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Warum der Diskurs so wichtig ist

raum&zeit-Kolumne von Manfred Jelinski

Also, es steht außer Frage, dass Hitler ganz, ganz böse war und alles, was die Nazionalsozialisten gemacht, gedacht und getan haben, ganz doll pfui, pfui, pfui ist. So, nachdem das nun ein- für allemal für diejenigen geklärt ist, die auch auf der vollständigen Darstellung der DSGVO bestehen, möchte ich noch nicht unerwähnt lassen, dass ich mit beiden Beinen auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehe. Das sagte man nämlich in den siebziger Jahren, um nicht verdächtigt zu werden, mit der linksextremen RAF zu fraternisieren, wenn man etwas Staatskritisches zu sagen hatte. Später dann kam der wunderbare Begriff der Demokratur auf.
Wenn ich mir deutsche Nachrichtenverarbeitung zu Gemüte führe, frage ich mich schon am frühen Morgen: „Findet ihr nicht auch, dass ihr spinnt?“
Vielleicht habe ich zuviel „Asterix“ gelesen, aber das Dumme für unseren Staat ist doch, dass sich diesem Eindruck immer mehr Leute anschließen. Und das nicht, weil sie plötzlich Staatsfeinde geworden sind. Sondern weil sie über Jahrzehnte hinweg beobachtet haben, wie politische Fehlentscheidungen getroffen wurden und eine gesellschaftliche Diskussion unterbunden wurde, die eher zu einer Korrektur geführt haben könnte als diese unsägliche Deckelung der persönlichen Meinung, die im allgemeinen Konsens der oberen Politikerkaste verordnet wurde.
Nehmen wir ein paar Beispiele. Gleich mal zu Anfang das heißeste Eisen: die Nazizeit und deren Auswirkungen. Weder ich noch alle meine vier Kinder haben in der Schule eine akzeptable Aufarbeitung des Themas erleben dürfen. Nazis, das ist: Weltkrieg angefangen, Konzentrationslager und Völkermord. Und wer was anderes sagt, ist einzusperren. Okay, aber was nicht diskutiert oder sonstwie vermittelt wird, ist der Weg, der zur Herrschaft der Nazis führte. Weil daran immer die bürgerlichen Parteien einen großen Teil der Schuld hatten. Schauen Sie sich die Geschichte der Weimarer Republik an!
Ach was, schauen Sie heute um sich!
In Italien haben sich jahrzehntelang die Politiker um Macht und Pfründe gestritten, ohne soziale Probleme und Mafia aufzuarbeiten. Dann kamen die Migranten, die nun wegen ihrer Menge und durch die Ignoranz der anderen europäischen Staaten, die auf die Dublin-Verordnung pochten, dieses Land mit dem Problem allein ließen. Eine wunderbare Vorlage für eine populistische Darstellung, die neben einer Wählerwanderung auch zu einer ursprünglichen Spaßpartei wie der Fünf-Sterne-Bewegung zu einer im Moment noch als „rechts“ zu bezeichnenden Regierung führte. Einmal an der Macht, ist es sehr leicht, archaische Ängste vor fremden Sippen, die in das eigene, steinzeitliche Tal einwandern, zu schüren.
Und England! Den Brexit am meisten bedauern werden die jetzt jungen Leute.
Oder schauen Sie in die osteuropäischen Staaten der EU. Dort ist man noch lange nicht damit fertig, die teilweise jahrhundertelange Besetzung, Teilung und Drangsalierung durch fremde Mächte zu verarbeiten. Was hatte die EU zu bieten? Mc Donalds und Investoren aus der gesamten westlichen Welt. Fühlt sich auch irgendwie sowjet-unionisch an, nur eben andersherum.
Oder Spanien. Kann man sich mit Abtrünnigen nicht unterhalten, Gründe erkunden? Nein, es sind „Separatisten“!
Und nun: Schweden. „Also, wir sind gar nichts rechts!“, sagte der Vorsitzende der neuen populistischen Wahlsieger. „Wir sind manchmal national und manchmal sozialistisch. Also in der Summe in der Mitte.“
Ja, genau. National-sozialistisch. Das ist die Mitte.
Und auch in Schweden hat man offenbar nie offen darüber geredet, wie und warum solche politischen Strömungen immer wieder die Macht übernehmen können.
Statt sich darum zu kümmern, dass Jugendliche verstehen, was das alles bedeutet und wie es zu einem (übrigens in jeder Zeit) schädlichem Nationalismus kommt, ergeht man sich in Symptomkuriererei.
Natürlich sollten wir die Symbole der Nazis nicht weiter benutzen.
Aber die Art, wie man dieses verfolgt und hochstilisiert, führt genau zum Gegenteil. Gegen eine Regierung, die sich nicht mehr einsehbar erklären kann, ist die Benutzung solcher Inhalte doch heute zwischen aufmüpfigem Jungenstreich und „Ha, so können wir euch ärgern!“ angekommen. Und weil der Rechtsstaat statt Erklärungen hart zurückschlägt, wird der Widerstand nur gefestigt. Rache für Unverständnis.
Oder die „Reichsbürger“. Warum erklärt niemand öffentlichkeitswirksam, worauf deren Argumentation beruht und warum sie heute tatsächlich obsolet ist, auch wenn man das aus völkerrechts-juristischer Sicht als schmerzhaft empfinden muss?
Aber nur immer zu sagen, das sei eine böse, böse Verschwörungstheorie gegen die BRD, hilft überhaupt nicht.
Selbstverständlich können wir für einen Friedensvertrag und ein Erbe des Deutschen Reiches nicht den Zustand von 1938 wiederherstellen, wie es im Abkommen von Jalta 1945 von den Siegermächten festgelegt wurde. Das würde nicht nur Polen in der tiefsten Existenz treffen. Deshalb hätte man diese völkerrechtliche Grundfrage beizeiten klären müssen.
Hat man aber nicht.
Genau so wenig wie die Entscheidung, Wohnungsbau, Post, Bahn und Busverkehr, Energieversorgung und Wasserversorgung an internationale Investoren zu veräußern oder mindestens eine Aktiengesellschaft zu gründen. Inzwischen dämmert es, dass hier nur reiche Investoren Kasse machen, der Service, teilweise lebenswichtig, kapitalistisch völlig logisch verknappt und verteuert wird. Nun setzt eine noch teurere Welle des Zurückkaufens ein, um die nächsten Wahlen zu gewinnen.
Kommunisten kriegen einen Lachkrampf.
Und siehe: pünktlich zur Bayernwahl geschehen Dinge, die „für den Normalbürger nicht mehr nachzuvollziehbar sind“. Hambacher Forst, Hans-Georg Maaßen, Schießübungen im getrockneten Moor – alles Dinge, die nicht in Bayern stattfinden. Auch Seehofer ist ja nicht mehr in Bayern tätig – aber seitdem mehrfach staatsgefährdend tätig geworden. Die bisher „etablierten“ Parteien werden die Auswirkungen all dieser Vorgänge aber auch dort spüren.
Dumm nur, das die derzeitige kritische Bewegung schon längst von echten Nazis übernommen wurde. Und die ergötzen sich am unverständlichen Kurs des „Establishments“. „Na, dann sind wir eben rechts, wenn ihr das so haben wollt. Aber erstmal zählt die Rache an eurer Ignoranz!“, sagen „Wutbürger“.
Ja, genau so verlieren wir unsere wirklich wertvolle Demokratie.

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