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Dokumentation schafft Rechtssicherheit

raum&zeit-Kolumne von Manfred Jelinski

Da wollte ich nur den Zettel im Sportverein abgeben, dass meine Tochter an einem Fußball-Trainingslager teilnehmen möchte und darf. Auf dem Sportplatz war aber niemand bereit dafür, der irgendwie für den Verein tätig war: „Nein, das darf ich gar nicht! Das sind persönliche Daten!“
Man merkt, die DSGVO hat ihre positive Wirkung entfaltet. Ich hätte damit den Briefkasten des ersten Vorsitzenden konfrontieren sollen. Nur, wo, also in welchem Dorf wohnte der?
Dann hatte jemand eine Idee und führte mich zu einer Frau, die sich als Kassenwart zu erkennen gab. „Ich darf alle Adressen sehen!“, sagte sie.
Ja, so ist das im Alltag. Kein Wunder, wenn immer mehr Leute wie Vereinsbedienstete oder Kleinunternehmer gegen Europa sind. Was die ganz speziellen Datenschutzbestimmungen tatsächlich bedeuten, kann man praktisch nur an der Basis erfahren. Wobei nicht einmal der Datenschutz selbst die große Rolle spielt, sondern die Bestimmungen um das wer, wann, was und die daraus folgende Dokumentation. Auch wir lassen uns von jedem Kunden unterschreiben, dass wir ihn oder sie kennen dürfen. Und man fragt sich tatsächlich, ob alle Angaben in Telefonbüchern der Rechtslage entsprechen. Was für ein Papieraufwand!
Denn nach Server- und Festplattenabstürzen speichern wir diese Daten zu unserer juristischen Absicherung nicht nur elektronisch. Oder in der Cloud. Obwohl, was machte das schon aus, denn Google, Amazon, Facebook und all die anderen Datenkonzerne wissen ohnehin viel mehr über alle, und das zu Recht, denn diese Aspekte werden von der DSGVO überhaupt nicht berührt. Und sind auch schwer nachzuprüfen und was eine Strafe angeht, weiß jeder, dass US-amerikanische Konzerne darüber nur lachen und in Berufung gehen, bis alles verjährt ist.
„Ich kann gar nicht mehr viel Zeit für das Patientengespräch aufbringen!“, sagte ein Arzt ganz privat zu mir. „Ich habe eine Mindestanzahl durchzuschleusen und benötige für die Dokumentation und Datenhaltung die allermeiste Zeit!“
Dasselbe hört man auch aus Pflegeheimen. Gar nicht so einfach, in einem hochzivilisierten westlichen Industrieland zu leben.
Und nicht vergessen, das produziert Papierberge über Papierberge. Da hatte man uns doch zu Beginn der Digitalisierung versprochen: „Jetzt müssen keine Wälder mehr abgeholzt werden!“
Auch die Tresorhersteller freuen sich, denn alles muss gut verwahrt werden.
Und nun kommt die Arbeitszeiterfassung. Vom Europäischen Gerichtshof substantiell bestätigt. Das wird als Errungenschaft für Arbeitnehmer gegenüber habgierigen und ausbeutungssüchtigen Firmen und Konzernen gefeiert. Genau wie der Datenschutz.
Inzwischen ist den Beteiligten aufgegangen, dass hier wieder zwei Dinge losgetreten wurden, die einfach nur Aufwand bedeuten und den Samen der Zwietracht in sich tragen. Und die bestehende rechtliche Situation eigentlich gar nicht verändern.
Denn die Beweislast ist in der Praxis nicht geklärt, außer man bedient eine Stechuhr oder kauft eine nicht-hackbare App. Da sind Anbieter inzwischen schnell zur Stelle.
Dachte man doch blauäugig, das Zeitalter des „Stempelns“ sei vorbei. Es hat, jetzt digital, gerade erst angefangen!
Denn der Arbeitnehmer hat die eigentliche Nachweispflicht, dass er gearbeitet hat. Der Arbeitgeber stellt nur die technischen Möglichkeiten zur Verfügung.
Beleuchten wir das doch einmal in Betrachtung der rasant zunehmenden Arbeitsverhältnisse, in denen Menschen unterwegs oder im Homeoffice tätig sind. Arbeitszeit auf Vertrauen ist nun grundsätzlich torpediert. Der Arbeitgeber ist nun sogar zu Misstrauen verpflichtet. Nun wird nicht mehr diskutiert, ob eine Arbeit sinnvoll, befriedigend oder interessant ist. Oder beendet werden kann. Wichtig ist, dass man nachweisbar eine bestimmte Zeit „abgerissen“ hat. Das Prinzip der „Ware Arbeitszeit“ ist wieder im Vordergrund. Und, wie man aus Krankenhäusern und Pflegeheimen hört, man muss sich abmelden, wenn die Arbeitszeit um ist. Zum Beispiel bei 400-Euro-Jobs. Nun sind aber wichtige, auch menschliche, emotionale Tätigkeiten wegen der vielfachen Dokumentation liegen geblieben. Was macht der beschränkt Beschäftigte, der seinen Job nicht verlieren will? Genau. Er loggt sich aus, um dann in nicht dokumentierter Zeit fürsorglichwichtige Reste aufzuarbeiten.
Darüber hinaus wird eine neue Art gefördert, Zwietracht unter den Angestellten zu säen. Wenn manche Leute oft auf die Toilette müssen oder Raucher stündlich zehn Minuten nach draußen gehen. Da sagt sich manche(r): „Ich rauche nicht, muss nicht aufs Klo, bin ich deswegen übervorteilt, weil ich durcharbeite? Sollten sich diese Personen nicht zu diesen Zeiten ausbuchen?“
Es kann durchaus auch vorkommen, dass jemand einen Anruf an seinem Wohnzimmer-Arbeitsplatz bekommt und nicht erreichbar ist, obwohl die Datenlage anderes aussagt. Tatsächlich nur auf dem Klo?
„Aber dann nehmen Sie das Handy doch mit, sieht doch keiner!“
Ja, fragt man sich, was ist Arbeitszeit? Da kommen neue Definitions- Streitigkeiten auf uns zu ... Und Fragen nach der Dauer einer Beschäftigung: „Wie lange darf man eine einzige Mail beantworten?“
Juristen freuen sich nicht mehr, sie stöhnen. Unsere Gerichte sind über Jahre im Voraus ausgebucht.
Und ist das Misstrauen erst einmal gesät, gibt es ganz neue Beschäftigungen, die in die dokumentierte Arbeitszeit Einzug halten. Auch das muss juristisch geklärt werden. Und das, wie der EUGH bestätigt hat, geht nur über eine ausreichende Dokumentation. Recht hat er, der EUGH, schon mal ganz prinzipiell.
„Von der Wiege bis zur Bahre – Formulare, Formulare!“ sagte der Volksmund zu Zeiten meiner Kindheit.
Heute ist alles besser.
„Warte, warte, dann gibt’s sie schon – die absolute Dokumentation.“

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