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Das Ei ist heilig

Die kleinen Dinge unserer Gesellschaft (1)

raum&zeit-Kolumne von Manfred Jelinski

Die entscheidenden, hochpolitischen Dinge in einer Gesellschaft sind einfach und klein. Darüber möchte ich schreiben. Heute zum Thema Ei.
Ich höre das morgendliche Wort zum Tage. Es spricht der katholische Pfarrer Ulrich Lüke. Ich gehöre keiner Kirche an, aber ich höre zu. Er bezieht sich auf Günther Grass, aber egal, er nimmt das Zitat ja in seinem Sinn.
Er fragt sich,
„ob das Ei vielleicht bebrütet werden wollte“. Oder ob es vergeblich an die innere Schalenwand kritzelt, dass es als Huhn in die Freiheit möchte und nicht mit einer Prise Salz im hungrigen Magen eines Menschen landen.
Eine schwerwiegende Frage, vielleicht sogar an die Wissenschaft.
Kann man ein Ei befragen? Schwierig. Vielleicht kann man anders herum argumentieren, nämlich mit dem Glauben.
Weil wir ja von Gott erschaffen sind, ist es doch logisch, dass jedes Ei bebrütet werden muss, denn dazu ist es ja da. Das Essen wäre dann sogar Sünde! Weitergedacht sollte jede Frau vom ersten möglichen Zeitpunkt an dann täglich Geschlechtsverkehr haben, um ja keine mögliche Befruchtung auszulassen! Sterilisationen, auch an die Männer gerichtet, wäre dann auch Sünde! Jeden Tag poppen! Auch die einsame Nachbarin vögeln, ob sie will oder nicht!
Das wäre konsequente Glaubensauslegung. Alles andere ist gegen Gottes Willen. Man kann dem Pfarrer dankbar sein, dass er das mal ausspricht!
Und dann dieser Paragraph 219a! Nicht genug damit, dass der Staat durch die Erlaubnis, eine Schwangerschaft abzubrechen, sich versündigt. Es gibt sogar eine staatliche Stelle, die dazu willige Frauen berät! Die Frau ist doch dazu geschaffen, Gebärmaschine zur Ehre Gottes zu sein! Da kann man sie nicht auch noch beraten! Und weil das Gesetz sowieso von Ungläubigen gemacht wurde, muss es logischerweise mindestens strafbar sein, wenn ein Arzt darüber informiert.
Na gut, steigen wir also in das juristische Unterholz, ja, Dickicht der Rechtsprechung ein. Wir haben ja einen säkularen Staat.
Halten Sie sich an die Regeln!“, sagte in einer Radiodiskussion die rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU im Bundestag Elisabeth Winkelmeier-Becker zu der Ärztin Kristina Hänel, die für ihre Verurteilung wegen Schwangerschaftsbewerbung ebenfalls in der Runde des Deutschlandfunks saß. „Sie dürfen nicht sagen, dass Sie so etwas machen. Die betroffene Frau muss erst die Bundesberatungsstelle besuchen, und sie findet im Internet auch sonst jede Menge Information. Da muss kein Arzt kommen und sagen: Ich mach das!“
Aha, denkt der schlaue Bürger, dann ist ja alles geregelt, wenn wir uns nun schon von Gott so sehr gelöst haben.
Also, wir gehen ins Internet. Da gibt es Wikipedia. Sehr informativ. Aber können wir Wikipedia trauen? Man hört ja immer wieder, dass da auch Fake News verbreitet werden. Also nächste Seite!
Buah, ist das grausam! Sowas sieht man ja in keinem Splatterfilm! Blutige Innereien und Gebein! Dass mir das aber nicht in Kinderaugen gerät, die ja immer sensationsgeil mit dem elterlichen Smartphone das Internet durchstreifen. Ob da vielleicht §131a greift, nach dem das Zeigen von Grausamkeiten verboten ist? Naja, es heißt dort
„zur Verherrlichung und Verharmlosung geeignet“. In den 80er Jahren gab es eine Menge Videofilme über reale Gewaltorgien, die eine Menge Abnehmer fanden! Also könnte sich daran schon jemand delektieren!
Dann kommt eine Seite, wo der Schwangerschaftsabbruch mit dem Holocaust verglichen wird. Ah! Das hört sich doch gut an! Sicher eine echte Gutmenschenseite! Aber warum diese Naziargumentation? Waren es nicht die Nazis selbst, die den §219a eingeführt haben, damit sie sofort jemanden verhaften konnten, der Frauen daran hinderte, Kanonenfutter zu liefern?
Bei kirchlichen Seiten könnte man neuerdings fast auf die Idee kommen, dass der Nachschub für zumeist katholisch „betreute“ Waisenhäuser unterbunden werden könnte. Das wäre bitter, zumal die zehn Gebote ja nicht ausdrücklich den Sex mit Kindern verbieten.
Aus eigener Erfahrung (inzwischen fünfmal verjährt!) weiß ich, wie so was wie eine ungewollte Schwangerschaft abläuft. Beide, Mann und besonders Frau, sind in Panik, wenn es Schwierigkeiten mit Eltern, Geld und sonstiger Perspektive gibt. Und die Zeit läuft davon! Dann also cool sich die staatliche Beratungsstelle im Internet suchen, einen Termin in drei Monaten vereinbaren und dort die Adresse eines Arztes erfahren, der nach Aktenlage einen Eingriff vornehmen würde? Ich möchte die Leute kennenlernen, die in dieser Situation soo cool sind! Da wird doch eher im Freundeskreis rumgefragt, ob jemand jemanden kennt ... Oder in Holland ...?
Übrigens: Ist die Zuweisung eines Arztes durch die Beratungsstelle nicht auch Werbung? Sogar Vorteilsvergabe? Und ist der Arzt vielleicht sogar eine Ärztin, was man sich echt wünschte, und psychologisch geschult?
Gut, dass Selbstmord auch verboten ist! Im Ernst, solche Gedanken bewegen Frauen in solchen Situationen.
Da sollten sich die Ärzte doch besser „an die Regeln halten“. Zum Beispiel so:
Wie sie wissen, können medizinische Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Darüber informiert Sie die Beratungsstelle. Über den Umgang mit ungeborenem Leben entscheidet bei uns der Staat. Ob wir so was machen, dürfen wir Ihnen nicht mitteilen, aber darauf hinweisen, dass diese Umstände von anderen und vor allem in anderen Ländern unterschiedlich gehandhabt werden.“ (Darf gerne kopiert werden!)
Na, das ist doch juristisch einwandfrei. Aber, um es ganz kurz zu machen, wäre doch wahrscheinlich am klarsten:
Es ist uns gesetzlich verboten, ihnen zu sagen, ob wir Abbrüche machen.“
Deutsche Bürgerinnen und Bürger wissen Bescheid. Diese Praxis wäre täglich überfüllt. Zumal ja keine Verpflichtung besteht, tatsächlich eine Beratung wahrzunehmen.
Und zum Abschluss sagte Frau Winkelmeier-Becker noch etwas sehr Interessantes, nämlich dass man Mutter und Kind
„über den Zeitpunkt der Geburt hinaus vielleicht weiter unterstützen müsste!“
Vielleicht aber auch nur.
Ich wundere mich inzwischen, warum Frauen keine gelben Westen anziehen.

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