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Die ultimative Staatsverarsche

raum&zeit-Kolumne von Manfred Jelinski

Erst dachte ich ja: „Was für ein Kindskopf, dieser Böhmermann!“ Das ist doch kleingeistig, Beleidigungen als dialektische Haarspaltereien zu präsentieren. Immerhin hielt ich ihm zugute, dass ein guter Satiriker ein gerüttelt Maß an Kindlichkeit bewahren muss, sonst kann er keine Satire machen. Weil ihm die ganzen Unstimmigkeiten und Dummlogiken in dieser Gesellschaft gar nicht auffallen würden.
Dann gab es die Reaktion des türkischen Staatsoberhauptes. Und wiederum die Reaktion unserer Kanzlerin. Langsam schwante mir, dass hier ein erheblich größerer Sprengstoff verborgen lag, als man sich zugestanden hätte. Wer hätte gedacht, dass ein Staatsoberhaupt sich wie ein „kleiner Mann“ tatsächlich auf die Ebene herablässt, mit einem Satiriker zu streiten. Da haben sich schon ganz andere am Eulenspiegelgummi die Zähne ausgebissen.
Er hätte jetzt staatsmännisch lächelnd über die Auswüchse der Gosse hinwegsehen können. Aber Erdogan ist offenbar ganz genau so berechenbar, wie man schon im politischen Umfeld befürchtet hatte. Dass sich unsere Bundeskanzlerin so zum Narren machen lässt, ist ihre eigene Schuld, sie ist halt eine bierernsthafte Physikerin und keine überschauende Philosophin. Und eigentlich nur gewohnt, Machtkämpfe im eigenen Nest zu beglucken. Schon das abkaufen lassen der Flüchtlinge war ein Fehler; leider gab es keinen Martin Luther, der für diesen Ablasshandel ein paar vernünftige Thesen an eine Bundestagstür nagelte.
Weiterhin hätte man nun hoffen können, dass die natürlich einzubeziehenden Gerichte das Ganze klugerweise unter den Teppich kehren würden. Um niemanden im weiteren Prozedere zu blamieren. Auch nicht Erdogan.
Aber jetzt begann die Satire erst richtig, und zwar in der Realität, was zeigt, dass hier noch die beste Satire lauert und jedes Gedicht wert ist.
Das LG Hamburg hat sich der Sache angenommen und es tatsächlich fertig gebracht, gleich zwei Kuckuckseier zu legen, die, so wie mir langsam schwant, Sprengkraft für ein ganzes Staatsgebilde haben kann.
Erstens stellte es fest, dass das Gedicht Kunst sei. Zweitens untersuchte es den Wortlaut kleingehackt in Sätze in seinem Beleidigungs- und/oder Bedeutungsgehalt und stellte fest, dass einige Passagen verboten gehören und andere erlaubt sind. Damit ist der Tanz eröffnet, der unsere staubtrockene Justiz erschüttern wird. Wahrscheinlich hatte sich Böhmermann das nicht in seinen kühnsten Träumen erhofft.
Jetzt kann er nämlich, und das hat sein Anwalt schon eingeleitet, darauf pochen, dass das Gedicht in seinem gesamten Kontext gesehen wird. Weil es ja Kunst ist, und man nicht Teile eines Kunstwerkes bewerten darf. Also dass zum Beispiel die Frisur der Mona Lisa heutzutage verboten gehörte. (Erdogan wird das vielleicht sogar schaffen, Frauen in Kunstwerken eine Burka zu verordnen, so wie man hier in den Sechziger Jahren den klassischen Figuren einen Badeanzug überziehen wollte.)
Nun hat aber das Gericht genau das getan. Wenn aber das Ganze als Kunstwerk anerkannt ist, muss man auch den erfahrbaren Zugang für die Interpretation beachten, eben was der Künstler in seinem Kunstwerk sagt. Fettnäpfchen Nummer eins.
Nun kommt hinzu, dass Böhmermann schon selbst innerhalb seines nun anerkannten Kunstwerkes erklärte, das Gedicht wäre eigentlich eine komplette Aufzählung dessen, was man NICHT sagen dürfe. Ein Schulbeispiel sozusagen. Er hat also praktisch auf einen möglichen Straftatbestand hingewiesen, ganz so, wie man einen Krimiautor auch nicht für den Tatbestand Mord in seiner Handlung verantwortlich machen kann. Jetzt kommt zur Freiheit der Satire auch noch die Freiheit der Kunst hinzu. Wenn sein Anwalt Vergleiche mit drastisch beschriebenen Tötungsmethoden in nicht indizierten oder gar verbotenen Büchern herstellt, wird die Farce zu einem jahrelangen, die Medien erfreuenden Marktplatzspektakel. Fettnäpfchen Nummer zwei.
Weil es also gar keine Beleidigung ist, kann man kaum darüber streiten, ob der Beleidigungsvorwurf überhaupt greift, weil sich Böhmermann schon quasi entschuldigt hat, dass er das dumpfe Publikum darauf hinweisen musste, dass man so was eben nicht darf. Schützenhilfe bekam er von dem Filmemacher Uwe Boll, der ohne Relativierung feststellte, Erdogan sei ein "grenzdebiler kleiner Schwachmat".
Und sich dafür eine kostenpflichtige Abmahnung einholte, damit er das nicht wieder sagt. Die Journalisten, um das Volk zu informieren, dürfen das aber und die entsprechenden Teile des Schmähgedichts ebenso, nämlich wegen ihres Informationsauftrages und weil Berichterstattung auch frei sein muss in einer Demokratie. Fettnäpfchen Nummer drei.
Man darf weitere erheiternde Possenspiele erwarten, denn Böhmermanns Anwalt hat bei seinem Revisionsantrag gegen das LG-Hamburg-Urteil gleich mit Aufmerksamkeit heischender Selbstsicherheit hinterher geschoben, dass er bis zum letzten deutschen Gericht gehen würde. Und das hat mich endgültig aufhorchen lassen. Denn hier hat sich Böhmermann tatsächlich über seine Medienpräsenz den Hebel geschaffen, die ganze rechtliche Situation der BRD auf dem globalen Marktplatz der Lächerlichkeit preiszugeben. Denn wenn er bis vor das Verfassungsgericht zieht, kann er, ohne reichsdeutsch zu erscheinen, einen lustigen Vergleich ziehen. Denn das Verfassungsgericht gibt es praktisch nicht – weil wir keine Verfassung haben. Vielleicht hätte man es damals Grundgesetzinterpretierungskränzchen nennen sollen. Auf jeden Fall ist die Bundesrepublik dabei, in einem Logikwölkchen zu verpuffen, wie Gott in Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis“, wo er, weil allmächtig, einen Stein erschafft, den er selbst nicht mehr heben kann. Das Verfassungsgericht – ein Kunstwerk? Ein ultimatives Fettnäpfchen.
Und nach den Querelen um TTIP schauen unsere transatlantischen Freunde mit wachsender Besorgnis auf die Vorgänge in ihrem Satellitenstaat. Ich bin gespannt, wann Böhmermann eine Anklage wegen Landesverrat bekommt.
Aber Kapitalisten sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen und ein Rechtstaat schafft sich ab, indem er versucht, buchstabengetreu Recht zu sprechen. Eine Gaudi, wenn’s nicht uns selbst betreffen würde. Die Nachrichtenbewirtschaftungsindustrie wird’s freuen.

Erlaubt ist: "Er ist der Mann, der Mädchen schlägt und dabei Gummimasken trägt". Immerhin!

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