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Heimat – ja, bitte, bitte!

raum&zeit-Kolumne von Manfred Jelinski

Liebster Herr Söder und allerliebster Herr Seehofer! Sie sprechen mir voll aus dem Herzen! Ja, auch ich möchte Deutscher sein und eine Heimat haben! Irgendwo mit eindeutigem „JA!!!“ dazugehören. Genau, wie Jesus es in der Bibel fordert.
Vielleicht hört sich das jetzt etwas schwülstig an und vielleicht fragen Sie, wo denn mein Problem damit sei. Schließlich hätte ich einen deutschen Pass.
Nein, so einfach ist es nicht. Ich bin nämlich im Prinzip ein Migrant und ich habe Gewissensbisse. Ich möchte auch wissen, wohin ich mein Herz verschenke. Auch juristisch plagen mich schier unüberwindlich scheinende Divergenzen und Ungerechtigkeiten. Und das in einem Rechtsstaat!
Vielleicht können Sie mich beruhigen, mich mit Argumenten und Richtigstellungen auf Ihre Seite ziehen.
Ich bin im Westteil Berlins geboren, war also Einwohner des völkerrechtlich von den Westalliierten besetzten Teils der ehemaligen Hauptstadt des Deutschen Reiches. Was war ich dann nach Mauerfall? Ein Bürger, der auf die Erfüllung der von den Alliierten in Jalta festgelegten Neuverhandlung des deutschen Reiches in den Grenzen von 1938 wartete?
Oder eben ein Migrant, dessen Lebensraum dem neuen Namensträger des Staates auf deutschem Boden, nämlich der Bundesrepublik Deutschland (BRD), zugeschlagen wurde? Nehmen wir sicherheitshalber mal das letztere, um nicht verbal in eine falsche nationalistische Ecke gedrängt zu werden.
Sie könnten sagen, Westberlin gehörte sowieso zur BRD. Das ist aber falsch. Nicht nur wegen Jalta, sondern auch deswegen, weil zwar das Grundgesetz und das BGB und die anderen westdeutschen Gesetze ausgeübt wurden, über allem aber die Weisung des alliierten Kontrollrats schwebte. Sie konnten bis 1989 (eigentlich noch bis 1990) von einem alliierten Soldaten oder Polizisten auf offener Straße ohne gerichtliches Verfahren standrechtlich erschossen werden.
Dann hat man also Westberlin der BRD zugeschlagen. Musste ich also ein neues Zugehörigkeitsgefühl entwickeln.
Das war schwer. Sicherheitshalber bin ich nach Nordfriesland emigriert, was mir mit deutschem Pass auch gelang. Aber heimatgemäß bin ich auch hier Migrant.
Gut, dann schauen wir doch mal, ob ich mit Deutschland, pardon, mit der BRD klar komme.
Vieles rumorte die ganze Zeit bisher in mir. Erst in diesem Jahr konnte ich endlich formulieren, was meine Probleme waren.
Deutschland, so lernte ich in der Schule, sei ein vertrauenswürdiger Staat, ein Rechtsstaat eben. Warum? Weil er säkular sei, freiheitlich der eigenen Meinung nur verpflichtet, in jedem Fall die Unschuldsvermutung gelte und das Verursacherprinzip. Und die Pflicht, zu helfen.
Ja, so einen Staat hätte ich gern als Heimat.
Aber wie ist es denn wirklich mit diesen Aushängeschildern?
Seit der Abgasaffäre wissen wir doch, dass das Verursacherprinzip ganz leicht ausgehebelt werden kann. Too big to fail? Sehen Sie, ich muss schon eine fremde Sprache benutzen, um das Problem zu beschreiben! Muss ich so viel betrügen, dass der ganze Staat an mir zu hängen scheint, um straffrei auszugehen? Denken Sie an die Lehman-Pleite!
