Patentamt außer Kontrolle

Warum darf es Patente auf Leben geben?

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© Collage iStock.com/Vincent Giordano; Snaprender

Patente sollen den Forschungsdrang von Erfindern belohnen. Die Idee dazu kommt aus einer Zeit, in der die elektrische Glühlampe noch auf ihre Erfindung wartete. Dasselbe Recht wird heute auf die Gen- und Biotechnologie übertragen und stößt dort an seine Grenzen. Denn in den letz...
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Patentamt außer Kontrolle
Von Norbert Busche, Wolfratshausen – raum&zeit Ausgabe 166/2010

Patente sollen den Forschungsdrang von Erfindern belohnen. Die Idee dazu kommt aus einer Zeit, in der die elektrische Glühlampe noch auf ihre Erfindung wartete. Dasselbe Recht wird heute auf die Gen- und Biotechnologie übertragen und stößt dort an seine Grenzen. Denn in den letzten zehn Jahrenwurden in Europa hunderte Pflanzen und Tiere zum „geistigen Eigentum" ihrer „Erfinder"erklärt. Demnächst tragen wohl auch Fleisch oder Milch Patente. Das ist ethisch zumindest fragwürdig und deckt eine Erosion des Patentwesens an gleich mehreren Stellen auf. 

Was sind Patente

Die „Krebsmaus“ der Harvard Universität war die erste Maus mit humanem Krebsgen.
© Science Museum South Kensington

Bild rechts: © Science Museum South Kensington

Es war einmal eine Maus, die besaß ein Gen zuviel. Sie teilte es mit ihren Kindern und während diese noch jung waren, bekamen sie schon Krebs. Die „Krebsmaus“ war geboren, das künstlich eingepflanzte Gen prädestinierte sie dafür, Tumore zu entwickeln. 1985 als „Durchbruch“ für die Krebsforschung gefeiert, wurde die Krebsmaus zum Dammbruch für Patente auf Leben. Denn die Maus, die zunächst vor allem eine Maus ist, trägt ein Patent. Seit 1988 in den USA, seit 1992 auch in Europa.
Patente sind Belohnungen für Erfinder. Sie belohnen den Einfall, den Forschungsgeist und die Hartnäckigkeit von Lötkolben-Jongleuren und anderen Technikern. Im Patentwesen gelten vor allem drei Kriterien, die seit 1877 dieselben geblieben sind: Es muss sich um eine technische Erfindung handeln, die erstens neu ist und zweitens eine gewisse „Erfindungshöhe“ aufweist. Sie muss dem Stand der Technik also wesentlich voraus sein. Drittens muss die Erfindung kommerziell anwendbar sein. Sind die Kriterien erfüllt, erhält der Erfinder einen Rechtsbrief: Für eine bestimmte Zeit, höchstens für 20 Jahre, gehört die Erfindung dem Erfinder allein. Er kann Geld mit ihr oder mit Lizenzen zur Nutzung der Erfindung verdienen. Ein Patent bedeutet dagegen nicht, dass die Erfindung geheim bleibt.
Im Gegenteil geht mit der Patentierung eine Veröffentlichung des ursprünglichen Betriebsgeheimnisses einher, das der Konkurrenz als Blaupause für eigene Forschungen dienen und deren Innovationsdrang wecken soll. Ein Patent ist nicht nur eine Belohnung für den einen, sondern auch ein Anreiz für den anderen Erfinder. Über ein Jahrhundert ging das gut. Bis dann die Züchter der Krebsmaus kamen und ein Tier als technische Neuheit vorstellten.

