So funktioniert das Bewusstsein

Teil 1: Wahrnehmung, Gedächtnis und Trauma

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Wie nehmen wir wahr, was uns und um uns herum geschieht? Wie können wir Informationen im Gedächtnis speichern? Was löst ein Trauma aus? Die jüngsten Forschungen aus dem Bereich Neurophysiologie, Psychophysik und Psycho-Neuro-Immunologie geben neue Antworten. Die Chaosphysik und d...
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So funktioniert das Bewusstsein
Von Mag. Ölwin H. Pichler, Wolfratshausen – raum&zeit Ausgabe 137/2005

Wie nehmen wir wahr, was uns und um uns herum geschieht? Wie können wir Informationen im Gedächtnis speichern? Was löst ein Trauma aus? Die jüngsten Forschungen aus dem Bereich Neurophysiologie, Psychophysik und Psycho-Neuro-Immunologie geben neue Antworten. Die Chaosphysik und die Systemtheorie konnten nachweisen, dass alles Lebendige bestimmten Gesetzmäßigkeiten gehorcht: Selbstorganisation, Vernetzung und Selbstwiederholung (fraktaler Aufbau).

Die Bewusstseinsebenen verschmelzen

Babys erfahren ihre Welt erst über den Tastsinn. (© Sabine Fallica)

Wenn wir wahrnehmen, verschmelzen in unserem Bewusstsein mehrere Ebenen miteinander, wobei die visuellen, akustischen, taktilen und olfaktorischen Sinneseindrücke immer gleichzeitig integriert werden. Wir halten das, was wir wahrnehmen umso eher für die Realität, je mehr Sinnesorgane an einer Wahrnehmung beteiligt sind. Wenn wir beispielsweise berühren können, was wir sehen, dann zweifeln wir kaum an der Realität des Gegenstandes. Wegen der immensen Anzahl an Informationen dominiert die visuelle Wahrnehmung alle anderen Sinneseindrücke. Pro Sekunde nehmen wir circa zehn Millionen Informationen über das Auge auf, über die Haut sind es hingegen nur eine Million. Aus der Erfahrung der menschlichen Evolutionsgeschichte glauben wir jedoch – im Gegensatz zu den oben genannten Werten – dem Tastsinn mehr als dem Sehsinn. Babys erfahren ihre Welt zuerst über den Tastsinn, sie begreifen die Welt im wahrsten Sinn des Wortes. Erst später bildet sich der Sehsinn vollständig aus, der dabei auf die Erfahrungen, die der Tastsinn bereits vorher gemacht hat, zurückgreift. 

Bilderwelt 21stes Jahrhundert

In der von Bildern dominierten Welt des 20. und 21. Jahrhunderts werden wir nun mehr und mehr damit konfrontiert, dass Bilder viel leichter verfälscht werden können als Gegenstände. Im Zeitalter digitaler Bildbearbeitung sind nun alle Sicherheiten verschwunden, von Computern generierte Bilder lassen sich von realen Bildern nicht mehr unterscheiden. Ein Foto beispielsweise, das weltweit für Empörung und Entsetzen gesorgt hatte, war die Darstellung von ausgehungerten und offensichtlich gequälten Menschen hinter einem Zaun, die irgendwo in Bosnien zur Zeit des dort stattfindenden Bürgerkrieges aufgenommen worden war. Dieses Bild hatte einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Entscheidung der internationalen Staatengemeinschaft, in diesen Krieg einzugreifen. Wie sich später herausstellte, war dieses Photo zwar nicht manipuliert, aber die Perspektive war verändert worden: diese leidenden Menschen waren nicht innerhalb eines umzäunten Gebietes, sondern außerhalb! Das Manipulieren durch Bilder ist so alt, wie die Technik bildgebender Verfahren selbst.

Abb. 1: Bill Clinton in Eisenach im Mai 1988 – manipuliertes Bild unten
Aus: Iconic Turn: „Die neue Macht der Bilder“, S. 53

Abb. 2: Nachträgliche Retusche auf einem Photo: die in Ungnade gefallenen Weggefährten Lenins, Trotzki und Kamenew (rechts neben dem Podest), wurden entfernt

Zwei Beispiele: Photos von öffentlichen Auftritten von Politikern, wo Menschengruppen mit Transparenten gegen die Aussagen des Wahlwerbenden oder unliebsam gewordene Personen einfach aus dem Bild wegretuschiert wurden – klassische Fälle von Bildmanipulationen (Abb. 1 und Abb. 2).

