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Eine bedruckte Seite Papier vom Finanzamt

Die kleinen Dinge unserer Gesellschaft (3)

raum&zeit-Kolumne von Manfred Jelinski

Kolumne: Ab und zu muss man einfach mal mit einem Freund ein Glas Bier trinken. Männern hilft das im Alltagsgetöse. Frauen auch, aber sie gehen nicht trinken, sondern essen. Männer werden blau, Frauen dick.
So hat das Universum entschieden.
Letztens hielt mir ein „Gesprächspartner“ einen Zettel hin.
„Da, lies!“, sagte er. „Ein Bier reicht auf keinen Fall.“
Ich bestellte zwei und las:

„Sehr geehrte/r/s Frau/Fräulein/Herr/Herrlein/Queer Sachbearbeiter/in oder was auch immer beim Finanzamt!
Ich bin selbstständig und Sie haben mich nach Ausstellung des Steuerbescheides gefragt, wovon wir gelebt haben.
Haben Sie diese Art von Schreiben auch schon mal an eine Pleite gegangene Bank oder große Firma oder einen internationalen Konzern geschickt?
Oder einen Hartz-4-Empfänger? Oder einen Obdachlosen, deren Zahl sich in den letzten Jahren verdoppelt hat?
Sicher nicht, dann mindesten bei letzteren wissen Sie ja genau, dass die Leute unterhalb der Armutsschwelle leben. Und dass sie leben, sieht man ja. In der Statistik und auf der Straße. Wozu dann fragen?
Und bei den Erstgenannten erübrigt sich ja die Nachfrage, da haften irgendwelche Gläubiger, vielfach der Staat und die Manager zahlen für ihre Misswirtschaft Steuern aus ihren Abfindungen. Naja, jedenfalls manchmal, die Hoffnung stirbt zuletzt.
Warum sind Sie nicht, wie bei den staatlich bekannten und unbekannten Almosenempfängern froh, dass die überhaupt überlebt haben?
Sehen Sie, wir gehören leider nicht zu einem Familienclan, der Drogengeschäfte duldungsweise über den Immobilienkauf in Deutschland reinwäscht. Unser Haus haben wir geerbt, und damit beginnt ja der Ärger, in den sich nach dem Willen des Staates nun auch die Baukindergeldempfänger hineinreiten.
Wir zahlen keine Miete. Wir kaufen nur, was wir brauchen. Wir fahren nicht zu jeder Gelegenheit in Urlaub. Unsere Kinder bekommen Nahrung über das Kindergeld. Ansonsten kaufen wir auf dem Flohmarkt oder bei Ebay. Sie glauben gar nicht, welch früher teure Sachen Ihnen da für ein bis fünf Euro nachgeworfen werden!
Wir kaufen auch keine Bücher, Musik, Videospiele, Filme oder sonst irgendwelche kulturellen Güter, oder wenn, dann auf dem Flohmarkt. Fünf DVDs für vier Euro. Ansonsten laden wir uns alles umsonst aus dem Internet runter. Ganz legal. Denn die amerikanischen Konzerne haben einen Vertrag mit deutschen Lizenzverwaltern. Und bis zu vier Kopien kann man für persönliche Zwecke machen, das ist hochjuristisch festgelegt.
Wir heizen mit Holz, solange wir noch dürfen. Bäume wachsen hier wie wild. Und wir haben Hühner und einen Gemüsegarten. Manchmal denken wir, das wird schon schief angesehen oder mindestens besteuert.
Warum bloß sind wir keine Singles in gehobener Position, die eine kleine Zweizimmerwohnung in der Stadt bewohnen? Dann müsste man uns nicht eine solche Frage stellen. Denn das ist doch die gehypte Lebensart. Kinder sind nach neuesten Forschungen die größten Armutserzeuger.
Aber wir lieben Familie und haben einen Weg gefunden, trotz staatlichen Eingriffs als intakte Lebensgemeinschaft durchzukommen.
Wir werden auch weiterhin kaum mehr verdienen. Dann müssten wir nämlich erheblich mehr an Sozialabgaben, Krankenkasse usw. zahlen, und dann hätten wir noch erheblich weniger zum Leben als jetzt. Dann müssten wir auch eine Menge Anträge stellen, die wir nach Ansichtnahme bei anderen nicht so einfach ausfüllen könnten. Einmal wegen des schwierigen Verständnisses Ihrer Formulare, des immensen Zeitaufwandes und dann auch, weil es sich nicht lohnt.
Der zu erzielende Stundenlohn dabei entspricht nicht dem gesetzlichen Mindestlohn. Und wir würden solche Leistungen gar nicht bewilligt bekommen, denn logischerweise würde man uns nahe legen, unser Haus zu verkaufen und eine Wohnung zu suchen, die dann – mit Kindern – natürlich erheblich zu Buche schlüge, wofür wir dann zwar nach weiteren Anträgen Wohngeld bekämen, müssten aber wieder einen Packen Intimitäten offen legender Fragebogen ausfüllen.
Wahrscheinlich würde man uns auffordern, erstmal die Einnahmen des Hausverkaufes zu verbrauchen. Zusätzlich könnten wir ja noch Baukindergeld beantragen, um in dreißig Jahren vielleicht wieder eine Eigentumswohnung bezahlt zu haben. Unterdessen würde der amtliche Prozess um die Einkommensgrenzen und die Geldverwendung allerdings ungebremst weitergehen.
Übrigens sollten Sie wissen, dass man sich als Unternehmer, so klein man auch sein mag, einige Dinge von den Ausgaben und damit der Steuer absetzen kann. Gut, bei großen Firmen sind das Millionen, das können wir nicht. Davon könnte man wirklich gut leben. Aber da fragen Sie ja nicht.
Also seien Sie doch froh, dass wir überhaupt überlebt haben, ohne Schwarzarbeit, Drogengeschäfte und Schlepperorganisation.
Sicherheitshalber habe ich mir aber eine zusätzliche gelbe Weste gekauft, die kann ich auch über das Firmenfahrzeug absetzen. Und, ach ja ... Ihre Kindergelderhöhungen von fünf Euro und die neuen politischen Absichten für eine „starke Familie“ haben wir zuerst als Satire belächelt. Dann stellten wir fest: Ist keine Satire.“

„Schick`s nicht!“, sagte ich. „Du bekommst eine Hausdurchsuchung.“
„Was? He, wonach denn?“
„Nach Waffen. Und sie werden fündig. Die Warnweste in deinem Auto zum Beispiel. Oder hast du keine?“
Er schaute mich eine Weile nachdenklich an, dann drehte er das Stück Papier zu einem Fidibus und zündete es an. Der Wirt schaute warnend.
„Hast Recht“, sagte er. „Ich schicke das nicht ab. Aber ich kaufe drei Warnwesten. Für die ganze Familie.“

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