In dubio pro Inventore

Genau genommen war es nicht die Maus selbst, die ein Patent erhielt, sondern die Methode, das Genom eines Säugetieres so zu manipulieren, dass das Tier mit hoher Wahrscheinlichkeit an Krebs erkrankt. Darf man das? Und können Mitarbeiter eines Patentbüros ethische Fragen klären?
Diejenigen, die über einen Antrag befinden, waren schon früher nicht zu beneiden, als Erfindun dennoch mechanische oder elektronische Gebilde waren. Die Beamten sollen sich umfassend in allen technischen Fragen auskennen und entscheiden, ob eine Erfindung tatsächlich patentwürdig ist. Mit dem gesellschaftlichen Wechsel von der Industrie- zur so genannten Informationsgesellschaft wandelte sich der Kittel der Erfinder vom Blauen ins Weiße, Lötkolben und Schraubenzieher wurden zu Pipetten und Sequenzierautomaten. Doch dasselbe alte Patentrecht wird auf alles neue Technologische angewendet; eine Größe soll allen passen, gleichgültig ob in der Elektro- oder der Biotechnologie. Die Größe, die am ehesten allen passt, ist XL: „In dubio pro Inventore" – im Zweifel für den Erfinder und bloß nicht dem technischen Fortschritt im Weg stehen. Wer mit der Patentvergabe nicht einverstanden ist, kann schließlich Einspruch einlegen. Biopatente, an die 1977, als das Europäische Patentamt gegründet wurde, niemand dachte, profitieren von der XL-Größe. Mit ihnen spielen plötzlich neben technischen auch ethische Überlegungen eine Rolle. Wer aber legt Einspruch ein, wenn eine Entwicklung unbestreitbar neu, jedoch moralisch verwerflich ist? Die Konkurrenz? Auf welcher rechtlichen Grundlage überhaupt?
Es rächt sich, dass es Gesetzgeber versäumten, Gutachtern eine detailliertere und weniger widersprüchliche Anleitung mitzugeben als Paragraf 53(a) des Europäischen Patentübereinkommens. Demnach sind „Erfindungen, deren Veröffentlichung oder Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würden" von der Patentierung ausgeschlossen. Doch derselbe Absatz sagt auch, der Verstoß könne „nicht allein aus der Tatsache hergeleitet werden, dass die Verwertung der Erfindung in allen oder einem Teil der Vertragsstaaten durch Gesetz oder Verwaltungsvorschrift verboten ist." Wen man auch fragt, was in der Praxis genau von der Patentierungausgeschlossen ist, man kann fast darauf wetten, dass die Antwort lautet, die Briefbombe ließe sich nicht patentieren. Als sei ein Bonmot Ersatz für eine Erklärung, als ginge jenseits der Briefbombe alles. Möglicherweise geht jenseits der Briefbombe alles.

Edinburgh wird zum Waterloo

Isar-Gebäude des Europäischen Patentamts in München
© EPA

Bild rechts: © Greenpeace

Im Dezember 1999 gewährte das Europäische Patentamt in Münchender Universität Edinburgh ein Patent, das zum Waterloo der Behörde werden sollte. Das Patent erstreckte sich auf die Gewinnung von Stammzellen ausmenschlichen Embryonen und schloss auch Techniken des Klonens ein. Ein Jahr zuvor hatte das Europaparlament in dessen Biopatent- Richtlinie das „Briefbomben-Verbot" immerhin so weit konkretisiert, dass Patente auf und das Klonen von Menschen in ihrer Gesamtheit verboten sind. Die Richtlinie ließ aber offen, inwieweit dieses Verbot auch für Embryonen galt. Die Forscher aus Edinburgh erhielten ihr Patent. Zum ersten Mal in seiner Geschichte musste das Patentbüro öffentlich einen Fehler gestehen und dann ausgerechnet in einem so symbolischen Fall. Obendrein musste es noch zugeben, selbst nicht in der Lage zu sein, den begangenen Fehler zu korrigieren. Greenpeace hatte zwar öffentlichkeitswirksam den Eingang des Patentamts verbarrikadiert, jedoch versäumt, den weniger auffälligen dafür jedoch wirksameren Weg zu gehen, eine Beschwerde gegen das Patent einzulegen. Das taten dann drei Regierungen, die Italiens, Deutschlands und der Niederlande, außerdem einige Mitglieder des Europaparlaments. Das Patentwesen, einst die staubige Ecke des sonst spiegelglatten Rechtsparketts, stand für Tage in den Schlagzeilen. Das Patent wurde gelöscht, aber die Ruhe nicht wiederhergestellt. In der Öffentlichkeit galt das Patentamt nicht länger als eine von vielen Behörden, die einfach ihrer Arbeit nachgehen und Recht umsetzen – so wie das Einwohnermeldeamt. Das Patentbüro, nicht eine Universität, nicht eine Ethikkommission der Vereinten Nationen, stand an vorderster Front von Debatten, in denen es um Leben und Würde ging, darum was der Mensch darf und was er sein Eigen nennen darf.
Den Klägern war das ganz recht, es ging ihnen sogar um nochmehr. Es ging ihnen darum, das Fundament des Europäischen Patentamts infrage zu stellen. 

