kann.

Die starken Arzneien des Francis Bacon

Der englische Politiker, Philosoph und Schriftsteller Francis Bacon (1561-1626) erkannte ebenfalls die Wirkungsweise der Hexensalben. Er schrieb, dass die „Imaginationen“ (Halluzinationen) sowohl der antiken Hexen als auch ihrer Nachfahren in Mittelalter, Renaissance und auch noch später nicht durch Zauberformeln oder Zeremonien verursacht würden, sondern durch Salben, die „Opiate und Schlafmittel“ enthielten. Diese bezeichnete er als so „starke Arzneien“, dass sie bei innerlicher Anwendung zum Tode führten. Bacon erkannte, dass nur einige Salbenbestandteile auch wirklich psychoaktiv waren. Als „Schlafmittel“ in Hexensalben nennt Bacon Bilsenkraut, gefleckten Schierling, Mandragora (Alraune), Nachtschatten (Tollkirsche?), Opium, Safran und Pappelblätter.
Wenn man die Vielzahl der Giftpflanzen in Hexensalben bedenkt, dürfte es wahrscheinlich öfter zu unbeabsichtigten Vergiftungen und auch tödlichen Zwischenfällen gekommen sein. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die wenigen überlieferten Rezepturen für Hexensalben keine Mengenangaben enthalten.

Mit Hexensalben dem Elend entfliehen

Die Verwendung von Hexensalben muss noch unter einem anderen Aspekt gesehen werden: Es ist nachvollziehbar, dass ein Teil der allein und im Elend lebenden Frauen, als Gott ihre Gebete für ein besseres Leben nicht erhörte, bereit war, mit dem Teufel zu paktieren und sich der Hexerei zuwandte – in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Bilsenkraut, Tollkirsche, Stechapfel und Alraune wurden ja seit altersher in der Medizin als Schmerz stillende und Schlaf fördernde Mittel eingesetzt und auch in vielen Bauerngärten angepflanzt. Doch nun ließ sich eine neue „Medizin“ daraus bereiten. Eine Salbe, die für Stunden angenehme Träume und Halluzinationen auslöste. In einer Traumwelt wurden längst entbehrte Freuden wie Tanz, Geselligkeit, Essen, Trinken und sexuelle Befriedigung erlebt. Visionen, die wegen ihrer Intensität von den Frauen als Wirklichkeit empfunden wurden. Somit können Hexensalben auch als Rausch- und Genussmittel vergangener Zeiten betrachtet werden, mit denen ein Teil der Ärmsten eine Zeit lang ihrem trostlosen Dasein zu entfliehen versuchte.

Achtung Lebensgefahr

Wessen Interesse an Hexensalben jetzt geweckt ist, der sei an dieser Stelle vor Selbstversuchen gewarnt – auch wenn im Internet Rezepturen für Hexensalben und Zaubertränke aufgeführt sind. So hat der Okkultist und Autor esoterischer Werke Carl Kiesewetter (1854-1895) seine Selbstversuche mit Hexensalben mit dem Leben bezahlt. Auch im 20. Jahrhundert hat die Faszination, die von Hexensalben ausgeht, Wissenschaftler bewogen, Selbstversuche mit der „Hexenschmier“ zu unternehmen. Nicht immer haben diese Versuche zum gewünschten Erfolg geführt.
Über einen gelungenen „Hexentrip“ soll hier berichtet werden: Der Professor für Volkskunde an der Universität Göttingen Will-Erich Peuckert (1895-1969) bereitete nach dem Rezept della Portas eine Hexensalbe und probierte sie gemeinsam mit einigen Kollegen aus. Sie rieben sich mit der Salbe auf der Stirn und unter den Achselhöhlen ein. Danach sanken sie in einen 24 Stunden dauernden Schlaf, der von Halluzinationen erfüllt war. Peuckert schreibt: „Wir hatten wilde Träume. Vor meinen Augen tanzten zunächst grauenhaft verzerrte Gesichter. Dann plötzlich hatte ich das Gefühl, als flöge ich meilenweit durch die Luft. Der Flug wurde wiederholt durch tiefe Stürze unterbrochen. In der Schlussphase schließlich das Bild eines orgiastischen Festes mit grotesken sinnlichen Ausschweifungen.“