Die Organisation der Großhirnrinde

Der etwa zwei Millimeter dünne Zellmantel, der die Großhirnrinde bedeckt, besteht aus etwa 60 000 dicht gepackten Nervenzellen pro Kubikmillimeter, wobei jede Zelle mit etwa 20 000 anderen informationsverbunden ist. In einem Kubikmillimeter Großhirnrinde finden wir ungefähr sechs Kilometer Nervenfasern verlegt. Etwa 100 unterschiedliche Hirnrindenareale bearbeiten die verschiedenen eingehenden Sinnesreize, wobei der weitaus größte Teil der Areale damit befasst ist, visuelle Informationen zu verarbeiten. Diese Verarbeitung dient zur Vorbereitung, in einem Geschehen aktiv zu werden. Es werden sogar bereits motorische Programme während des Sehvorganges entwickelt. 

Das duale Nervensystem

In unserem Gehirn lassen sich prinzipiell zwei verschiedene Arten von Datenverarbeitung unterscheiden: eine analoge, basierend auf Gleichstrom, und eine digitale, basierend auf Wechselstrom. Bei der analogen Gleichstromebene handelt es sich um eine evolutionär gesehen sehr alte Technik im Biosystem, die jedoch erst gegen Ende des letzten Jahrhunderts erforscht wurde. Diese Gleichstromaktivitäten gehen nicht von den bekannten Hirnzellen aus, sondern von den „perineuralen“ Zellen (den sogenannten Gliazellen in Gehirn und Rückenmark (Abb. 4, S.48)) und den Schwannzellen, die die peripheren Nerven in den Extremitäten und im Rückenmark einschließen). Auf dieser Basis findet zum Beispiel Wundheilung auch im Koma – das digitale Nervensystem ist dabei ja abgeschaltet – statt. Auch unter Hypnose, Vollnarkose, in tiefen Meditationszuständen oder in Ekstase wird das digitale Nervensystem stillgelegt und nur das analoge Gleichstromsystem ist aktiv. Viele Naturvölker nutzen diesen Effekt bei ekstatischen Ritualen, bei denen Körperteile durchbohrt oder Geißelungen schmerzfrei durchgeführt werden.

In der westlichen Medizin kommen solche Techniken inzwischen zum Beispiel bei Zahnärzten, die mit Hypnose arbeiten, zum Einsatz. An der Universitätsklinik im belgischen Liege werden Kaiserschnitte, Schilddrüsen- und vereinzelt auch Hirnoperationen unter Hypnose durchgeführt. So war eine in Selbsthypnose geschulte Patientin nach einer sechsmonatigen Schulung in der Lage, ohne chemische Betäubungsmittel eine Schilddrüsenoperation schmerzlos zu erleben. Sie war nicht nur in der Lage, das Operationsgebiet selbst vollständig zu betäuben, sie konnte auch den eigenen Blutdruck kontrollieren und die Blutungen im Operationsbereich steuern! Die Hypnosespezialistin Henriette Walter konnte am Wiener AKH (Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien) erstmals nachweisen, dass Hypnose sogar die Wirkung von Medikamenten brechen kann. Bei Personen, denen das Tollkirschenextrakt Atropin auf den Augapfel geträufelt wurde, weiteten sich die Pupillen unter Hypnose nicht.

Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Versuchspersonen, die man aufforderte, auf ein Zeichen (visuelle Information) hin eine bestimmte Muskelbewegung auszuführen, nach dem Zeichen ein Anstieg des negativen Gleichstroms zu beobachten ist – eine halbe Sekunde, bevor der Muskel bewegt wird. Der Gleichstrom scheint also die Neuronen in Bereitschaft zu versetzen, den Befehl zur Muskelbewegung abzufeuern – das Gleichstromsystem hat demnach das Kommando über die Nervenimpulse.

Wahrnehmung und Konstruktion

Forschungsergebnisse aus der Psychophysik zeigen, dass unsere Wahrnehmung uns keine wirklichkeitsgetreue Abbildung gibt, sondern Wahrnehmen ein sehr komplexer Prozess ist von Sehen, Konstruieren und das Zurückgreifen auf bereits gespeichertes Vorwissen. Dieses Vorwissen wird dabei sowohl von der individuell erworbenen Seherfahrung, als auch aus evolutionären Erfahrungen gespeist. Zur Verdeutlichung: „ …über 90% der Informationen, die in einem neuen Bild, das im Gehirn generiert wird, enthalten sind, bestehen aus Informationen, die bereits im Gehirn gespeichert sind“ (Univ.-Prof Karl Toifl, Neurologe/Psychiater an der Universität für Neuropsychiatrie Wien).