Amt mit Demokratiedefizit

Greenpeace-Protest
© Greenpeace

Bild rechts: © Greenpeace

Als Erfinder sich noch nicht mit Doppelhelixen und Gensequenzierungen beschäftigten und die europäische Einheit noch nicht so fortgeschritten war, wurden Patente ausschließlich von der Konkurrenz angefochten. Die Konkurrenz konnte sagen, dass ein Patent komplett widerrufen gehöre, zum Beispiel, weil die Erfindung nicht neu sei. Oder sie konnte verlangen, den „Scope“ des Patents zu verringern, also den Umfang, über den sich das Schutzrecht erstreckt. Wer sich seiner Sache sicher war, konnte auch einfach die patentierte Erfindung unerlaubt nutzen und eine Klage des Patentinhabers abwarten. In jedem Fall beschäftigte sich ein Patentgericht mit dem Fall. Beide, das Patentamt als Exekutive und das Patentgericht als Judikative, hielten sich an die Gesetzgebung der nationalen Parlamente, der Legislative. Mit der europäischen Einigung entstand rasch das Bedürfnis, zusätzlich ein europäisches Patentwesen einzurichten. Warum sollten Erfinder vor einer Vielzahl Patentbüros dieselbe Erfindung anmelden?
So entstand ein supranationales Gebilde, die Europäische Patentorganisation (EPO) mit eigenem Patentamt (EPA), innerhalb eines anderen supranationalen Gebildes, dem der Europäischen Union. Ein Europäisches Patentgericht ist zwar angedacht, besteht jedoch nicht. Stattdessen besitzt die EPO Beschwerdekammern, die zwar offiziell unabhängig sind, sich jedoch im selben Haus befinden wie das Patentamt. In ihnen sitzen auch Techniker, die sonst als Entscheider Patentanmeldungen begutachten. Wer Staatsdiener ist, weiß, dass Gesetze in der Regel zu allgemein für eine direkte Umsetzung formuliert sind und deshalb durch Ausführungsvorschriften ergänzt werden. Für das EPA gibt es keine unabhängige Behörde, die Ausführungsvorschriften erlässt. Das EPA ist Exekutive, weil es Recht umsetzt. Es ist aber zugleich Legislative, weil die Gutachter das grobe rechtliche Raster durch die Praxis der Patentgewährung und -verweigerung verfeinern und sich so ihre eigenen Ausführungsvorschriften schaf fen. Die Beschwerdekammern wiederum gleichen Gerichten. Die Patentorganisation ist auch finanziell unabhängig. Sie finanziert sich durch die Patentgebühren, die mit der Anmeldung und der jährlichen Verlängerung fällig werden. Wesentlicher als die Ironie, dass Staaten nur dann Erfinder mit Patenten belohnen, wenn diese für ihre Belohnung zahlen, ist der Verdacht , dass Patente nicht nur nach der Methode „im Zweifel für den Erfinder“ vergeben werden. Die Vergabepraxis könnte auch dem Motto „im Zweifel für unsere finanzielle Unabhängigkeit“ folgen.
Als das Edinburgh-Patent in den Schlagzeilen stand, wurde einer staunenden Öffentlichkeit deutlich, dass in München ein sich selbst erhaltendes Gebilde steht, in dem Staatsdiener arbeiten, die von keinem Parlament und nur von hauseigenen Beschwerdekammern kontrolliert werden. Ein Wesen, das an jedem gewährten Patent Geld verdient und nun darüber befinden soll, ob sich auch Patente auf Leben erteilen lassen. Fehlende parlamentarische Kontrolle – das mag erstaunlich klingen vor dem Hintergrund, dass das Europaparlament 1998 die Biopatent-Richtlinie erlassen hatte, die im folgenden Jahr vom Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation übernommen wurde. Dazu muss man wissen, dass das Europaparlament kein legislatives Initiativrecht besitzt, also über Gesetze abstimmen, aber keine vorschlagen darf. Zudem hätte wohl nicht einmal der Verwaltungsrat den Gesetzestext übernehmen dürfen. Denn das gesetzgebende Element der Europäischen Patentorganisation ist dessen Diplomatische Konferenz. In diesem sitzen Minister der Staaten, die der Europäischen Patentorganisation beigetreten sind. Im Verwaltungsrat sitzen dagegen die Vorsitzenden der Landes-Patentämter. Biopatente sind damit in Ländern wie der Schweiz und der Türkei gültig, ohne dass deren Volksvertreter an der vorangegangenen Diskussion beteiligt waren. Dr. Ingrid Schneider von der Forschungsgruppe Biotechnik, Gesellschaft und Umwelt der Universität Hamburg kommt in einer Forschungsarbeit über die Europäische Patentorganisation zu dem Schluss, dass es keine Institution gibt, die dem Patentamt Vorgaben macht, was patentierbar ist und was nicht: „Es ist vielmehr die Praxis, die entscheidend für die Entwicklung des Patentwesens ist.“

