Glutensensitivität (NCGS) – Nicht mehr länger Einbildung

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Viele Menschen bemerken, dass sie Weizenprodukte nicht gut vertragen. Es ist gut, diese Beobachtungen ernst zu nehmen, wie unsere Autorin hier anschaulich macht. Sie informiert darüber, welche unterschiedlichen Ursachen es hierfür gibt und wie man sich selbst helfen kann. #T...
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Glutensensitivität (NCGS) – Nicht mehr länger Einbildung
Von Monika Frielinghaus, SHV e. V. (Selbsthilfeverein für Umweltgeschädigte e. V.), Heßdorf – raum&zeit Newsletter 226/2020

Viele Menschen bemerken, dass sie Weizenprodukte nicht gut vertragen. Es ist gut, diese Beobachtungen ernst zu nehmen, wie unsere Autorin hier anschaulich macht. Sie informiert darüber, welche unterschiedlichen Ursachen es hierfür gibt und wie man sich selbst helfen kann.

Falsche Ernährung

Wenn der Darm nicht mehr so mitspielt, wie er soll, dann fragt man sich natürlich: Was mache ich mit meiner Ernährung falsch? Zuerst denkt man vielleicht an ein wahrscheinliches Leck der Darmbarriere und lässt sich eventuell auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten untersuchen. Das wäre gut, denn zumeist handelt es sich entweder um eine Laktose-, Fruktose- oder Glutenunverträglichkeit. Bei der Glutenunverträglichkeit gilt es zu unterscheiden zwischen Zöliakie und Glutensensitivität. Die seltenere Zöliakie ist charakterisiert durch eine chronische Entzündung der Dünndarmschleimhaut aufgrund einer Überempfindlichkeit gegen das sogenannte Klebereiweiß Gluten. Eine Zöliakie weist Merkmale einer Allergie sowie auch einer Autoimmunerkrankung auf und ist sofort von der Glutensensitivität unterscheidbar, weil bei Zöliakie die Darmzotten nicht mehr vorhanden sind, die das Eindringen von Nahrungsbestandteilen (Permeabilität) in die Blutbahn verhindern. Zur Zöliakie ist vieles geschrieben worden und sie betrifft nur einen kleinen Prozentsatz der Menschen, die derzeit kein Gluten mehr verstoffwechseln können. Dieser Prozentsatz hat in den letzten Jahren jedoch drastisch zugenommen. Viele Betroffene merken dies jedoch gar nicht, weil sie – ohne weitere Nachforschungen unternommen zu haben – bemerkt haben, dass sie Weizen nicht gut vertragen und einfach auf andere Getreide wie Dinkel oder Kamut umgestiegen sind.
Es gibt neben der Zöliakie jedoch noch die Glutensensitivität, die jetzt als NCGS (non celiac gluten sensitivity) bezeichnet wird und inzwischen auch bei der Ärzteschaft angekommen ist. Das klinische Bild ist ähnlich wie bei einer Zöliakie geprägt durch entzündliche Reaktion der Darmschleimhaut auf Gluten. Es kann jedoch keine Autoimmunreaktion oder Weizenallergie festgestellt werden.

Neue Erkenntnisse zu Glutensensitivität

Hierzu gibt es inzwischen einige Veröffentlichungen, zum Beispiel in der Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin Nr. 32, Stephan Vavricka: „Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität“). 1
Auch eine Zuschrift an das Deutsche Ärzteblatt gibt einen guten Einblick in das Krankheitsbild: DÄ 16/2018, Kathrin Gießelmann: „Selbstdiagnose meistens falsch“. 2
Dr. Detlef Schuppan schrieb dazu einen Leserbrief, welcher psychosomatische Gründe zurückweist.
Bereits 2011 hat der Arzt und Autor Dr. Klaus-Dietrich Runow in seinem Buch „Der Darm denkt mit“ postuliert, dass Stress eine Glutensensibilität verursachen kann. Ich zitiere: „Ein chronisch erhöhter Cortisolspiegel (Stress) führt zu einem Absinken von sekretorischem IgA. Sekretorische IgA werden von der Darmschleimhaut gebildet und gelten als erste Abwehrfront gegen pathogene Keime. Niedrige Werte sind mit körperlichem und psychischem Stress sowie mit mangelhafter Nährstoffversorgung assoziiert. Hierdurch kommt es zu einer erhöhten Durchlässigkeit der Darmschleimhaut und häufig gleichzeitig zu einem Anstieg von Anti-Gliadin-Antikörpern. Stress kann also eine Glutensensibilität verursachen und triggern. Deshalb sollten im Rahmen einer Hormonanalyse neben Cortisol, DHEA auch Anti-Gliadin-Antikörper untersucht werden.“ 3
In diesem Zusammenhang ist meines Erachtens auch auf die zunehmende Belastung durch Hochfrequenzen hinzuweisen, welche ein nicht zu unterschätzender Stressfaktor für unsere Gesundheit sind. Die allgegenwärtige Bestrahlung mit WLAN, LTE, DECT-Telefonen und TETRA (Polizeifunk) bewirkt einen Dauerstress, weil der Einfluss über 24 Stunden bestehen bleibt. Alleine dieser Faktor kann Ursache für obige Entwicklung sein.
Die zunehmende Glutenunverträglichkeit könnte Auswirkungen auf die Nahrungsmittelindustrie haben. Würde sich das Wissen noch mehr verbreiten, wäre eine Zäsur für die Zunft der Bäcker unumgänglich. Immerhin bleiben aber noch Lebensmittel wie Quinoa, Amaranth, Buchweizen, Hirse und andere übrig, die glutenfreies Brot für Sensitive ergeben können.

