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Die neue Ordnung

raum&zeit-Kolumne von Manfred Jelinski

„Es ist so geil!“, sagte mein Freund Frank (Name selbstverständlich geändert) und streckte seine Beine aus, während er gemütlich im Sessel lümmelte.
„Das hätte wir uns nie träumen lassen, dass der Staat selbst mal auf unserer Seite steht und uns die Arbeit abnimmt!“ Frank war in seiner Zeit ein umtriebiger und furchtloser Aktivist des „Schwarzen Blocks“. Inzwischen hat er sich aufs Internet verlegt, statt Steine zu werfen und Schaufenster einzuschlagen. Er ist auch ein bisschen dick geworden, bequem und mit einem kleine Bäuchlein, das eine Folge seiner gut gehenden Geschäfte ist, die er als Hartz-4-Empfänger betreibt.
„Mein Gott, weißt du noch? Diese tollen Straßenschlachten?“, erinnert er sich rührselig.
Das ist so eine typische Gelegenheit, wo mir bewusst wird, was für unterschiedliche Leute ich so kenne. Damals, als ich noch im Film- und Video-Bereich arbeitete, für Dokus, Spielfilme, aber auch für Nachrichtensendungen, da kam man natürlich mit den unterschiedlichsten Leuten zusammen. Frank war immer ein guter Partner für City-Golf, sie wissen schon, Loch 17 in der Baustelle, Loch 19 der Briefkasten des Arbeitsamtes und so weiter. Ja, so bleibt man in Kontakt.
Was waren das für schöne Aufnahmen, wo er vermummt „Deutschland verrecke!“ in die Kamera brüllte! Heute winkt er müde ab.
„Polizei, SA, SS, das hat sich doch völlig erledigt! Die machen doch jetzt die Arbeit für uns. Und schwarz angezogen sind sie jetzt auch!“, trägt er begeistert vor.
„Und vermummt!“, werfe ich ein, um auch was Kluges zu sagen.
„Genau!“, stimmt er mir zu. „Wir haben früher gedacht, wenn wir all die einfachen Leute mit ihren kleinen Geschäften, Blumenläden, Bäckereien oder Spielwarenläden schädigen, kriegen wir den Staat am Besten klein. An die Großen kommst du ja nicht ran. Aber wenn du bei den Kleinen Angst und Schrecken verbreitest, da packst du den Scheiß-Staat an der Wurzel. Das sind die, die alles bezahlen. Und wenn die nichts mehr haben, sind auch die Großen tot.“
„Jaja“, nickte ich gelangweilt. Irgendwie war es immer das Gleiche, wenn er von alten Zeiten schwärmte.
Aber nun war er mal wieder in Fahrt.
„Genau!“, fing er nochmals an. „Und dann haben sie sich ins Internet verpisst, die Kleinanbieter mit ihren armseligen Angeboten. Dann kannst du nur noch die Plattformen trollen, wo die was anbieten. Oder sie wegen irgendeiner Rechtsübertretung anzeigen. DSGVO war da schon ein schöner Meilenstein. Aber was heute läuft, boah, das hätte ich nie zu träumen gewagt!“
Er nimmt sich eine neue Büchse Bier aus dem Kühlschrank und lässt sich wieder ächzend in die Polster fallen. Der Sessel knackt bedenklich.
„So was Geniales wie diese Pandemie, das hätte uns mal einfallen sollen. Obwohl, naja, wie hätten wir damit Angst und Schrecken verbreiten sollen? Da brauchst du schon eine Menge Mitstreiter. Und wer macht so was schon mit, wo man genau weiß, wie das alle die ruinieren würde, die hart für ihre Existenz arbeiten. Aber, hurra!, sie haben es gemacht. Warum, ist mir eigentlich so was von kreuzegal. Das Ergebnis zählt. Die paar Fensterscheiben zum letzten G20-Gifel, ja komm, das ist doch lächerlich! Aber jetzt wird das ganze Land so grundsätzlich in den Abgrund getrieben, das hätten wir nie geschafft! Ist das nicht toll? Und die Bullen – äh, pardon, die Polizisten stehen ganz auf unserer Seite. Da holt sich keiner mehr Hilfe, die haben doch alle Angst, für einen grünversüfften Verschwörungs-Demonstranten gehalten zu werden. Oder für so ein braunes Arschloch, aber was es nun genau ist, das ist jetzt auch egal. Ich meine, was zählt, ist das Ergebnis. Anarchie! Totaler Untergang! Ha!“ Er wirft die inzwischen ebenfalls leere Bierdose in einen riesigen Mülleimer, in dem es verdächtig klapperte.
„Und dann dialektisch, was haben wir uns bemüht, die Ordnung mit verbalen Spitzfindigkeiten und Lächerlichkeiten zu untergraben! Aber weißt du, da sieht man es wieder, Thanatos geht eigentlich nur von oben! Rom wurde auch vom Kaiser angezündet. Na, und die anderen tausendjährigen Heldentaten der warmen Grundsanierung eines Landes müssen wir gar nicht erwähnen! Ja, so richtig geht das Kaputtmachen eigentlich nur von der Regierung aus!“
Ich war ein wenig verwirrt. Irgendwie hob Frank jetzt aber ab.
„Was meinst du mit dialektisch? Dogmatisch lasse ich mir ja noch gefallen!“
„Aber das ist doch ganz einfach!“, lächelte er milde und nahm wieder einen tiefen Zug. Ich war immer wieder erstaunt, dass er nach einem Sixpack keinerlei Ausfallserscheinungen zeigte. In dem Zustand traf er auch von der gegenüberliegenden Straßenseite den Hundewassernapf vor dem Frisör mit höchsten zwei Schlägen. Citygolf Loch 8, Sie wissen schon.
„Schau mal. Das Zauberwort heißt: Es ist nicht auszuschließen! Wenn du das mal etabliert hast, dann hast du gewonnen! Und besonders über die Gesundheit! Das ist das höchste Gut! Geil, nicht? Natürlich kannst du nie etwas ausschließen. Zum Beispiel, dass ich im Lotto gewinne. Unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen. Und dass du dich anstecken kannst, obwohl du dafür 5000 Leute knutschen müsstest. Also statistisch gesehen. Und da könnte der 5000. ja auch schon gleich der nächste sein. Mit diesem Spruch wird absolut jede Entscheidung plausibel!“
„Ja“, stimmte ich ihm zu. „Es ist auch nicht auszuschließen, dass dein Bier mal vorzeitig alle ist!“
„Dann hol ich neues vom Spätkauf!“, grinst Frank und bonk! landet seine Dose zielgenau im Mülleimer.
„Aber wenn der Spätkauf nun geschlossen hat, weil der Eigentümer insolvent geworden ist!“
Frank sieht mich mitleidig an und lächelt, wie man ein kleines Kind anlächelt. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass Jassir von den paar Dosen und der Lotto-Annahme lebt? Der braucht auch kein Geld als Zahlungsmittel! Alter! Über dieses primitive Wirtschaftssystem sind wir doch schon lange hinausgewachsen!“
Ich trank noch eine Büchse, während wir über die Schikane am letztens geschlossenen EDEKA sprachen. Loch 11 brachte die Gefahr mit sich, dass der Ball im Gully landete und nicht im Zeitungskasten mit der sorgfältig zerbrochenen Plexiglasabdeckung.

 

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