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Menschenberufe der Zukunft

raum&zeit-Kolumne von Manfred Jelinski

Ich glaube, ich sollte ein Nähstübchen aufmachen.
Oder was denken Sie, was man heute noch Sinnvolles tun kann? Ethisch einwandfrei, ökologisch, persönlich befriedigend und finanziell einträglich? Checken Sie mal die Berufe und die Geschäftsideen (neudeutsch „Start-Ups“) durch. Und schreiben Sie mir gern Ihre Erkenntnisse.
Es müssen aber alles Tätigkeiten sein, die in den nächsten zehn Jahren noch nicht durch ein intelligentes Gerät („künstliche Intelligenz“, abgekürzt KI) ersetzt werden kann.
Ich nehme jetzt mal an, dass Sie, wenn Sie es nicht schon haben, KEIN Zusatzstudium absolvieren möchten, um in die Upperclass der kommenden Gesellschaft aufzusteigen: KIs programmieren. Das jetzt noch zu lernen wäre vielleicht zuviel Aufwand.
Außerdem arbeitet man verbissen an selbst lernfähigen Computern. Die werden sich über kurz oder lang auch selbst duplizieren.
Aber alle Aufgaben, in denen noch sehr flexibles Handeln gefragt ist, mit einem guten Schuss Menschlichkeit, das hat Zukunft!
Und Coaching.
Wo kann man heute noch hingehen, wo einem ein Mensch wirklich zuhört? Mediziner, Psychologen oder Politiker?
Vergessen wir es. Zwischen dem Zwang zur juristischen Absicherung durch Dokumentation bis hin zu massiven Eigeninteressen ist für Zuwendung einfach kein Platz mehr. Für Irrtümer schon lange nicht.
Aber jemanden finden, mit dem man reden kann, richtig als Gegenüber, der Macken hat und zugibt, nicht perfekt zu sein, das wird immer wichtiger. Und wenn man dieser echten Person zuschauen kann, wie sie mit den eigenen Händen etwas schafft, was für eine Sensation! Wie der Stoff unter der fleißigen Nadel dahinrutscht, ab und zu von Ausrufen begleitet wie: „Au, das sieht gut aus!“ bis hin zu: „Verdammt, da ist es verrutscht!“ – ja, das hat doch was! Und man kann antworten: „Oh, wie schön!“ oder „Macht doch nix, sieht man doch kaum!“
Und dann kann man erzählen, wie das Kleidungsstück kaputt gegangen ist, vielleicht beim Tanzen, und dass man sich nicht mehr an das Musikstück erinnert.
Und der Näher, also ich denn, hat eine linguale Hemmung und kommt auch nicht auf die Sängerin. Dafür fällt mir aber ein anderes Musikstück ein, das aus einem völlig anderen Genre stammt, also nicht von einer Suchmaschine vorgeschlagen werden würde. Aber ich finde es nicht in meiner Unordnung, dafür aber ein Comic aus der guten alten Zeit, wo die Bilder noch richtig gezeichnet wurden.
Und wir streiten uns, wann das war. Und vielleicht versöhnen wir uns bei einem Gläschen und werden ganz echt ein bisschen beschwippst.
Ist das nicht herrlich?
Hm, finden Sie jetzt vielleicht noch nicht, aber Sie werden sehen, in zehn Jahren schon könnten Sie glücklich sein, so ein Nähstübchen zu finden, wo die Nähte nicht ganz gerade, aber das geliebte Teil gerettet ist. Wo keine Ressourcen belastet werden durch Wegschmeißen und Neukauf und man mit jemandem reden kann, der auch nicht perfekt ist.
Wäre das nicht toll?
Aber vielleicht sind Sie eher der Typ für synthetische Abenteuer in der virtuellen Realität eines Erlebnisanzuges. Oder für endlose Partys mit selbstgesteuerten Gummipuppen, die alles mitmachen, ganz perfekt.
Trotzdem: Denken Sie heute schon mal an ein Nähstübchen!

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