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Deutschland von außen

raum&zeit-Kolumne von Manfred Jelinski

Eigentlich müssten wir uns bei dir entschuldigen, dass wir dir zu Latein geraten haben“, sagte ich zu meinem Sohn, der über seinem Vokabelheft büffelte.
Wieso?“, fragte er zurück. „Mit Latein versteht man viele Sprachen. Weltweit!“, gab er zurück. „Hast du gesagt!“
Ja“, gab ich zu. „Aber nach unserem Urlaub würde ich sagen: Lern Dänisch!“ Das wird in Nordfriesland statt Französisch als zweite Fremdsprache auch auf dem Gymnasium angeboten.
Aber du hast gesagt, Dänisch sprechen zu wenig Leute auf der Welt. Das bringt mich auch beruflich nicht weiter!“
Ja, das habe ich gesagt. Aber man kann seine Meinung auch ändern. Denn wir waren in Dänemark. Eigentlich sollte es eine „Sentimental Journey-Tour“ werden, noch einmal den Weg nachzufahren, den ich vor 47 Jahren getrampt war, damals, um herauszufinden, ob schwedische Mädchen wirklich so sind, wie die Gerüchte erzählten. Ich hatte ein Buch darüber geschrieben („Drogen, Sex und gute Laune“) und nun wollte meine Frau auch mal sehen, wo ich da überall war.
Zum Beispiel auch in Dänemark und speziell in Kopenhagen. Wir sind beide in Großstädten sozialisiert, da haben wir gute Vergleichsmöglichkeiten. Jetzt wohnen wir nur fünfzig Kilometer von der dänischen Grenze entfernt, kommen aber selten dorthin. Allerdings bemerkten wir, dass einige unserer Freunde und Bekannten in das Nachbarland umgesiedelt waren. Und mit Freude Deutschland verlassen hatten. Ganz merkwürdig, fanden wir, denn für uns ist Nordfriesland schon der Gipfel des entspannten und entschleunigten Lebens, das man im persönlichen Umfeld und mit Behörden haben kann. Kann doch gar nicht besser sein, dachten wir.
Na gut, in ländlichen Gefilden ist es in Dänemark tatsächlich sehr ruhig. Aber Kopenhagen, dachten wir, die Hauptstadt! Und das Könighaus! Und Hafenstadt! Und der Freistaat Christiania! Enge, Revolte, sozialer Hickhack!
Zum Glück hatten wir Fahrräder mitgenommen. Wir packten sie aus und radelten los. Drei Tage, morgens bis abends. Jetzt würden wir dorthin ziehen, umsiedeln, wenn nicht diese Sprache wäre.
Natürlich, mit dem Auto hat man es schwer in Kopenhagen. Parken ist rar und teuer. Aber die Fahrradwege sind dermaßen breit, genauso wie die Bürgersteige, dass man bequem nebeneinander fahren könnte, wenn einen nicht dauernd jemand überholen wollte.
Sicher junge Leute, klar, aber auch viele ältere waren mit dem Zweirad unterwegs, und zwar ohne elektrische Hilfe! Und welche Massen! Und überall stehen Fahrräder herum. Wenn deren Besitzer alle einen Parkplatz für ein Auto gebraucht hätten ...
Für die Autofahrer bleibt da nicht so viel Platz übrig. Aber die Folge ist, dass sie sehr vorsichtig fuhren. Das passierte uns natürlich auch, als wir am letzten Tag unser Auto mal ins Zentrum mitnahmen. Ja, man kann Rücksicht nehmen! Auch die Fahrradfahrer waren sehr entspannt, ganz anders als in Berlin, wo der Umgang der Verkehrsteilnehmer fast in Straßenkämpfe einmündet.
Und so ließen wir stressfrei unseren Blick schweifen.
Boah!“, sagte ich zu meiner Frau. „Hier sind die Mädchen ja schlank und hübsch, wie in meiner Jugend!“
Stimmt!“, gab sie zurück. „Und die Männer auch! Keine dicken Leute!“
