Pflastersteine aus Kinderarbeit?

Ein Plädoyer für verantwortungsvolle Staatsausgaben

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Selbstverständlich ist der deutsche Staat gegen Kinderarbeit. Zahlreiche Projekte und Organisationen, die sich weltweit gegen Kinderarbeit einsetzen, werden staatlich finanziell unterstützt. Doch wie sieht es aus, wenn Deutschland selbst Aufträge vergibt? Bisher galt: Je billiger dest...
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Pflastersteine aus Kinderarbeit?
Von Alexander Fonari, Vivien Führ und Norbert Stamm, Augsburg – raum&zeit newsletter

Selbstverständlich ist der deutsche Staat gegen Kinderarbeit. Zahlreiche Projekte und Organisationen, die sich weltweit gegen Kinderarbeit einsetzen, werden staatlich finanziell unterstützt. Doch wie sieht es aus, wenn Deutschland selbst Aufträge vergibt? Bisher galt: Je billiger desto besser. Ethische und moralische Bedenken haben keine Rolle gespielt. Erst langsam entdecken einige Kommunen ihr Gewissen. Alexander Fonari, Vivien Führ und Norbert Stamm zeigen, wie sich in Deutschland langsam ethische Bedenken ihren Weg bahnen, und wie steinig dieser Weg bis zur Umsetzung ist. Die Autoren stellen eine Initiative vor, die Mut macht – Mut, etwas Schritt für Schritt zum Besseren zu verändern.

Mehr tun für faire Produkte

Immer mehr Menschen interessieren sich heute dafür, unter welchen Bedingungen Produkte hergestellt werden. Immer mehr Konsumenten sind bereit, für fair produzierte und gehandelte Waren einen höheren Preis zu zahlen. Nichtregierungsorganisationen machen in Medien auf menschenunwürdige Produktionsbedingungen aufmerksam und drängen auf die Einhaltung international verbindlicher Standards – zum Beispiel auf die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation / International Labour Organization (ILO).

Staatliche Stellen müssen Zeichen setzen

Jedoch sind nicht nur die Verbraucher, sondern auch der Staat für eine Einhaltung internationaler Sozialstandards mitverantwortlich. Staatliche Stellen sind in Europa wichtige Verbraucher, die rund 16% des EU-Bruttoinlandsproduktes ausgeben. Jahr für Jahr erteilen Bund, Länder und Kommunen in Deutschland Aufträge in Höhe von rund 250 bis 300 Milliarden Euro. Kommunen und ihre Einrichtungen benötigen beispielsweise Computer, Natursteine, Textilien, Nahrungsmittel, Blumen, Spielzeug oder Busse. Während die Bundesregierung einerseits die ILO und NGOs gegen Kinderarbeit finanziell unterstützt, spielen diese Kriterien bei der Vergabe von Aufträgen keine Rolle. Die benötigten Produkte werden in der Regel über öffentliche Ausschreibungen beschafft. Bei der Auswahl geht es in der Praxis vor allem um die Funktionalität und den Preis.

Steine aus Kinderarbeit

Aber ist es wirklich verantwortbar, dass aus Kostengründen beim Bau einer neuen Schule Steine verwendet werden, die von Kindern unter lebensgefährlichen Umständen in ausländischen Steinbrüchen bearbeitet wurden? Stehen Kommunen und Gemeinden hier nicht in der Pflicht, öffentliche Gelder sozial verantwortungsbewusst auszugeben? Sollten sie ihre gewichtige Marktstellung nicht zu einer Umorientierung von Konsummustern nutzen und mit starker öffentlicher Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen mit garantierten ökologischen und sozialen Standards Handel und Industrie Anreize bieten, ihre Angebote nachhaltig zu gestalten? 

Sollten soziale Standards nicht selbstverständlich sein

Globalisierung sozial-, umwelt- und menschengerechter zu gestalten ist eines der Hauptanliegen der Eine Welt Landesnetzwerke in Deutschland. Vor diesem Hintergrund wurde 2006 das bundesweite Forum „Beschaffungswesen“ in der Arbeitsgemeinschaft der Eine Welt Landesnetzwerke in Deutschland e.V. (agl) gegründet.