So geht zum Beispiel unser Sehsystem automatisch davon aus, dass Licht immer von oben kommen muss, da unsere Hauptlichtquelle die Sonne ist. Deshalb erscheinen uns Strukturen, die Schatten nach unten werfen als konvex, während Strukturen, die Schatten nach oben werfen, als konkav gesehen werden (Abb. 5). Oder: Da unsere visuelle Wahrnehmung geschlossene gegenüber offenen Formen bevorzugt, ergänzen wir automatisch offene Formen und sie erscheinen uns dann als geschlossen (Abb. 6). Bildende Künstler können so, wenn sie das evolutionäre Sehverhalten nutzen, den Eindruck von Zweidimensionalität von Objekten vortäuschen, indem sie mit Schatten oder Perspektiven (das weiter hinten liegende ist immer kleiner als das Vordere und so weiter, siehe Abb. 7/1 und 7/2) arbeiten.

Realität und Individuum

Unsere Gehirne verfügen sozusagen bereits bei der Geburt über ein beträchtliches Wissen von der Welt, das im Verlauf der Evolution durch „try & error“ angesammelt wurde. Es entwirft Modelle der Welt, vergleicht dann die einlaufenden Signale mit diesen Modellen und sucht nach den wahrscheinlichsten Lösungen. Die Ergebnisse müssen in der Folge nicht unbedingt der physikalischen Realität entsprechen – und tun dies in vielen Fällen auch nicht. Ausschlaggebend scheint zu sein, was für das Verhalten im Moment und für das Überleben Vorrang hat: unsere Wahrnehmung basiert also auf Wahrscheinlichkeitsberechnungen, die vom individuellen Sehen und Erleben abhängig sind und jeder hält das Ergebnis dann für die Wahrheit. Erich Körbler: „Leben ist immer auf Überleben programmiert, das ist die höchste Priorität in Biosystemen“.

Subjektiv halten wir uns für unabhängige, mit freiem Willen ausgestattete Wesen, die selbstständig handeln. Tatsächlich leben wir aber in zwei Parallelwelten: in der subjektiven halten wir unsere Wahrnehmung für real, ohne dass wir bemerken, dass wir diese Realität individuell konstruieren. Daneben gibt es jedoch noch unendlich viele andere Welten, die andere Menschen als wahr und real erkennen. Der Begründer der Neuen Homöopathie, Erich Körbler, sagte 1993: „Die Angst, das Gefühl und die Wahrheit sind für jeden einzelnen Menschen individuell.”

Dazu ein Beispiel: Meine beiden Töchter, 9 und 15 Jahre alt, waren beide felsenfest davon überzeugt, dass ihre Oma bei ihrem letzten Besuch gesagt hat: „Dieses Essen (das nur sie kochen kann und das zu den Lieblingsspeisen der Kinder zählt) koche ich für euch nie mehr wieder.“ Beauftragt, Monate später bei meiner Mutter nachzufragen, warum sie das nie mehr wieder tun wird – die Kinder hatten nicht den Mut dazu – , erhielt ich von meiner Mutter folgende Antwort: „Also, ich habe keine Ahnung, wie die Beiden auf diese Idee kommen. Mag sein, dass sie mich während des Kochens oder dann später beim Essen irgendwie geärgert haben und ich etwas in diesem Sinn gesagt habe. Ich kann mich jedenfalls überhaupt nicht daran erinnern und wenn ich etwas in diese Richtung gesagt haben sollte, so habe ich es auf alle Fälle nicht so gemeint.“ Drei Menschen, zwei verschiedene Realitäten.

