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raum&zeit-Kolumne: Die Zukunft ist schon geschehen

raum&zeit-Kolumne von Manfred Jelinski

Ich dachte, mich tritt ein Pferd, als ich mir das neueste Buch von Marc-Uwe Kling zu Gehör brachte. Heute liest man ja nicht mehr, man hört sich die Schriftsteller an. Am besten, wenn sie selbst lesen – und das auch können. Marc-Uwe Kling kann das, schließlich ist er ein – wie sagt man heute – Comedian. Er hat deshalb Bühnen- und Sprecherfahrung. Es ist wirklich amüsant, ihm zuzuhören.
Und er muss offensichtlich meine Bücher, Artikel und Kommentare gelesen haben!
Hat er natürlich nicht, dass heißt, ich bin da etwas unsicher. Manche Details und Namen kommen in meinen früheren Büchern vor, aber wahrscheinlich hingen wir nur im selben Feld.
Er bringt aber genau meine Aussagen über die Entwicklung der digitalen Technik und noch andere Anspielungen auf bestimmte Gedankenexperimente aus meinen Büchern in einer herrlich komischen Zukunftsexpertise, die zeitlich gar nicht weit weg zu existieren scheint, dem allgemeinen Zuhörer nahe. Es gelingt ihm, die Dystopie zu vermeiden, wobei seine Art der wohlmeinenden Utopie einem auch im Halse stecken bleibt. Ich bin begeistert. So gut hätte ich es nicht schreiben können.
Seine Welt, nämlich die von „Quality Land“ (Buchtitel) ist bevölkert von Schriftstellerandroiden mit Schreibhemmung, Drohnen mit Flugangst, Kampfrobotern mit posttraumatischen Störungen und bei der Übernahme menschlicher Eigenarten verrückt gewordener Digital Pads.
Man schwankt zwischen Kichern, schenkelschlagender Heiterkeit und der klammheimlichen Angst, dass die beschriebene Welt längst nicht mehr zu verhindern ist.
Sicherlich werden bestellte Waren noch nicht von Drohnen ins Haus geliefert, schon lange nicht von intelligenten, die um eine Bewertung betteln. Und sie liefern auch nicht Sachen, die wir nicht bestellt haben, die aber aufgrund unseres Profils im Internet zu uns passen. Aber ehrlich gesagt – diese Zukunft lugt doch schon zum Fenster herein. Und da nutzt es auch nichts, schnell den Vorhang zuzuziehen.
Aber noch besteht Hoffnung! – will uns jedenfalls der Autor trösten.
Es scheint sich ja sowieso etwas zu tun in der Medienszene. Man fühlt sich mit kassandrischen Rufen nicht mehr allein. Als hätte er meinen Kommentar „Mein lieber Quirl!“ auch gelesen, lässt sich sogar ein Spiegel-Kommentator dazu hinreißen, Science Fiction gut zu finden. Er räumt zwar ein, dass hier selten die allerhöchste Schreibkulturstufe erreicht worden sei, das Problem aber wäre, dass diese Romane doch besonders von Politikern hätten gelesen werden sollen. Denn inzwischen sei von den Projektionen so viel eingetroffen, dass erschreckend viele Meter im Regal keine Fiction mehr seien. Genau das hatte ich auch geschrieben! Hah, vielleicht liest man doch meine Kommentare!
Interessant ist auch, dass plötzlich die Wahrnehmung von solchen Journalisten erweitert zu werden scheint. Nämlich zu erkennen, dass viele dieser fiktiven Romane sich nicht nur mit technischer Entwicklung und Abenteuer im Weltall beschäftigen, sondern auch damit, was der Mensch aus dem Wunsch nach Frieden und Sieg über den Hunger macht und welche gesellschaftlichen Missstände uns auflauern, wenn wir das Miteinander nicht auf die Reihe kriegen.
Die meisten klassischen Dystopien haben sich bereits erfüllt. Hätte es etwas geholfen, wenn Politiker sie gelesen hätten? Aus Remote-Viewer-Sicht muss ich gestehen: Nein, wahrscheinlich nicht. Wir sehen auch weiterhin den Zwang der menschlichen Gesellschaften, in wohlbekannten Schreckensszenarien unterzugehen. Vielleicht sollten wir die Regierenden zwingen, Science Fiction zu lesen? Fahrenheit 451 auswendig zu lernen, wie die Figuren in diesem Roman? Phillip K. Dick zu studieren, John Brunner einfach mal hinzunehmen oder all die anderen, die auf Huxley und Orwell aufbauten. Als die Neuromancer-Romane in den 80ern auftauchten, wusste man doch schon alles zu beklagen, was wir heute schon teilweise als Realität betrachten müssen.
Oder?
Und, mal ehrlich, wer hat schon geglaubt, dass die Welt im Jahr 2017 weitgehend in den Händen größenwahnsinniger, diktatorisch agierender und teilweise sehr emotional gesteuerter alter Männer mit geringem intellektuellem Horizont ist?

http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/exponentielleentwicklung-lesen-sie-science-fiction-a-1176316.html

http://qualityland.de/

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