Ich komme aufgrund von Vorträgen und Ausbildungen ein wenig herum in Deutschland und beobachte natürlich, was für Altersgenossen meine Kinder haben, die über das Alter von neun bis 25 Jahren verstreut sind. Meinem ältesten Sohn habe ich schon mal mein Bedauern ausgedrückt und meine Frau betrachtet die Jungs im heiratfähigen Alter mit Stirnrunzeln. Und wenn ich vom Bahnhof irgendeiner deutschen Großstadt zum Hotel pilgere, gruselt es mich regelmäßig. So viele Leute können doch keine krankhaften hormonalen Störungen haben! Oder wir haben generell ein Problem hier.
Wir setzten uns mit einem Bier an eine der vielen Wasserstraßen. Es war heiß, bestimmt fast 28 Grad und auf dem Wasser war viel Verkehr. Touristenkähne und selbstgebaute Partyflöße wetteiferten um den Spaß beim Rumkurven.
Das kann nicht gutgehen, dachte ich. Wo ist die Wasserschutzpolizei?
Es gab keine, man wich sich aus, winkte sich zu.
Und so ging es weiter. In der Schlange an Fastfood-Ständen, wo auch vegane Kost selbstverständlich im Angebot ist. Keine Gedrängel. Verkäufer keine Spur genervt, auch nicht bei diesen unsäglichen deutschen Touristen. Wie geht das?
Ins Parlamentsgebäude kann man einfach so reingehen. Okay, es war Sommerpause, aber selbst der Platz vor dem Familiensitz des Königspaares war nur von ein paar japanischen Touristen bevölkert – nun ja, und von den zwei Bärenfellmützen tragenden Wachen. Die Ärmsten! Wir fuhren ungeordnete Kurven auf dem weiten Gelände. Interessierte niemanden.
Natürlich waren wir auch in Christiania. Ha, der verruchte Ort der Verkommenheit, Freistaat der Gesetzlosen! Warum hat man ihn noch nicht dichtgemacht, diesen ultimativen Drogenumschlagplatz?
Ja, hätte man beinahe, vor ein paar Jahren, als es ein Kapitalverbrechen gab. Aber dann einigte man sich und die Besetzer des ehemaligen Kasernengeländes schlossen Abkommen mit Dänemark. Keine harten Drogen, absolute harte Hand bei Verbrechen.
Wir saßen und schlenderten herum, vom Haschischduft umfächelt. Kann man überall kaufen, billig, kein Problem. Allerdings ist Alkohol teuer. Bedeutet: keine besoffenen Anmachereien. Zwar wurde überall gekifft, aber das führt bekanntlich zum lächelnden Zurücklehnen. Ein Glas Bier gönnte man sich, aber mehr nicht, ganz klar, bei den Preisen! Aber ist das nicht vielleicht eine gute Lösung? Da verdient der Staat doch offenbar immer noch gut, auch wenn die Bürger weniger trinken?
Uns fiel noch einmal auf, welchen normalen Körperbau die Leute hatten. Und wohnen tun sie dort auch ganz normal, wobei man schon sieht, dass es kein Bauamt in diesem Freistaat gibt. Aber irgendein Statiker muss ihnen schon gesagt habe:
„Baut noch eine Strebe ein bei euren Balkonkonstruktionen!“ Jedenfalls existiert Christiania nun auch schon 47 Jahre, also irgendwie müssen sie das Zusammenleben ja hingekriegt haben! Auch ohne Autos, übrigens.
Wir haben da mit einigen Leuten geredet. Natürlich lebt man vom Tourismus. Aber der Staat Dänemark auch. Man respektiert sich und verdient gemeinsam ...
Klar kommt man überall mit Englisch zurecht. Aber Dänisch zu können, wäre doch viel besser. Wenn ich nur nicht immer einen Lachkrampf kriegen würde, wenn ich diese Sprache höre.
Irgendwie hört man die Mentalität eines Landes, wenn die Leute sich unterhalten. Nicht umsonst empfinden andere Nationalitäten das Deutsche hart, abgehackt und militärisch ordentlich. Aber sind wir damit glücklich?
Mittlerweile verstehe ich, warum man nach Dänemark zieht. In ein sehr kleines, weltpolitisch völlig unwichtiges Land. Darum!

 

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