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Das Land der Dichter und Denker

Von Robert Stein, Ismaning – raum&zeit Ausgabe 218/2019

Oh, armes Deutschland, was ist nur aus Dir geworden? Wenn Goethe, Schiller, Leibniz, Kant und all die anderen großen Geister auf Dich zurückschauen, muss es ihnen recht seltsam vorkommen, welch wundersame Dinge hier und heute passieren. Einst warst Du angesehen als ein Volk der Tüftler und Erfinder. Was wäre die Welt heute ohne Gutenbergs Buchdruck? Wie sehr haben Benz und Daimler die Welt verändert? Planck, Heisenberg, Siemens, Röntgen, Bosch, die Liste deiner glorreichen Söhne ist lang.
Wenn es auf der Welt ein Problem gab, dann hat man deutsche Ingenieure die Lösung suchen lassen und ihr Ruf eilte ihnen weit voraus. Nichts schien ihnen unmöglich.
Das waren noch Zeiten, damals.

Doch was mögen wohl heute die Menschen in China denken, die jedes Jahr 10 bis 15 neue Flughäfen eröffnen, wenn sie nach Berlin schauen und feststellen müssen, dass eine funktionierende Feuerschutzanlage am neuen Hauptstadtflughafen auch nach zehn Jahren ein unüberwindbares Hindernis für unsere Techniker darstellt? Der Brandschutz als die große Hybris für unser Land?

Noch seltsamer wird es für sie sein, wenn sie ihren Blick gen Süden der Republik wenden. Dieses einmalige neue Konzept der deutschen Bahn in Stuttgart wird sicherlich noch oft kopiert werden, wenn sich herumspricht wie vorteilhaft es sein wird, einen Bahnhof für mehr als zehn Milliarden Euro in einem großen Loch verschwinden zu lassen, um dann Platz für weniger Züge zu haben. Welch Innovation, welch Fortschritt für Land und Leute!

Doch am deutschen Wesen soll die Welt genesen und so hat sich mittlerweile ein ganzes Heer von GutmenschInnen dazu auserkoren, die Welt vor der drohenden Umweltapokalypse zu bewahren und tagtäglich ziehen sie hinaus in die Schlacht zur Überzeugung der Ungläubigen und Leugner. Elektromobilität ist das große Zauberwort der Stunde, womit die ganze Republik nun endlich beglückt werden solle. Dieses edle Ziel sei nämlich viel wichtiger als das Schicksal kleiner Kinderhände in Chile, die dort in den Minen die seltenen Erden für unsere Autobatterien heraus graben müssen.

Klimaschutz ist eben wichtiger als Umweltschutz, heißt es so schön aus der Zentrale der neuen Bundesregierung: Der Deutschen Umwelthilfe. Hoch zu Ross sitzt dort der Alleinherrscher, seit mehr als dreißig Jahren, und treibt Land und Leute vor sich her als gäbe es kein Morgen mehr. Und der Schuldige ist auch schon gefunden: Dem Dieselmotor muss ein Ende gesetzt werden, damit der brave Bürger am Neckartor in Stuttgart nicht mehr verpestet werde. Was spielt es da schon für eine Rolle, dass die Kerzen vom Adventskranz am Weihnachtstisch zwanzig mal mehr Stickoxyde produzieren als der Grenzwert es für Autos zulässt?
So dämmert es dahin, das Land ohne Dichter und Denker, oder wie ich neulich zwei junge (wohlgemerkt deutsche) Männer in der Straße zueinander habe sagen hören: „Ey, alter, gehst du stadt? nimmst du u-bahn!“.

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