In mehr als 100 deutschen Kommunen besitzen globalsoziale Aspekte in der Beschaffung bereits einen hohen Stellenwert. Diese kommunalen Verwaltungen setzen sich mit den Auswirkungen ihres Handelns in anderen Teilen der Welt auseinander, haben einen Beschluss gegen den Erwerb von Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit gemäß ILO-Konvention Nr. 182 gefasst und übernehmen so globale Verantwortung. Die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards auch im Beschaffungswesen müsste für die öffentliche Hand aufgrund ihrer Vorbildfunktion selbstverständlich sein!

EU Vergaberichtlinie sieht zusätzliche Kriterien vor

So sehen konsequenterweise auch die Vergabe-Richtlinien der Europäischen Union (2004/17/EG und 2004/18/EG) in Artikel 38 beziehungsweise 26 explizit vor, dass öffentliche Auftraggeber zusätzliche Bedingungen für die Ausführungen eines Auftrags vorschreiben können. Dort heißt es:

„Die Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags können insbesondere soziale und umweltbezogene Aspekte betreffen.“

Leider hat die Bundesregierung den Einrichtungen der öffentlichen Hand bisher diesbezüglich keine Hilfestellung geboten, sondern die Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien in nationales Recht sogar verzögert. Diese hätten bis zum 31. Januar 2006 umgesetzt werden müssen. Verantwortlich dafür ist das Bundeswirtschaftsministerium. Das Bundeskabinett hat am 21. Mai 2008 dann endlich einen Gesetzentwurf zur Modernisierung des Vergaberechts beschlossen, der die Berücksichtigung sozialer und ökologischer Kriterien im Vergaberecht zweifelsfrei ermöglicht. Der Gesetzentwurf wird im Herbst 2008 im Deutschen Bundestag behandelt. Gesetzentwurf und weitere Infos hierzu siehe www.bayern-gegen-ausbeuterische-kinderarbeit.de.

Viele Kommunen haben bereits Beschlüsse gefasst

Obwohl das Bundeswirtschaftsministerium in diesem Punkt bisher noch keine Rahmenbedingungen festgelegt hat, haben inzwischen nicht nur zahlreiche Kommunen, sondern auch mehrere Bundesländer auf eigene Initiative Beschlüsse gegen den Erwerb von Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit gefasst. Der Bayerische Landtag startete am 18. Juli 2007 mit dem fraktionsübergreifenden Beschluss Vermeidung des Erwerbs von Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens, das Saarland folgte mit einem fast wortgleichen Beschluss am 12. September 2007. Der Bremer Senat beschloss am 13. Dezember 2007, künftig auf Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit zu verzichten. Einen Tag später sprach sich der Sächsische Landtag dann fraktionsübergreifend dafür aus, dass im Freistaat Sachsen zukünftig Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit von der öffentlichen Beschaffung auszuschließen sind. Wenig später reichte die Grünen-Fraktion im Landtag von Niedersachsen einen Antrag ein, der den Beschlüssen in Bayern und im Saarland glich. CDU- und FDP-Abgeordnete im Landtagsausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr reduzierten den Antrag jedoch und gaben nur eine Beschlussempfehlung in Form eines Prüfantrages ab. Auch in Nordrhein-Westfalen gelangte ein Antrag der Grünen vom 27. November 2007 dann vor Weihnachten auf die Tagesordnung des Landtags und wurde zur Beratung in die Ausschüsse verwiesen. In Baden-Württemberg gab es nach ersten vergeblichen Versuchen der Grünen schließlich eine fraktionsübergreifende Initiative, die inzwischen einvernehmlich beschlossen wurde. Der Hamburger Staatsrat forderte am 21. Januar 2008 gar die verpflichtende Einhaltung aller ILO-Kernarbeitsnormen.