Erich Körbler: „Der Arzt muss die Wahrheit des Patienten sein und er muss ihn nach seiner Wahrheit behandeln. Wir haben keine Wahrheit für andere zur Verfügung, nur für uns selbst. Der Arzt muss die Wahrheit seines Patienten erkennen und wissen, dass diese Wahrheit immer individuell ist.“

Wahrnehmung und Vorstellung

Mit Hilfe spezieller Verfahren lässt sich inzwischen feststellen, wann welche Hirnregionen aktiv werden, wenn sich eine Versuchsperson etwas vorstellt, etwas sieht oder wenn sie nachdenkt beziehungsweise laut spricht. Der Vergleich, wenn sich eine Person ein Objekt mit geschlossenen Augen so konkret wie möglich vorstellt, oder wenn sie das Objekt mit offenen Augen sieht, führt zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass fast alle Hirnareale, die bei der Wahrnehmung sichtbarer Objekte aktiv werden, auch aktiviert werden, wenn das Objekt nur phantasiert wird. Daher nehmen Menschen, die (pathologisch, unter Drogeneinfluss oder aber auch durch geschultes Visualisieren) halluzinieren das, was sie „sehen“, so wahr, als würde dieser Sinneseindruck von außen kommen und real sein.

Diese Forschungsergebnisse sind, sowohl was die Arbeit am Psychomeridian nach der Neuen Homöopathie (LEB®/NH) als auch was die Schulung im sensitiven Bereich (LEB®/S) bei Dr. Rosina Sonnenschmidt und Harald Knauss anbelangt, von herausragender Bedeutung. Das Biosystem ist nach diesen Untersuchungen nicht in der Lage, Gesehenes von Vorgestelltem zu unterscheiden und verarbeitet beides als gleichwertig „real“. Damit finden diese (und selbstverständlich auch andere ähnliche) Techniken, die mit der Imagination beziehungsweise individuellen Erinnerung arbeiten, ein wissenschaftlich belegtes Fundament (nach Wolf Singer: „Das Bild in uns – vom Bild zur Wahrnehmung“ ).

Wahrnehmung und Trauma

Jede Speicherung von Erfahrungen ist selbstverständlich, auch unter den oben beschriebenen Voraussetzungen, ein ganzheitlicher Akt, an dem immer alle Sinne gleichzeitig, wenn auch in verschiedener Intensität, beteiligt sind. Wie wird nun ein Erlebtes zum so genannten „Trauma“? 

Neueste Forschungen zeigen, dass die grundlegende Voraussetzung für eine Speicherung des negativen Geschehens im Unterbewusstsein, eine starke Beteiligung von Emotionen während des Erlebens ist. Hinzu kommt, dass Erlebtes – auch unter Beteiligung von Gefühlen – im Normalfall geistig „verstoffwechselt“ werden kann. Vorstellbar ist dieser Vorgang wie beim Verdauungssystem: nach der Nahrungsaufnahme nimmt sich das Biosystem das Nützliche und Notwendige heraus, der Rest wird ausgeschieden. Ähnlich agiert auch unser Nervensystem: nützliche und notwendige Informationen werden als „Lektion“ integriert, begleitende kleine Schocks, belastende Gefühle und die damit verbundenen physiologischen Aktivierungen werden ausgesondert. Es erfolgt zwar auch eine Speicherung im Langzeitgedächtnis, aber die Ausschüttung von Stresshormonen bei neuen, ähnlichen Geschehnissen tritt nicht ein. Wir haben etwas erfahren, daraus unsere Konsequenzen für den Wiederholungsfall gezogen, gelernt, damit adäquat umzugehen und handeln dementsprechend. Zusätzlich ist es auch noch von entscheidender Bedeutung, wie ausgeprägt die Fähigkeit des Einzelnen ist, negative Gedächtnisinhalte zu löschen, also wirklich aus der Erinnerung (auch der unbewussten) zu eliminieren. Die klassische gesprächsorientierte Psychoanalyse geht von ihrem Ansatz her genau den umgekehrten Weg, in dem sie versucht, verdrängte / ins Unterbewusste (= in die Energiekörper) abgesunkene Inhalte an die Bewusstseinsoberfläche zu befördern, um sie dann „verarbeiten“ oder „aufarbeiten“ zu können.

