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Das digitale Kind – Hauptsache WLAN!

Von Christine Kammerer, Neumarkt – raum&zeit Ausgabe 215/2018

Draußen herumtollen, in der Erde wühlen, alles in den Mund stecken. Sich die Knie aufschlagen und mit völlig verdreckten Klamotten wieder nach Hause kommen. Sich an den Tisch setzen und mit Eltern und Geschwistern zusammen Abendbrot essen. Das war analoge Kindheit. Das war damals, als Kinder noch Zeit zum Spielen hatten. Als ihr Terminkalender noch nicht randvoll mit wichtigen Terminen wie Karate, Ballett, Geige spielen, Englisch lernen, Mathe Nachhilfe, im Chor singen etc. zugepflastert wurde. Und mit Schule natürlich. Wenn sie endlich alle Punkte auf der Agenda absolviert haben, schieben sie sich eine vegane Bio-Lasagne in die Mikrowelle. Die verzehren sie dann auf der Couch vor der Glotze. Dort, wo sich schon die Eltern und – falls vorhanden – auch die anderen Geschwister eingefunden haben. Um gemeinsam zu Daddeln. Also genau genommen natürlich jeder für sich. Jeder mit seinem Smartphone, mit dem Nintendo, mit Tablets und sonstigen Devices. Soviel zum beschaulichen Leben privilegierter Kinder in Deutschland.

Die anderen lassen die ganzen Termine vorher einfach weg. Bis auf die Schule natürlich. Meistens jedenfalls. Sie verbringen ihr Dasein einfach komplett vor der Playstation. Fernseher läuft nebenbei. Riesengroß und ultrascharf. Smartphone immer griffbereit. Und zwischendurch einfach eine Pizza aus der Mikrowelle. Das ist digitale Kindheit.

Im Grunde fehlt es unseren Kindern an rein gar nichts. Hauptsache WLAN. Das wirkliche Leben verschmilzt mit der virtuellen Welt. Und aus der darf man die Kids nicht einfach heraus reißen. Das ist uncool. Erst noch das nächste Level fertig spielen. Die Anziehungskraft des Digitalen ist magnetisch. Es glitzert, blinkt und piepst und liefert den Kids ihre täglichen Adrenalin-Kicks. Sie hängen am Kabel wie Junkies an der Nadel. Checken permanent alle Kanäle und Nachrichten. Sind süchtig nach Smileys und Likes.

Lesen, denken, reden? Das waren Fähigkeiten, die man erwarb, indem man zum Beispiel echte Bücher las. Dadurch wurde man zum Denken animiert. Man unterhielt sich damals sogar noch mit richtigen echten Menschen darüber. Und lernte dabei ganz nebenbei auch noch Dinge wie soziale Kompetenz. Heute sind Menschen ohne ihr Smartphone so gut wie vollkommen hilflos. Sie verlieren zum Beispiel ohne Navi vollkommen die Orientierung. Ein Leben ohne WLAN, das ist aus Sicht vieler Jugendlicher so unvorstellbar wie Leben bei den Amischen. Steinzeitlich. Vorsintflutlich. Eine Sackgasse der Evolution.

Und dennoch gibt es heute mehr Studenten als je zuvor. Aber an der Uni stellen die Professoren dann plötzlich verwundert fest, dass es mit den einfachsten Kulturtechniken hapert. Dem Lesen zum Beispiel. Wie – ein ganzes Buch? Selber lesen? Warum stellen Sie es nicht einfach ins Internet? Und markieren die wichtigsten Passagen mit Textmarker?

Und überhaupt – wo ist eigentlich mein digitaler Babysitter? Alexa …?

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