Eine Welt Landesnetzwerke als Motor

Es ist erfreulich, dass sich in mehreren Bundesländern über alle Parteigrenzen hinweg Initiativen gegen ausbeuterische Kinderarbeit gebildet haben. Wesentlich hierzu beigetragen haben die in der Arbeitsgemeinschaft der Eine Welt Landesnetzwerke in Deutschland e.V. (agl) zusammengeschlossenen 16 Eine Welt Landesnetzwerke, die das Anliegen über ihre zahlreichen Basisgruppen in die regionalen und lokalen Parlamente getragen haben sowie die bundesweite Kampagne Aktiv gegen Kinderarbeit des EarthLink e.V. aus München und das Engagement beziehungsweise die Erfahrungen einiger kommunaler Mitarbeiter.

Bundestagsbeschluss

Im Deutschen Bundestag wollten zunächst die Linke und die Grünen unter anderem die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen im Vergaberecht verankern beziehungsweise den Ausschluss von Unternehmen, die selbst oder deren Zulieferer gegen die ILO-Kernarbeitsnormen verstoßen, aus Vergabeverfahren ermöglichen. Inzwischen möchte auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Kommunen motivieren, Beschlüsse gegen ausbeuterische Kinderarbeit zu fassen und nur noch Baumaterialien zu kaufen, die zweifelsfrei nicht von Kinderhänden hergestellt wurden. Mehrkosten bei der Beschaffung seien dabei in Kauf zu nehmen. Peter Götz, kommunalpolitischer Sprecher der CDU/CSU Bundestagsfraktion, im November 2007: „Wir müssen unsere Fußgängerzonen nicht auf dem Rücken von Kindern pflastern, die dafür ihre Gesundheit und ihr Leben ruinieren.“ Die Grünen luden zudem am 18. Februar 2008 zu einer Anhörung in den Deutschen Bundestag ein. Deutlich wurde hier unter anderem die anhaltende Verweigerungshaltung der Wirtschaftsverbände, die ihrer in Sonntagsreden so oft betonten gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen weiterhin nicht nachkommen wollen und soziale Kriterien als so genannte vergabefremde Aspekte im Vergaberecht ablehnen.

Diejenigen Kommunal-, Landes- oder Bundestagsabgeordneten, die sich einer Berücksichtigung sozialer Kriterien im Vergabe – beziehungsweise Beschaffungswesen immer noch verweigern, sollten mit allen demokratischen Mitteln – nicht zuletzt in ihren Wahlkreisen – auf ihr seltsames Verständnis von Sozialer Marktwirtschaft beziehungsweise Vorbildfunktion der öffentlichen Hand hingewiesen werden. 

Jeder kann Zeichen setzen

Möglichkeiten zur Umsetzung vor Ort gibt es genug. Länder sind unter anderem für die Beschaffung von Dienstkleidung (beispielsweise der Polizei) zuständig oder benötigen Natursteine für Baumaßnahmen ihrer Einrichtungen. Kommunen sind Träger von Kindergärten und Kindertagesstätten (Spielzeug), unterhalten Kantinen (Lebensmittel), kaufen Blumen oder pflastern Plätze. Sie kaufen zwar keine Grabsteine, können aber ihre Friedhofssatzungen so gestalten, dass nur noch Grabsteine, die ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt wurden, verwendet werden dürfen. Die bayerische Landeshauptstadt München war bundesweit die erste Kommune, die 2007 einen solchen Beschluss gefasst hatte.  Inzwischen überprüfen auch Kirchengemeinden ihre Friedhofssatzungen und die ersten Diözesen setzen sich mit ihrem Beschaffungswesen auseinander.

