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Der „kleine” Unterschied

Von Robert Stein, Ismaning – raum&zeit Ausgabe 224/2020

Um die 30 Millionen Worte hat ein Kind von Akademikern bis zur Einschulung mehr gehört oder vorgelesen bekommen als ein Kind der Arbeiterklasse. Und dieser Unterschied ist für das Lernen und Leben mehr als entscheidend, denn das Vorschulalter ist die prägendste Phase in der Bildung der Hirnstrukturen, der sogenannten Synaptogenese. Der Rest ist mehr oder weniger nur noch Verfeinerung. Das wirklich Doofe dabei: Die Wenigsten haben davon jemals etwas gehört und ganz sicher niemand in den fantastischen Kompetenzzentren der Politik, wo Bildung mehr als Ware standardisiert und evaluiert wird. Der schiefe Turm der deutschen Bildungspolitik zu Pisa lässt grüssen.

Zu schade auch, dass bisher fast niemand so wirklich begriffen hat, wie schädlich der Umgang mit Smartphone & Co. für ein sich noch entwickelndes Gehirn ist. Weit von dieser Einsicht entfernt soll nun ausgerechnet der Ausbau digitaler Mittel an Schulen Rettung für ungleiche Bildungschancen bringen. Auf uns rollt die größte und stolzeste Digitalisierungswelle zu, die unsere Kinder je erlebt haben. Ein unaufhaltsamer Tsunami aus digitalen Medien soll es jetzt richten, am  besten schon im Kindergarten. „Digitalisierung FIRST, Bedenken SECOND“ war sogar der grausige Wahlkampfslogan einer heute bedeutungslosen Partei (FDP), und so kommt es nun wie es kommen musste:

Der milliardenschwere große Regen der eigenschaftslosen Oberflächen von Smartphones und Tablets ergießt sich über unsere Jüngsten. 
Wer braucht schon eine Schreibschrift? Weg mit Papier und Stift! Auf den Müll mit Kreide und Tafel, damit Platz einkehre für die kalten Bildschirme unzähliger elektronischer Helfer!

Wohin diese Reise führen wird, zeigen uns die Länder, die uns digital weit voraus sind. Das simple Fazit, das man in Südkorea ziehen musste: Diese Nummer geht fürchterlich schief.
Ein fatales Spiel mit der wichtigsten Ressource der Zukunft, der geistigen Gesundheit der Kinder.
Doch einen bescheidenen Plan zur Rettung gibt es: Wenn Sie mit dem Glück gesegnet sind und Kinder haben, dann wäre es mehr als ein guter Anfang, wenn Sie

1. Bildschirme jeder Art ausschalten oder auf das Mindeste reduzieren (Sie wissen schon, offline ist das neue Bio)

2. Analoges Internet einschalten (also Kinderbücher aufschlagen)

3. Vorlesen, vorlesen und dann wieder vorlesen, um die kleinen Seelen mitzunehmen an Orte der Verzauberung und Fantasie, die sie noch nie zuvor gesehen und sich vor allem selbst erschaffen haben.

Und wenn Sie wissen wollen, wie viele Bücher Sie vorlesen sollten, dann teilen Sie einfach 30 Millionen Worte durch die Anzahl der Worte in einem Kinderbuch. Sie werden sehen: Nichts lohnt sich mehr!

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