Trauma und Emotion

Zurück zu den Vorgängen im Gehirn: Wenn der Hippocampus – ein Teil des Großhirns – ein Erlebnis als bedrohlich für das Überleben bewertet und das Stresshormon Adrenalin dem Erlebten, ehe es im Gedächtnis abgelegt wird, einen prägenden emotionalen Stempel aufdrückt, so wird die spätere Erinnerung daran auch nicht ohne emotionale Erregung stattfinden können – die Geburt eines Traumas. „Jeder Erlebniszustand ist stets „verkörpert”, das heißt, in einen bestimmten Empfindungsbereich eingebettet, das heißt, die meisten geistigen Zustände weisen eine dominierende Empfindung auf, die das Erleben färbt. Erfahrungszustände entstehen durch Resonanzphänomene, bei dem verschiedene Hirnregionen derart miteinander vernetzt sind, dass alle ihre Neuronen per Synchronisation der Nerventätigkeit ihre Signale im „Gleichschritt” abgeben. Solche neuronalen Schaltkreise tendieren zu rhythmischen Schwingungen (im Gamma- und Betabereich), wobei diese Schwingungen nicht nur auf die Großhirnrinde beschränkt sind, sondern auf verschiedenen Ebenen im Nervensystem stattfinden“ (Francisco Varela). Demnach ist die Verbindung zwischen (visueller, taktiler, auditiver oder olfaktorischer) Sinnes-Erinnerung und Emotion ausschlaggebend dafür, ob das Biosystem bei einer Wiederholung der Reizgegebenheiten mit einer Reaktion auf der physischen Ebene, etwa mit einem Symptom reagiert oder nicht. 

Das Angstzentrum im Gehirn

In einer groß angelegten Studie an der psychiatrischen Abteilung der Universität Havard hörten sich Patienten mit einem emotionalen Trauma (posttraumatisches Stresssyndrom) nur eine Schilderung des erlebten Geschehens an. Zur Sichtbarmachung der Aktivitäten der Gehirnregionen wurden Messungen mit einem PET (PositronenEmissionsTomographie)-Gerät durchgeführt. Die Messungen zeigten, dass die Amygdala eindeutig aktiviert wurde und der visuelle Kortex so ausgeprägt reagierte, als würden die Probanden das Ereignis „sehen“. Gleichzeitig kam es zu einer Deaktivierung im Brocabereich (zuständig für den sprachlichen Ausdruck) des Gehirns, was der Wirkung einer Anästhesie gleich kommt.

„Narben im emotionalen Gehirn können jederzeit wieder aktiv werden... Wir reagieren mit Schrecken auf jeden Reiz (optisch, akustisch, taktil), der mehr oder weniger jenem ähnelt, den wir zu fürchten gelernt haben... Eine vom Gehirn registrierte Erinnerung kann über jeden einzelnen ihrer Teilaspekte abgerufen werden“ (aus: „Die neue Medizin der Emotionen“ von David Servan-Schreiber).

Wenn es dazu kommt, dass das kognitive und das emotionale Gehirn sich „entkoppeln“, streben sie in unterschiedliche Richtungen und finden keinen Weg, Vergangenheit und Gegenwart in ein harmonisches Muster zu bringen. Wir wissen, dass die Gefahr vorüber ist, aber wir empfinden es nicht so! Zudem sind die ersten Tage nach dem Erleben eminent wichtig für die Folgezeit. Wird in der unmittelbar nachfolgenden Zeit das Geschehen immer wieder vor dem „Inneren Auge“ wiederholt, was in der Regel bei Schocks aller Art unumgänglich ist, so kann sich das traumatisch erlebte erst richtig im Gedächtnis verfestigen. Daher die Forderung Körblers, nach einem Unfall oder einer erschreckenden Nachricht nach Möglichkeit so schnell als möglich die rechte Hand an die rechte Hirnhemisphäre zu halten, mit dem Zeige- und Mittelfinger der linken Hand ein Y zu formen und so oft als möglich die erschreckende Situation sofort „umzuschreiben“. Das verhindert zum einen die Verfestigung der negativen Eindrücke im Gedächtnis und entstresst zum anderen zusätzlich die emotionale Komponente des Erlittenen. „Die Erfahrung zeigt, dass es nicht genügt, einfach zu reden, um eine Verbindung zwischen alten Emotionen und einer besser in der Gegenwart verankerten Sichtweise herzustellen. Man weiß inzwischen auch, dass sich die Symptome oft noch verschlimmern, wenn man immer wieder nur über das Trauma spricht. Und schließlich ist inzwischen klar, dass auch Medikamente nicht besonders wirksam sind.“ (David Servan-Schreiber)

Trauma und Neue Homöopathie

Das prinzipielle Problem wurde oben schon ausführlich dargestellt: Woher wissen wir, dass das, woran wir uns erinnern, auch tatsächlich so stattgefunden hat? „Solange es keinen unabhängigen Dritten gibt, der uns bestätigt, dieses oder jenes sei tatsächlich so passiert, können wir letztlich nie sicher sein, ob unsere aus dem Dunkel hervorgeholten Erinnerungen auch der Wirklichkeit entsprechen“, so Eric Kandel, der in New York lebende Gedächtnisforscher und Medizin-Nobelpreisträger in einem Interview im Juni 2004. Das eben Gesagte schließt auch die Aussage ein, dass ein anderer Beteiligter die Situation individuell ganz anders wahrnehmen kann: „Was ist denn los, warum regst du dich so auf?“, fragt verständnislos ein beteiligter Zweiter über eine überaus heftige Reaktion seines Begleiters auf ein – für ihn – völlig harmloses Geschehen.