Hexenpflanzen in der Medizin von heute

Wegen der großen Giftigkeit des blauen Eisenhuts bzw. des Aconitins – der Pharmakologe spricht von geringer therapeutischer Breite – wird diese Giftpflanze heute in der Schulmedizin nicht mehr verwendet. Dafür ist der Blaue Eisenhut in der Homöopathie als „Aconitum“ (bis D3 verschreibungspflichtig) sehr beliebt. Entsprechend dem Arzneimittelbild wird Aconitum als bewährtes Mittel bei allen plötzlich und heftig einsetzenden Erkrankungen im Organismus wie Entzündungen, Herzrhythmusstörungen, Angina pectoris-Anfällen, Neuralgien und Migräne, aber auch bei Schock, Angst und Panikzuständen verwendet.
Von der Tollkirsche wird heute wegen der besseren Dosierbarkeit das Alkaloid Atropin in Arzneimitteln als Pupillen erweiterndes Mittel (Mydriatikum) in der Augenheilkunde, als Gegenmittel bei Vergiftungen (Antidot) und als krampflösendes Mittel (Spasmolytikum) eingesetzt.
In der Homöopathie ist Belladonna ein bewährtes Mittel bei Erkrankungen, die schlagartig und heftig auftreten. Hierher gehören akute Entzündungen, plötzliches hohes Fieber, kolikartige Schmerzen im Verdauungstrakt und hämmernde Kopfschmerzen. Bei fieberhaften Infekten mit Schweißausbrüchen werden Aconitum D 6 und Belladonna D 6 im Wechsel eingenommen. Deshalb sind Aconitum und Belladonna auch häufig Bestandteile von homöopathischen Komplexmitteln gegen Erkältungskrankheiten.
Das Hauptalkaloid der Alraune (Mandragora officinalis), das Scopolamin, wird heute als partialsynthetisches Butylscopolaminiumbromid in Form von Zäpfchen und Dragees bei krampfartigen Schmerzen im Magen-Darm-Bereich eingesetzt.

Wie man Hexen erkennt

Die böse Hexe fand mit dem Märchen „Hänsel und Gretel“ der Gebrüder Grimm sogar Eingang in die Märchenwelt. Hier steht: „Da ging auf einmal die Türe auf, und eine steinalte Frau, die sich auf eine Krücke stützte, kam herausgeschlichen … Die Alte … war aber eine böse Hexe, die den Kindern auflauerte … Wenn eins in ihre Gewalt kam, so machte sie es tot, kochte es und aß es, und das war ihr Festtag.“ Diese Zeilen sind hochinteressant, weil sie einige wichtige „Indizien“ überliefern, nach denen die Inquisition fahndete: hohes Alter, Krankheit und Hässlichkeit. Hinzu kamen rote Haare, der im Alter durch Osteoporose bedingte Hexenbuckel, Gehstörungen wie Hinken, Warzen, „Teufelsmale“ (Leberflecken), Gerstenkörner, der „böse Blick“ (triefende Augen) und als wichtige Tatbestände: Mord an kleinen Kindern und Kannibalismus. „Ein deformiertes Tier“ sei das Weib, heißt es im „Hexenhammer“ und – mit Hinweis auf Eva – von Anbeginn sündig, eine Lügnerin und Verführerin, schuld am Chaos und am Sittenverfall. Der sogenannte „Hexenhammer“ („Malleus maleficarum“) wurde im Jahre 1487 von zwei Mönchen und Inquisitoren geschrieben und diente den Inquisitoren und Hexenrichtern als Anleitung bei der Jagd auf Hexen. Der Papst empfahl den „Hexenhammer“ ausdrücklich als „Arbeitsgrundlage“ für die Hexenverfolgungen.

Die letzten Hexenhinrichtungen in Europa

1610 in Holland
1712 in England
1722 in Schottland
1724 in Italien
1745 in Frankreich
1775 in Deutschland
1782 in der Schweiz
1793 in Polen

Der Autor

Ernst-Albert Meyer, ist Fachapotheker für Offizin-Pharmazie, Medizin-Journalist und Buchautor. Als Freiberufler schreibt er über Naturheilverfahren (besonders Phytotherapie), Vitamine, Mineralstoffe und Themen der Medizin- und Pharmaziegeschichte. Seine bisher zehn Ratgeber-Bücher über Naturmedizin sind zum Teil auch in anderen Ländern erschienen. E.-A. Meyer war viele Jahre als Dozent an Universitäten und in der beruflichen Fortbildung von Apothekern und PTA’s tätig.

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