Erst patentieren dann denken

Unternehmen, gerade auch aus der Biotechnologie, scheinen zu wissen, dass die bisherige Vergabepraxis entscheidet, ob ein angestrebtes weiteres Patent vergeben wird. Abgesehen vom unsäglichen und später widerrufenen Edinburgh-Patent gleicht das Vorgehen von Biotechnologie-Unternehmen einer Salami-Taktik, bei der die Scheibchen dicker werden. Mit jedem bewilligten Patent treten die Unternehmen selbstbewusster auf und fordern noch etwas mehr. So erreichen sie eine schrittweise Erosion des Patentrechts.
Ursprünglich sollten sich nur Erfindungen patentieren lassen, nicht jedoch Entdeckungen. Heute werden Gensequenzen patentiert, die seit ewig Teil des Genoms einer Pflanze oder eines Tieres sind und nicht erfunden, sondern vielmehr entdeckt wurden. Es reicht, wenn die DNA Teile einen verwertbaren Zweck erfüllen. Das ist zumindest in Deutschland seit 1977 gängige Praxis. Damals fällte das Bundespatentgericht seine „Knollenblätterpilzentscheidung" und bestimmte, dass sich ein Patent nicht nur auf ein bestimmtes Verfahren, sondern auch auf den dadurch gefundenen Stoff erstrecken kann, denn der habe ja bis dahin „nicht existiert". Dass das typisch für eine Entdeckung ist – Karl der Große wusste von Amerika nichts, trotzdem existierte es – muss dem Gericht entgangen sein. Ursprünglich sollten sich nur Zuchtverfahren patentieren lassen, die nicht „im wesentlichen biologisch" sind. Heute werden auch klassische Zuchtmethoden patentiert, in dieein bisschen Technik gestreut ist, und deren Zahl nimmt rasant zu: 2008 machten diese Anträge etwa 25 Prozent aller Patentanträge auf Pflanzen und Saatgut aus, während sie in den Jahren 2000 bis 2002 noch unter fünf Prozent lagen.
Ursprünglichsollten sich Erfindungen deutlich von dem Stand der Technik abheben. Heute wird von einer „Patent-Blase" gesprochen, bei der die Entwicklungsschritte immer kleiner, der Scope – die Bereiche, über die sich die Schutzrechte erstrecken – dagegen immer größer werden. Manche Patente listen in mehreren hundert Punkten, was alles geschützt werden soll. Ein Patent im Anmeldeverfahren soll Fleisch, Milch und Butter „schützen" und reiche „bis auf den Tisch des Verbrauchers", so Ruth Tippe vom Verein „Kein Patent auf Leben".
Ursprünglich sollte aus Patenten deren kommerzielle Verwendbarkeit deutlich werden. Heute reicht es, wenn Antragsteller schreiben, das Patent sei für Gentests oder für die medizinische Forschung interessant. Damit wird die Anwendbarkeit spekulativ. 2004 fiel auf einer Konferenz der Patentorganisation die Bemerkung, Antragsteller gingen zuweilen nach dem Muster „erst patentieren, dann denken" vor.
„Als einziges festes Kriterium bleibt nach der Erosion der anderen unterscheidenden Gesichtspunkte der Aspekt der Neuheit"
, so Dr. Schneider, auch wenn das einzige Neue an einer DNA-Sequenzist, dass sie zum ersten Mal isoliert wurde. „Das hat zu einem Rennen auf das Patentamt geführt. Um ein Patent zu erlangen, müssen Antragsteller vor allem schnell sein." Wer zu spät kommt, den bestraft das Patentbüro. 

