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Hurra, das Internet ist geknackt!

raum&zeit-Kolumne von Manfred Jelinski

Ist es nicht witzig? Europa hat das Internet zu einem der gefährlichsten Gebiete gemacht, die man heute noch aufsuchen kann. Nicht der Dschungel, nicht Mafioso-Bezirke, nicht einmal Boko Haram oder der IS kommen da mit. Existenzielle Bedrohung für jeden, endlich!
Und wie hat Europa es geschafft? Mit der neuen Datenschutzverordnung können unglaublich viele Menschen mit ihren Familien ins existenzielle Nichts gestürzt werden.
Abmahnanwälte jubeln, Kleinanbieter sind völlig durch den Wind.
Was muss man alles beachten? Hat man dem Kunden alles mitgeteilt, was man muss, nichts vergessen? Was von den Kundendaten darf man denn zu welcher Zeit noch wie benutzen? Muss man nicht die Festplatte, auf der ja noch andere Kundendaten sind, ständig, also auch während der Arbeit daran, in einem Tresor verwahren? Und weil ja auch fast alle Computer ins Internet können, was ist, wenn diese Daten gehackt werden? Muss vorab dokumentiert werden!
Darf man letztlich selbst noch in seine Buchhaltung einsehen, die man ja zehn Jahre aufheben muss, um nachzuschauen, wem man eine Rechnung geschrieben hat? Habe ich für den Ernstfall mit allen, die man irgendwie kennt, bei näherer Interaktion alles schriftlich so geregelt, dass einem niemand an den Karren fahren kann? Ja, das im BGB noch zulässige Handschlag-Geschäft ist erledigt.
Und sicherheitshalber sollte man alles auf Papier festhalten. Denn wie schnell kann ein Datenträger unlesbar sein! Wieder müssen Wälder her, um Papier zu gewinnen. Je mehr Computer, desto mehr Papier. Hatte man den Computer nicht mal umgekehrt beworben?
Und das hört in privaten Bereichen nicht auf!
Muss man sich nicht eigentlich alles im täglichen Leben schriftlich bestätigen lassen? Genügt beispielsweise eine Aussage auf Tinder und ein nachträglicher Mailwechsel, um sexuelle Ereignisse zu regeln? Darf man diese Daten überhaupt aufheben? Wenn es Übereinkünfte sind, ist schriftlich festhalten doch am Besten. Oder mit Zeugen, die sich langfristig erinnern dürfen?
Und was machen Fotografen? Zurzeit ist eine Unterschriftensammlung im Gange, die mindestens Ausnahmegenehmigungen erreichen soll, denn man kann bei öffentlichen Ereignissen nicht wirklich jede/n auf dem Bild fragen, ob er/sie der Abbildung zustimmt.
Da kommen interessante Zeiten auf uns zu. Wenn Politiker Reden halten, wird das Publikum gepixelt werden müssen. Da ist es wahrscheinlich besser, nur den Redner aufzunehmen. Das aber wiederum kann dessen Ego nicht völlig befriedigen – man sieht ja nicht, wie viele Anhänger da waren! Die kann man auch schlecht durch Katzen oder Hunde ersetzen.
Am besten wären dann natürlich dort, wie ja auch überall, wo Leute verkehren, große Aushänge! Tapetendesigner, aufgepasst! Ein neues Geschäftsfeld kündigt sich an!
Denn alles, was irgendetwas mit Kontakten oder Daten zu tun hat, muss im Detail beschrieben und offen gelegt werden.
Jetzt schon gibt es viele Seiten Text, die bei jedem Internetauftritt per Klick von der Seite erreichbar sein müssen. Disclaimer, die keiner liest, aber die Abmahnanwälte erfreuen.
Das Schlimme an der neuen Verordnung aber ist, dass nun nicht eine Tat, eine Tatabsicht oder Fahrlässigkeit bestraft wird, sondern der Irrtum.
Denn die neue Verordnung ist bei Weitem nicht so klar, wie sie gern vom Gesetzgeber dargestellt wird. Meine Befragung von Fachleuten ergab, dass Fachleute andere Fachleute und ihre Aussagen mehr als nur in Zweifel zogen. Wem soll man trauen? Hat nicht eigentlich der Staat eine Aufklärungspflicht gegenüber seinem Bürger? Da kann man als mündiger Bürger sich doch an eine Dienststelle wenden, oder?
