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Zurück in die Zukunft oder vorwärts in die Vergangenheit

raum&zeit-Kolumne von Manfred Jelinski

„Früher ...“ Ich biss mir auf die Zunge. Rutscht mir doch immer noch unbewusst raus, wenn mein Verstand gerade zu beschäftigt ist, meinen geringen Leistungsumfang mit Problemlösungsversuchen zuzuschütten.
„Jaja, früher war alles besser und der Kaiser hatte einen Bart!“
Man weiß oft schon kurz vorher, was kommt. Passiert zwar immer öfter, hat aber mit Remote Viewing nichts zu tun.
Man sagt dann nichts mehr, denn es ist klar, dass die anderen auch keine Lösung haben. Und deshalb das Problem gar nicht diskutieren wollen. Politiker sind ja auch nur unsere Meinungsvertreter. Und da sollte man besser umschwenken und das Gesprächsthema auf etwas Erfreuliches lenken, zum Beispiel auf das neue iPhone oder wohin man im nächsten Urlaub fliegt.
Früher war alles primitiv, damit müssen wir uns gar nicht abgeben. Heute zum Beispiel können wir alles besser.
Früher gab es keinen Plastikmüll in den Ozeanen und kein Mikroplastik im Blut. Naja, früher gab es auch nicht so viele leckere Fertiggerichte und man musste die Milch in einer eigenen Kanne holen. Wie rückständig! „Unverpackt-Laden“? So’n Quatsch!
Weihnachten war früher ja auch sehr öde! Da gab es auch keine einzeln hochkompliziert verpackte größere Geschenkezahl, sondern Abdecktücher auf dem Gabentisch, die dann – Achtung, trari-trara! – wusch – weggezogen wurden. Als ich Kind war von unserem Nachbarn, also ich meine, vom Weihnachtsmann.
Aber bitteschön, das Auspacken ist doch sooo spannend. Der Kick sozusagen. Ritsch – ratsch – oh!
So und jetzt weg mit dem Scheiß! Wohin? Natürlich in den Müll. Ist doch alles geregelt, kümmern sich andere drum.
Ja, und die kümmern sich auch um den ganzen Rest. Die Welt kann so einfach sein. Wie wir früher sagten: Strom kommt aus der Steckdose! Ach, iih! Schon wieder früher!
Früher hatte ja auch noch kaum jemand ein Auto.
So, jetzt wird das Gespräch problematisch. Denn sogar unsere Spitzenpolitiker thematisieren solche Sachen wie „Carsharing“. Das ist eine ganz moderne Methode, den täglichen Stress in den Städten zu vermindern. Und das ist sehr fortschrittlich!
Früher – ja, ich sage das noch mal – wäre Carsharing der Anfang vom bösen Kommunismus gewesen. Und man hätte auch nieeee gesagt, dass das vielleicht vernünftig wäre! Wo kämen wir denn da hin!?
Nein, ich meine nicht das mit dem „vernünftig“ sein, sondern dass man kein eigenes Auto mehr hätte! Demokratiefeind! Kommunist!
Früher gab es schon Berichte über eine Erde, die im Müll erstickt und Menschen, die im Konsumrausch verrecken. Diese Berichte wurden in kleinen bunten Heftchen gedruckt und hießen „Utopische Romane“, was ungefähr das Gleiche ist wie heute „Verschwörungstheorien“.
Meine Mutter, Kriegsgeneration, hielt das jedenfalls für „Schund“. Sie musste es ja wissen, denn sie hatte ja auch „früher“ erlebt, was gut ist. Eine Diktatur nämlich.
Was würde sie über Kim, Erdogan, Trump, Johnson, Bolsonaro und wie sie alle heißen denken, die konzertiert, wenn auch scheinbar unabhängig, heute die Weltgeschichte bestimmen?
Nun, jedenfalls hatten wir keinen Müll in den Meeren. Und keine Klima-Dings ... äh, weia, schon wieder so was. 
Heute sind wir viel schlauer und kriegen das mit dem Klima auch hin, denn die Dinosaurier haben es uns verraten. Die hatten nämlich früher auch eine Warmzeit. Die dann plötzlich in eine Kaltzeit umschlug. Wobei sie dabei leider draufgingen. Aber unsere hehre Wissenschaft weiß nun auch, warum. Nein, der Staub, den der Asteroideneinschlag vor circa 66 Millionen Jahren hervorrief, war es nicht. Nicht allein. Der wichtigste Faktor war, dass aus dem küstennahen Gewässer bei Yucatan sehr viel Sediment-Schwefel in einem Abbrennprozess hochgeschleudert wurde. Und das hatte zur Folge, dass ungeheuer viele Aerosole entstanden. Und die haben die Sonne verdunkelt und die Erde abgekühlt. Und zwar länger als sich Staub hätte in der Luft halten können.
Kriegen wir heute auch hin, sogar gezielt. Sagt die Wissenschaft. Hat übrigens China schon gemacht, als die Olympischen Spiele in Peking waren. Schon vergessen? Ging durch die Nachrichten. Ach ja, war ja früher ...
Ich denke, ich ziehe mich doch lieber auf den nächsten Urlaub in der Karibik zurück. Das kann man sich so schön ausmalen. Und man tut ja auch was Gutes fürs Klima! Denn, wie die Wissenschaft herausgefunden hat, gibt es tatsächlich einen „Chemtrail-Effekt“.
Nein, keine Verschwörungstheorie. Je leistungsfähiger und zahlenmäßig mehr moderne Flugzeugtriebwerke werden, desto mehr Aerosole stoßen sie aus. Die auch länger in der Atmosphäre hängen bleiben.
Seit 20 Jahren diskutieren wir die für viele Menschen dystopischen Ergebnisse des Zukunfts-Projektes, das Remote Viewer betrieben haben. Vor 20 Jahren war auch schon „früher“. Leider sind wir von der „wahrscheinlichen Entwicklung“ nicht abgewichen, sondern haben nur „Meilensteine“ abgehakt.
Und damit liegen wir genau auf der gleichen Linie mit dem „Club of Rome“, der schon in den 1970er-Jahren erläutert hatte, dass wir nur noch 50 Jahre haben würden, in denen es uns gut geht. Mit allen unseren Ressourcen.
1970er Jahre ...
Früher.
Nein. Im Sommer 2019 hat eben diese Institution ganz neue Forschungsergebnisse veröffentlicht. Ganz neu. Wir sind sicher auf dem angesagten Kurs von 1972.
Dabei gibt es Lösungswege aus der Krise. Leider haben diese nur in engen Bereichen mit Hightech, Smartphones und Apps zu tun, sondern mit Konzepten, die viel mit „früher“ zu tun haben.
Früher? Bäh! Da ist man ja noch Bahn gefahren und hatte Stullenbrotpapier und das Frühstück in einer Blechdose.

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