Selbstverstärkende Erosion der Kriterien

An der Entwicklung ist das Patentamt möglicherweise nicht ganz unschuldig. Patente sichern nicht nur einen Geldfluss, es ist auch weniger aufwändig, ein Patent zu gewähren als es abzulehnen, denn nur die Ablehnung muss begründet sein. Vielleicht ist es so, dass, um einen Stau aufzulösen, das Patent lieber gewährt wird. Dr. Schneider hält das für möglich, obwohl es in keinem technologischen Bereich so lange dauert, bis über ein Patent entschieden ist, wie in der Biotechnologie, nämlich 60 Monate. Im Automobilbau sind es 36 Monate. Schließlich regeln Einsprüche nicht die Gutachter, sondern die Beschwerdekammern, und zwar jährlich 1 200 von 2 800 im Jahr 2008 eingereichten. Vorschnell vergebene Patente, Dr. Schneider nennt sie „Patente niedriger Qualität“, ermuntern dazu, weitere Patente einzureichen. Denn Patente erhöhen den Wert des Unternehmens und lassen sich auch anders strategisch nutzen, etwa indem sie Mitbewerber ausschließen. Aus den USA kommen Berichte, dass Forscher ihr Projekt eingestellt haben, weil sie nicht imstande waren, die hohen Patentkosten aufzubringen. Patente, die Grundlegendes wie Gensequenzen zu etwas Exklusivem erheben, fördern nicht die Forschung, sondern behindern diese, weil andere als die „Erfinder“ die Sequenz möglicherweise nicht mehr isolieren dürfen. In der Medizin kann das fatale Folgen haben.
Sollte das Amt Patente niedriger Qualität bewilligen, um einen Überhang an Bewerbern abzubauen, ermutigt das Industrie und Forscher, weitere Patente (noch) niedriger Qualität anzumelden. Das wiederum erhöht das Arbeitsvolumen der Entscheider, die sich mit den vorherigen Bewilligungen selbst um die Argumente für die Zurückweisung gebracht haben. So entsteht ein sich selbst verstärkender Prozess, der Forschung nicht fördert, sondern behindert und der nicht Rechtssicherheit, sondern Unsicherheit schafft. Zudem sprechen Gutachter während der Verhandlung über die Patentvergabe zwar mit den Antragstellern, nicht jedoch mit der Opposition. Im günstigsten Fall stehen Demonstranten noch vor der Verleihung vor der Tür und halten Transparente mit allgemein gehaltenen Aussagen hoch, die eher an die Öffentlichkeit als an die Entscheider adressiert sind. Dadurch könnten Gutachter dazu tendieren, eher der Meinung der Antragsteller zu folgen.