Der Psychologe Dr. Gerald Mackenthun von der Humboldt Universität Berlin führt dazu aus: „Offenbar ist es nötig, sich ganz oder doch weitgehend von der Ursache-Wirkungs-Kette zu verabschieden. Die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele sowie zwischen Individuum und Umwelt durchläuft vor ihrem Abschluss (= Erkrankung) eine ganze Reihe von Stadien, während derer jedes Teilsystem meist mehrere Optionen offen hat. Welches davon gewählt wird beziehungsweise zum Tragen kommt, steht am Anfang des Prozesses nicht genau fest, sondern hängt von Faktoren und ‚Zufällen’ ab, die der Psychosomatiker entweder nicht kennt oder nicht voraussagen kann. Das ist der Grund, warum die Suche nach Persönlichkeitsmerkmalen relativ erfolglos war und Spezifitätsmodelle nicht funktionieren. Nur im Rückblick lässt sich der Ablauf samt seinen Komponenten fälschlicherweise als kausal ansehen. Diese Kausalität ist eine scheinbare, weil nachträglich konstruiert. … Das Bild der Ursache-Wirkungskette ist auch deswegen falsch, weil Organe einerseits und Körper/Psyche andererseits in Kreissystemen miteinander kommunizieren“ (Dr. G. Mackenthun, Berlin: „Einführung in die Psychosomatik und Somatopsychologie“).

Die Methode nach der Neuen Homöopathie arbeitet daher absolut individuell, verwendet keine Merkmalschablonen oder Verhaltenskataloge (die Erich Körbler immer als unmenschlich bezeichnet hat) und versucht nie, verdrängte Erinnerungen an die Bewusstseinsoberfläche zu drängen. Ziel der Therapie ist es, gemeinsam mit dem Patienten, die Schlüssel der codierten Informationen zu ermitteln. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob der Patient sich an diese Schlüsselereignisse bewusst erinnern kann oder nicht. Mit Hilfe dieser Schlüssel werden in der Folge „Umschreibprogramme“ entwickelt, die darauf abzielen, den emotionalen Stress aus dem Langzeitgedächtnis zu verbannen. Dazu mehr im zweiten Teil „Die menschliche Psyche als Fraktal – Traumaarbeit am Körbler'schen Psychomeridian“.

Literatur

Becker, Robert O.: „Der Funke des Lebens. Elektrizität und Lebensenergie.“ Scherz Verlag, Bern/München/Wien 1991
Burda, Hubert und Maar, Christa (Hg.): „Iconic Turn: „Die neue Macht der Bilder.“ DuMont. Vlg. , Köln 2004
Kandel, Eric: Interview „Traumatische Ereignisse schmerzen – Neuronale Grundlagen des Gedächtnisses“. Österr. Wochenzeitschrift profil Nr. 26, Wien 2004
Mackenthun, Dr. Gerald: Skript zum Charité-Kurs „Einführung in die Psychosomatik und Somatopsychologie“. Berlin 1997
Mandelbrot, Benoit B.: „Die fraktale Geometrie der Natur“. Birkhäuser-Vlg., Basel, Boston, Berlin 1991
Servan-Schreiber, David: „Die Neue Medizin der Emotionen“. Kunstmann-Vlg., München 2004
Singer, Wolf: „Das Bild in uns – Vom Bild zur Wahrnehmung“. Aus: „Iconic Turn. Die neue Macht der Bilder“. Hg. v. Hubert Burda u. Christa Maar. Köln 2004
Toifl, Karl: „Lebensfluss zwischen gesund und krank“. Facultas Universitätsverlag, Wien 2004
Varela, Francisco/Maturana, Humberto: „Der Baum der Erkenntnis – Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkenens“. Scherz Verlag, Bern 1987
Wiener, Norbert: „Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine.“ MIT Press, 1948
Zeilinger, Anton: „Einsteins Schleier. Die neue Welt der Quantenphysik.“ Beck, München 2003

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