Nun, das wird problematisch. Nach meinem Wissen sind, genauso wie bei Kleinunternehmern wie zum Beispiel Handwerksbetrieben oder Heilpraktikern, auch bei den meisten Gemeindeverwaltungen bis heute noch nicht einmal die Datenschutzgesetze in der ersten Form von 1977 umgesetzt worden. Also zum Beispiel jemand einzustellen, der sich nur damit beschäftigt. Das ist Pflicht, liebe Bürgermeister!
Aber woher nehmen? Weil überall kaum jemand wirklich Bescheid weiß, wie die Gesetzgebung in der neuesten Form in einem praktischen Fall umgesetzt werden soll, herrscht allenthalben große Verunsicherung und wirre Diskussion. Leider ist das auch nicht durch Schulungen erreicht worden. Wer haftet für welches Nichtwissen?
Nun gibt es für diesen Fall die Gerichte. Hier wird in Urteilen die Interpretation von Gesetzen durchgeführt. Wir sind ja ein Rechtsstaat. Da kann man das auch verlangen.
Eigentlich kann man allen Selbstständigen, Internetanbietern und kleineren Firmen nur raten, jeder Abmahnung zu widersprechen und den Fall bis vor ein Gericht zu tragen. Wie war das doch gleich? Immer weiter steigende Überlastung? Zu wenig Richter? Es ist jetzt schon so, dass Fälle verjähren, bevor sie entschieden werden. Und man kann den Kläger auch auffordern, ein Gutachten erstellen zu lassen. Und das kann man durch ein anderes Gutachten anzweifeln.
Eigentlich profitieren nur noch Anwälte von dieser Verordnung. Aber in einem Staat, wo fast nur noch Juristen ein Ministeramt bekommen, ist das nicht weiter verwunderlich.
Wir verlieren uns in juristischen Auseinandersetzungen, statt uns mit der Lösung von existenziellen Problemen zu beschäftigen.
Und als Kunde? Kann man wirklich darauf vertrauen, dass mit den eigenen Daten nur das passiert, was der Gesetzgeber geregelt hat? (Was immer das ist.)
Aber hat man nicht irgendwo mit einem Klick bei einem großen Internetkonzern allem Möglichen zugestimmt? Kann man überhaupt noch Dienste nutzen, ohne allem zustimmen zu müssen? Kann man sich bei jedem Appanbieter alles durchlesen, was hier ein- oder ausgeschlossen wird?
Und letztlich: Kann ich überhaupt einen der großen Konzerne, deren Dienste ich oft zwangsläufig nutzen muss, bei Verfehlungen verklagen? Da diese Konzerne meist in den USA sitzen, ist das fast unmöglich. Ich bin übrigens gespannt, ob die neuen Gesetze über Sammelklagen und an Verbraucherschutzvereine delegierte Klagen wirklich zustande kommen.
Interessant wird es auch im öffentlichen Raum. Muss nicht unter jeder Überwachungskamera ein Schild hängen, auf dem alle Details der Verordnung, die diese Kamera betreffen, ausgehängt werden?
Es kommen spannende Zeiten auf unsere Gesellschaft zu.
Was haben wir seit mittlerweile Jahrzehnten aus Remote Viewer-Sicht prognostiziert? Der Untergang der europäischen Gesellschaft ist selbstgemacht. Er wird durch eine so komplexe Verordnungswelt beschleunigt, dass keiner mehr durchblickt. Und mit der Digitalisierung wird es ähnlich verlaufen. Das ist doch der ehrenvollste Untergang: an der Menge von Organisation zu ersticken.
Aber erstmal lachen die großen (amerikanischen) Konzerne, wegen derer das Ganze eigentlich ins Rollen kam. Sie lachen sich ins Fäustchen, weil sie durch Ausbeutung der Mitarbeiter und Sitz in Steueroasen genug Geld haben, eine Armada von Juristen zu beschäftigen. Und weil andere Länder anders als Deutschland mit der Verordnung umgehen, überlegen schon Unternehmer den G-exit. Österreich ist das neue Luxemburg, hört man.

Ich verzichte hier auf Links zum Selbstinformieren. Einmal eine Suchmaschine gefüttert und der Tag ist erledigt.

 

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