Gluten

Bei Gluten handelt es sich um Speichereiweiße (Prolamine), die im Getreide vorkommen. Die längste Zeit, die der Mensch auf unserem Planeten verbracht hat, ernährte er sich glutenfrei; erst vor 10 000 Jahren gab es einen evolutionären Wandel und der Mensch wurde vom Jäger und Sammler zum Ackerbauern. Ein Bestandteil des Gluten ist Gliadin, aber auch andere Bestandteile können ursächlich für Unverträglichkeiten sein, so das ATI (= Proteine mit der Bezeichnung Amylase-Trypsin-Inhibitoren). Es handelt sich hierbei um Eiweißmoleküle, mit denen sich Pflanzen vor Fressfeinden schützen. Das Risiko für Folgeerkrankungen ist vergleichsweise gering, weil die Gewebszellen im Dünndarm nicht gezielt vom Immunsystem zerstört werden.

Basis für Folgeerkrankungen

Dr. Klaus-Dietrich Runow, Umweltmediziner der ersten Stunde, führt sogar Erkrankungen bis hin zu Krebs und rheumatoider Arthritis auf Glutenunverträglichkeit zurück! Zusammen mit dem Einsatz von Chemie in Kosmetika stellt dies eine wichtige Ursache bei der Entstehung von Krebs dar, wie ja 70 Prozent der Gründe für die Krebsentstehung im falschen Lebensstil begründet sind. Im Verbund mit der erhöhten Darmdurchlässigkeit wird auch die Blut-Hirn-Schranke ihrer Funktion nicht mehr gerecht. Das erwähnt der US-amerikanische Neurologe Dr. David Perlmutter. Nach seiner Auffassung ist unter anderem eine getreidebetonte Ernährung schuld an der Zunahme von Alzheimer und anderer Formen der Demenz. Gluten schädige als mitochondriales Gift die Energiezentralen unserer Zellen. Hierdurch komme es zu einer Abnahme des Volumens bestimmter Hirnareale.
Perlmutter sieht im Gluten eine grundsätzlich hirnschädigende Substanz. Er präsentierte dazu in einem Vortrag in New York Kernspin-Aufnahmen (MRT), die großflächige, milchige Veränderungen zeigen, welche an MS oder ein Tumorgeschehen erinnern. Es handelte sich jedoch um einen Patienten mit einer Glutensensitivität. Auch ADHS kann beispielsweise durch Unverträglichkeit von Glutenmorphinen und Casomorphinen hervorgerufen werden. Dr. Runow empfiehlt zur Verbesserung der Verdauungsleistung seinen Patienten unbedingt die Einnahme von Enzymen (pflanzliche Enzyme: Rechtsregulat, tierische HORVI 4).