Wer verankert ethische Kriterien

Manche Kritik ist unfair. Kritik am Patentamt sollte zuweilen lieber die Urheber der Patente treffen. Ein Patentbüro ist schließlich keine moralische Kontrollinstanz, zumal das Moralgefühl der Öffentlichkeit erstens Änderungen unterworfen und zweitens heterogen ist. Änderungen des moralischen Empfindens können sich zudem auch an der Nutzung technischer Entwicklungen entzünden. Anhand welcher Kriterien sollen Entscheider urteilen, ob eine Entwicklung gesellschaftlich wünschenswert ist, wenn schon der Gesetzgeber zu kaum mehr in der Lage ist als butterweiche Erfindungen, die „gegen die guten Sitten" verstoßen, von der Patentierung auszuschließen. Für den Vatikan verstoßen schon Verhütungsmittel gegen die guten Sitten. Im Übrigen wies der damalige forschungspolitische Sprecher der Bündnisgrünen, Manuel Kiper, schon 1998 darauf hin, dass Patentverfahren und Zulassungsverfahren voneinander getrennt sind. Ein gewährtes Patent bedeutet keine Gewähr für eine Zulassung. Umgekehrt bedeutet ein verweigertes Patent kein Verbot, die nunmehr vor „geistigem Diebstahl" ungeschützte Ware in Verkehr zu bringen. Vielleicht bringen sie nur noch mehr Unternehmen in Verkehr. Ob genmanipuliertes Saatgut zugelassen wird, entscheidet nicht das Patentamt. Die Offenlegung nicht nur der Erfindung, sondern auch des gewünschten Schutzumfangs, wie es für das Patentwesen typisch ist, bietet auch manch wunderbaren Einblick in die dunkelsten Träume von Geschäftsführern – Großmachtansprüche, die sonst womöglich auf Chefetagen und hinter verschlossenen Türen blieben. Wenn Patente heute schon nicht mehr unbedingt Innovationen und Wettbewerb fördern, dann vielleicht immerhin gesellschaftliche Debatten. Politiker könnten frühzeitig rechtliche Grenzen setzen und die Träume daran hindern, Realität zu werden. Die Europäische Patentorganisation könnte dafür einen Ethikrat einrichten, der jedes Mal öffentlich mit der Patentanmeldung wedelt, wenn in ihr eine Sau durchs Dorf gejagt wird.Zum Beispiel die Sau, die Monsanto gerade patentieren möchte. Schnitzelträger,die mit Monsantos genmanipuliertem Soja gefüttert werden, sollen demnächst ebenfalls Monsantos geistiges Eigentum sein. Wem bislang die Fantasie fehlte, sich vorzustellen, dass manche Unternehmen gerne für Nahrungsmittel das werden wollen, was Google für das Internet und Microsoft für Betriebssysteme heute bereits sind, wird hier eines Besseren belehrt. Noch besser wäre es natürlich, die Diplomatische Konferenz der Europäischen Patentorganisation setzt sich zusammen und streicht die Möglichkeit, Leben zu geistigem Eigentum zu erklären.
Wenn alle Stricke reißen, bleibt nur der Trost, dass Patente verfallen. In knappzwei Jahren ist die Krebsmaus nur noch wieder eine Maus. 

Der Autor

Norbert Busche
arbeitete nach einem Studium in Pädagogik und Kommunikation als Buchautor, Dozent und Produzent von Lernmedien.
Für den Ehlers Verlag schreibt er seit März 2009.

Quellen

Europäisches Patentamt; Monsanto Deutschland; Kein Patent auf Leben e.V.; Greenpeace; Manuel Kiper: „Biopatente und Politik“, in „Kommune“ Juni 2001; Interview mit Dr. Ingrid Schneider, Universität Hamburg; Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen; European Patent Convention; Germanwatch

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