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Bayern wollen Gründe statt Begründungen

raum&zeit-Kolumne von Manfred Jelinski

Die Wahl in Bayern war, wie man in den Medien sieht, hochinteressant. Ich weilte gerade in Luxemburg und fand in der Senderliste des Fernsehers den Bayerischen Rundfunk. Und konnte eine Talkrunde der Spitzenkandidaten genießen.
Selten sah ich so ein offenes Buch. Gut, ich bin kein Bayer, aber man kann verstehen, wenn man einfach nur zuguckt. Die etablierten Parteien hatten viel verloren und kamen jetzt mit Begründungen, fast den Tränen nahe. Und ich hörte die alten Worthülsen. „Wir müssen das Ergebnis analysieren (Lieblingswort) und wir haben unsere Ziele nicht genügend kommunizieren können.“ So ungefähr konnte man CSU und SPD zusammenfassen, wobei die CSU noch einen Rückhalt bei „Mir san mir“-Wählern hatte und trotz Stimmenflucht die Regierung beanspruchen kann. FDP und Freie Wähler freuten sich einfach nur über den Wahlerfolg von zwei bis drei Prozent Stimmenzuwachs.
Wirklich interessant aber waren die Reden der Vertreter von AfD und den Grünen, deren Zuwachs bei beiden über zehn Prozent lag. Sie griffen nämlich jeweils ganz einfache Themen auf, und das in einer ganz normalen Sprache. Nicht nach allen Richtungen politisch korrekte, auswendig gelernte intellektualisierte
Verschwurbelungsworthülsen, sondern Klartext wie in einer Diskussion am Biertresen. „Soziale Gerechtigkeit“, was ist das denn wirklich, hm?
Nachfolgend gab es eine „Analyse“ von Robert Habeck, der zurzeit einen kometenhaften Aufstieg verzeichnen darf. In gewisser Hinsicht sagte er in einfacher Sprache genau das.
Ich denke, das normale Wahlvolk ist nicht akademisch. Man möchte nicht „analysieren“ und „kommuniziert werden“. Man möchte etwas ganz anderes. Und das ist sooo einfach.
Man musste folgendes zur Kenntnis nehmen:
Betrug ist okay, wenn man Autohersteller ist.
Kindesmissbrauch ist okay, wenn man Priester ist.
Geldwäsche ist okay, wenn man Großbanker ist.
Umweltverschmutzung und Klimasünden sind okay, wenn man die Bundeswehr kommandiert. Oder Kreuzfahrtschiffe betreibt. Oder eine Luftfahrtgesellschaft.
Zuzuschauen, wie Menschen ertrinken, ist okay, wenn man europäischer Politiker ist.
Wenn man ganz viel Strom verbraucht, wird das ganz billig und ist dann auch ökologisch.
Wenn viele Arbeitsplätze in Gefahr wären, ist der Klimaschutz egal.
Wenn eine große Firma lügt und betrügt, oder wenn ein Politiker aus Gefolgschaft für eine Firma Fehler macht, muss der Steuerzahler einspringen, nicht die Personen, die verantwortlich sind.
Und letztlich: Wenn man einen internationalen Konzern hat, muss man in Deutschland keine Steuern zahlen.
Das ist wohl so, erkennt die Wählerschaft. Aber wie erklärt es sich mit dem gesunden Gerechtigkeitsgefühl eines Menschen, das ja auch in allen Kinderfilmen gefordert wird? Wofür kämpft ein Politiker wirklich, wenn darüber nicht angemessen und verständlich gesprochen wird?
Und was ist für traditionelle Politik wichtig?
Leuten, die es sich leisten können zu bauen oder eine Wohnung in München zu kaufen, „Baukindergeld“ zu geben.
Zehn oder zwölf Migranten an drei ausgewählten Kontrollstellen abzufangen.
Kinder (und Eltern! ) durch mehrfache Lern- und Rechtschreibreformen zu schicken, die nachher wieder zurückgenommen werden.
Das Gymnasium auf acht Jahre reduzieren, damit die Industrie früher Fachkräfte bekommt. Und das auch wieder zu ändern.
Kinderzuschläge oder Steuervergünstigungen den Empfängern von Hartz 4 gegenzurechnen, also abzuziehen.
Investitionen an der Börse steuerlich zu unterstützen.
Möglichst immer neue Gesetze zu erfinden. Bis sie selbst nicht mehr durchblicken. (Siehe DSGVO) Und die nur für kleine Leute gelten.
Ach, man könnte noch so viel dazu sagen. Übrigens: In Luxemburg ist Wahlpflicht. Am Sonntag, kurz vor meinem Remote Viewing-Workshop mussten alle Teilnehmer erstmal wählen gehen. Man kann sich schaudernd überlegen, was in Deutschland passieren würde, wenn all die Protest-Nichtwähler zur Wahlurne gehen müssten.
Und für alle, die gern wüssten, wie man es genau macht, sich über nominelle Gesetze zu stellen, sei ein neues Buch empfohlen: „Bad Bank“ von Dirk Laabs.
In dem man mal wieder sieht, dass die Realität jeder Film-Fiktion bei Weitem überlegen ist.

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