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Meditieren mit Bäumen

Was Birke, Eiche und Tanne uns erzählen

Interview mit Wolf-Dieter Storl, Isny im Allgäu, von Angelika Fischer, Wolfratshausen

Wie kaum jemand sonst versteht es der Kulturanthropologe Wolf-Dieter Storl unsere Sinne für die uns umgebende Natur zu schärfen. Indem er aufzeigt, wie eng verbunden unsere Vorfahren mit Bäumen waren und wie sie diese in ihren Alltag miteinbezogen, gibt er wertvolle Impulse, sich für die eigene Wahrnehmung von Bäumen mehr zu öffnen. Und wer sich dazu entschließt eine Baum-Meditation zu versuchen, erhält von ihm hilfreiche konkrete Tipps.

raum&zeit: Heutzutage nehmen viele Menschen Bäume nur sehr distanziert wahr, als hübsche Begleiterscheinung oder als praktische Schattenspender. Sie dagegen erzählen davon, dass Menschen und Bäume sehr miteinander verbunden sind. Wie kommen Sie darauf?
Wolf-Dieter Storl: Ja, also erstmal verschwindet in der heutigen Zeit die Vegetation großenteils aus dem Bewusstsein, weil die Wirklichkeit immer mehr eine virtuelle Wirklichkeit wird. Aber Bäume sind Teil unserer Umwelt und bei alten Völkern waren sie ein ganz wichtiger Bestandteil der Kultur.
Man hat sie nicht nur äußerlich und objektiv betrachtet wie in der modernen Botanik, sondern man nahm auch ihre Ausstrahlung auf. Sie waren eingewoben in die ganze Ökologie und das Weltbild dieser Menschen. Zum Beispiel gab es bei den Kelten, Germanen und vielen sibirischen Völkern den Mythos, dass die Menschen aus den Bäumen entstanden sind, dass die Bäume sozusagen unsere Eltern sind. Die Nordgermanen, die in Skandinavien gelebt haben, erzählten, dass der Mann in der Urzeit aus einer Esche und die Frau aus einer Ulme entstanden ist.

Die Bäume als unsere Eltern

r&z: Wie soll diese Entstehung genau stattgefunden haben?
W.-D. S.: Die drei Ur Götter Wodan, Wili und We gingen am Urmeer entlang und zwei Baumstämme kamen angetrieben. Der eine war eine Esche und der andere eine Ulme. Da hauchte Wodan ihnen den Lebensatem ein und sie wurden lebendig. Wili gab ihnen eine empfindsame Seele. Der Dritte, We, er war eigentlich der Feuergott, gab ihnen die Lebenswärme und das rote Blut. Und dann kamen die kleinen Zwerge, die ja sehr klug sind und wunderbare Handwerker. Die haben dann mit ihren Meißeln und Hämmern den beiden ihre menschliche Gestalt gegeben. Das ist eine typische Sage, die man bei fast allen früheren Völkern findet, die die Verbindung zu den Bäumen und überhaupt zum Wald herstellt. Demnach kommt das Leben ursprünglich aus dem Wald.
Auch das Bild des Weltenbaums, das bei diesen Völkern sehr verbreitet ist, zeigt den Baum als Spiegel des Universums und Verbindung zwischen Licht- und Wurzelwelten. Seine symbolischen neun Hauptäste entsprechen den neun Welten. Auf der Erdebene leben wir, Tiere und Pflanzen, also was wir Natur nennen, darunter geht es in die Tiefe. Da sind die neun Hauptwurzeln. Dort leben Wesen, Göttinnen, die das Schicksal der Menschen, Tiere und sogar der Götter spinnen.
Und in all diesen Völkern gab es Spezialisten, die Zugang zu diesen Welten hatten, ganz bewussten Zugang. Heute würden wir sagen, die neun Hauptäste, bzw. -wurzeln, sind die neun Ebenen des Unterbewussten. Der Baum war innig verbunden mit dem Weltbild dieser Waldvölker.

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