Fair Trade Siegel und Label

Einen Überblick über verschiedene Labels und Siegel zum Thema Fair Trade und Bio finden Sie in der oben genannten Publikation oder bei www.eineweltnetzwerkbayern.de

Eine Welt Netzwerk Bayern

Fast überall in Bayern engagieren sich Menschen für globale Gerechtigkeit, Solidarität, Frieden und Bewahrung der Natur. Das Eine Welt Netzwerk Bayern e.V. ist das bayerische Landesnetzwerk entwicklungspolitischer Gruppen / Einrichtungen, Weltläden und lokaler Eine-Welt-Netzwerke. Es wurde 1999 gegründet und hat 85 Mitglieder (die wiederum jeweils bis zu 55 eigene Mitgliedsgruppen bzw. Vereine vertreten). Auf Bundesebene ist das Eine Welt Netzwerk Bayern e.V. Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft der Eine Welt Landesnetzwerke e.V. (Agl) mit Sitz in Göttingen. Die Mitglieder des Eine Welt Netzwerks Bayern e.V. wollen mehr Menschen dafür gewinnen, ihr Denken und Handeln an der Verantwortung für die Eine Welt zu orientieren. Sie informieren über Ursachen und Hintergründe globaler Probleme. Durch Informations- und Bildungsveranstaltungen, Aktionen, Kampagnen und Lobby-Arbeit stellen die Mitglieder des Eine Welt Netzwerks unserer Gesellschaft immer wieder die Frage nach der Zukunftsfähigkeit unserer Lebensweise. Sie entwickeln konkrete Handlungsmöglichkeiten als erste Schritte in diese Richtung. Darum beteiligen sie sich zum Beispiel an der Lokalen Agenda 21 oder der Umsetzung der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (2005 - 2014) in Bayern und setzen sich für eine gerechte Globalisierung ein. Alle drei Autoren sind im Vorstand des Eine Welt Netzwerk Bayern e.V. aktiv.

Werden Sie selbst aktiv

Aktionsvorschläge für jede/n

- Schreiben Sie an den Vertreter Ihrer Stadt im Bundestag und fordern Sie mehr Einsatz der Bundesregierung gegen Kinderarbeit.

- Ihre Stadt hat die öffentliche Beschaffung noch nicht geändert und soziale Kriterien im Vergaberecht aufgenommen? Schreiben Sie Politiker an und verweisen Sie auf die 111 deutschen Städte, die das Vergaberecht schon geändert haben. In diesen Städten können öffentliche Auftraggeber Unternehmen bevorzugen, die soziale Standards einhalten. Konkret kann das bedeuten: fairer Kaffee bei Konferenzen, faire Blumen bei Empfängen, faire Fußbälle für Kindergärten oder Pflastersteine und Uniformen ohne Kinderarbeit.

- Sprechen Sie mit Verwandten, Bekannten und Freunden über die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen weltweit. Und wenn die glauben, man könne das nicht ändern? Machen Sie auf faire Produkte aufmerksam, die soziale Standards in der Herstellung garantieren. Und bessere Lebensverhältnisse in Dritteweltländern bewirken.

Tipps aus dem Netz (von Earth Link) Der nachhaltige Warenkorb (http://www.nachhaltigkeitsrat.de/fileadmin/user_upload/dokumente/publikationen/broschueren/Broschuere_Nachhaltiger_Warenkorb.pdf) Der Rat für Nachhaltigkeit gibt Verbrauchern Tipps, wie sie ökologisch und sozial einkaufen können. Der Konsument kann sich durch seinen Kauf auch gegen Kinderarbeit entscheiden, wenn er beispielsweise die richtigen Siegel kennt.

Aktiv in Ihrer Stadt (http://www.aktiv-gegen-kinderarbeit.de/dokumente/Folder-Aktiv-gegen-Kinderarbeit.pdf) Dieser Flyer informiert allgemein über Kinderarbeit und die Möglichkeiten, wie Sie aktiv in Ihrer Stadt werden können. Das öko-faire Branchenbuch (http://www.branchenbuch.oeko-fair.de/branchenbuch.php) Sie wollen wissen, wo es in Ihrer Stadt Läden gibt, die faire Produkte anbieten? Hier hilft das öko-faire Branchenbuch. Leider gibt es noch nicht so viele Einträge, wie es wünschenswert wäre. Noch mehr hilfreiche Tipps finden Sie unter http://www.aktiv-gegen-kinderarbeit.de

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