Ich will ja gar nicht davon reden, dass ich mit meiner Westberliner Einstellung von absoluter Toleranz und Verabscheuung aller Gewalt als Nachkriegsgeborener immer Schwierigkeiten hatte, die rechtliche Verantwortung für Nazi-Deutschland zu übernehmen. Ich habe mich nur gewundert, wie die Politiker hier die direkte Verantwortung fortführten und deshalb immer nur einen kleinen Teil der ungerechten Kampfhandlungen auf dieser Erde „verabscheuten“. Hey, dachte ich, auf den anderen Schlachtfeldern sterben auch Menschen!
Nein, wurde mir dann erklärt, das sind eigentlich Untermenschen, um die man sich nicht kümmern muss, weil sie nicht im Recht sind. In diesem Rahmen habe ich die Abgrenzung der BRD vom Nazi-Reich nie verstanden. Vielleicht können Sie mir da helfen, liebster Herr Seehofer.
Zum Beispiel finden Sie vielleicht Erklärungen im §131 STGB, wo gerichtliche Auslegungen für die Spielfilmgestaltung zumeist amerikanischer Produktionen genau definieren, was Menschen und was „Zombies“ sind, die man nach allen Regeln der Kunst verstümmeln kann.
Und das mit der Säkularität, allerliebster Herr Söder, wie geht das? Wenn das Kreuz ein grundsätzliches Indiz für die deutsche Heimat ist, worauf beziehen Sie sich? Auf das Christentum? Müssten sich jetzt nicht alle christlichen Kirchen als Unterorgane des Staates betrachten. Stimmt das? Oder berufen Sie sich auf die Kreuzritter, die im Namen Gottes nahöstliche Einwohner abschlachteten? Okay, können Sie sagen, das mit den Kreuzzügen war eine Reaktion auf den Hilferuf des oströmischen christlichen Patriarchen. Das würde mir helfen im aktuellen Politikverständnis, wo wir ja auch nahöstlichen Verbündeten helfen, Einwohner anderer Länder abzuschlachten. Wie aber soll ich in so einem Land eine Heimat finden?
Und, als letztes, die Unschuldsvermutung. Diesen juristischen Grundsatz habe ich voll und ganz verehrt. In den unsäglichen Wirren um die neue Datenschutzverordnung ist er mir aber abhanden gekommen. Ist man schon ein Verbrecher, wenn man nicht beständig allen Leuten lange Ausdrucke zum Unterschreiben als Kenntnisnahme hinhält, in denen man versichert, sich an bestehende Gesetze zu halten? Und wie passt das in eine Rechtsprechung, wenn deutsche Regierungsvertreter äußern, „das würde schon nicht so schlimm werden mit der Wahrnehmung der DSGVO“? Gelten nun Gesetze oder nicht?
Ach, und da fällt mir noch das mit der unterlassenen Hilfeleistung ein. Hatte ich ja schon mal an anderer Stelle thematisiert.
Warum dürfen wir keine echten Flüchtlinge aufnehmen? Menschen, die wirklich in Not sind? Die in ihrer „Heimat“ gequält, verstümmelt und vergewaltigt werden und es nicht wie ein paar starke, jugendliche, „politische“ Aufrührer, pardon, Flüchtlinge mit Tricks und Gewalt schaffen, in unsere „Heimat“ zu kommen?
Wenn ich Deutschland als Heimat sehe, schießen mir sofort diese Bilder von dunklerfarbigen Kindern und Frauen ins Gehirn, deren Abschlachtung wir fördern! Vielleicht kann ich ja akzeptieren, dass das nur Zombies sind, wenn Sie mir nur gut genug zureden!
Helfen Sie mir, allerliebster Herr Seehofer! Bitte! Ich brauche eine Heimat als entwurzelter Migrant!
Grade jetzt, wo „unsere“ Fußball-Nationalmannschaft um Ruhm und Ehre für „unsere Heimat“ kämpft.

 

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