Notwendige Differenzierung

Wichtig wäre es, Zöliakie, Weizenallergie und Glutensensitivität voneinander klar zu unterscheiden. Das sollte wohl internistisch geklärt werden, wobei die NCGS fatalerweise derzeit noch nicht diagnostiziert werden kann. Das führt immer noch Mediziner zu dem Glauben an eine psychosomatische Erkrankung!
Forschungsarbeit von internationalem Rang hat zu allen Erscheinungsbildern der Glutenunverträglichkeit Prof. Dr. Alessio Fasano, Professor für Ernährung an der Harvard T.H. Chan School of Public Health in Boston, USA, geleistet. Er wurde für seine bahnbrechenden Entdeckungen der Auswirkungen des Zonulins mit dem Linus-Pauling-Preis ausgezeichnet und konnte zeigen, dass ein Auslöser für die Zonulin-Freisetzung der Kontakt der Darmzellen zu Gluten ist. Mit Zonulin assoziiert sind: Autoimmunerkrankungen wie Morbus Bechterew, Asthma, rheumatoide Arthritis, entzündliche Darmerkrankungen, Multiple Sklerose, Typ 1 Diabetes sowie auch Krebserkrankungen wie zum Beispiel Brustkrebs, Gliome oder auch Pankreaskrebs.
Letztlich ungeklärt ist, warum bei vielen die Toleranz von Produkten mit Weizen, Roggen oder Gerste verloren gegangen ist. Umwelteinflüsse scheinen den Ausschlag dafür zu geben und die Häufigkeit von Erkrankungen jenseits der 50 nimmt stark zu. Seit 1974 hat sich das Auftreten dieser Unverträglichkeiten alle 15 Jahre verdoppelt. Mittlerweile dauert es bis zur Diagnosestellung noch länger als bei der Multiplen Chemikaliensensitivität (dort sind es circa 8 bis 10 Jahre), hier im Mittel 11,7 Jahre!

Glutendiagnostik bei chronischen Erkrankungen

Hier möchte ich Dr. Runow zitieren:
„Da die meisten Zöliakiepatienten keine klinischen Symptome zeigen, geht der Neurologe Dr. Perlmutter davon aus, dass die heutige Zahl an Zöliakiepatienten 20-fach höher ist als noch vor zwei Jahrzehnten. Moderne Diagnostik sollte über das kassenärztliche Spektrum hinausgehen. Bei chronischen Erkrankungen müssten Speichel-, Blut- und Stuhlanalysen durchgeführt werden, um folgende Bereiche abzuklären:

• Gluten- und Nahrungsmittelunverträglichkeiten

• Gestörte Darmflora (Dysbiose, Candida, Parasiten)

• Pankreasinsuffizienz (Enzymmangel)

• Eine erhöhte Durchlässigkeit (Leaky Gut).“

Soweit Dr. Runow; es können sich jedoch die wenigsten von uns eine umfangreiche Diagnostik leisten, also empfiehlt sich eine Auslass-Diät. Diese sollte zum einen das Weglassen aller Getreide beinhalten, zum anderen das Weglassen aller Kuhmilchprodukte. Falls beides nicht vertragen wird, handelt es sich um eine Peptidunverträglichkeit. Zumeist können aber Ziegenmilchprodukte und Schafskäse verstoffwechselt werden.
Falls zur Unterstützung Probiotika eingenommen werden, ist darauf zu achten, dass sie so verkapselt sind, dass sie auch dort ankommen, wo sie benötigt werden, denn sie müssen den sauren Dünndarm passieren und immer noch wirksam sein. Eine allgemeine Unterstützung durch Omega 3, D3, K2, Vitamin C (aber kein Ascorbin !), Selen, Gluthation, Coenzym Q10 sowie Sangokoralle und bei Vegetariern B-Vitamine scheint angeraten, um das darm-assoziierte Immunsystem widerstandsfähiger zu machen. Wer auf Selbsthilfe angewiesen ist, kann durch Austesten herausfinden, welche Produkte jeweils benötigt werden. Da sehr viel mehr Menschen von diesem Beschwerdebild betroffen sind als sie ahnen, ist eine Auslassdiät wärmstens zu empfehlen – vielleicht brauchen Sie dann weder Heilpraktiker noch Arzt.

Fußnoten

1 https://storage.zgh.ch/publikationen/Nicht-Zoeliakie_Glutensensitivitaet.pdf

2 https://cdn.aerzteblatt.de/pdf/115/16/a758.pdf?ts=17%2E04%2E2018+10%3A30%3A38

3 Dr. Klaus-Dietrich Runow: „Der Darm denkt mit: Wie Bakterien, Pilze und Allergien das Nervensystem beeinflussen“, Südwest Verlag 2011

4 Anmerkung: Pflanzliche Enzymprodukte gibt es viele frei verkäufliche: Zumeist enthalten sie Bromelain und Papain, auch kaskadenfermentierte Produkte sind hier zu nennen. Die tierischen Enzyme bei HORVI werden aus Schlangengiften gewonnen, bei denen die Ent-Eiweißung Voraussetzung gewesen ist. Sie werden seit 70 Jahren in der Naturheilkunde eingesetzt.

Die Autorin

Monika Frielinghaus, geboren 1950, hat im Juli 2005 zusammen mit Umweltmedizinern aus ganz Deutschland die Initiative SHV e. V. – Selbsthilfeverein für Umweltgeschädigte gegründet (www.shv-umweltgeschaedigte.de). Durch die Vernetzung unter anderem mit dem Europäischen Umweltbüro (EEB) kooperiert sie mit nationalen und internationalen Organisationen.

 

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