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Fotograf: Armin Kübelbeck, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:MHKW_Darmstadt_01.jpg, Wikimedia Commons

Die unheimliche Poesie der schleichenden Kontamination

Von Christine Kammerer, Nürnberg – raum&zeit Ausgabe 183/2013

Ein ruhiges Gewissen ist eine wunderbare Sache. So denken wir Deutschen und trennen unseren Müll akribisch, diszipliniert und Tonne für Tonne. Unser täglicher Beitrag zum Umweltschmutz. Wer will schon so genau wissen, was mit dem Müll in der Tonne wirklich passiert? Hauptsache er verschwindet aus unserem Blickfeld. Und das tut er. Er macht sich sozusagen unsichtbar. Müllverbrennungsanlagen sind auf ihre Art beispiellos demokratisch. Die gleißende Glut der Öfen pulverisiert alles in gleichmütiger Gründlichkeit. Und damit die Glut niemals erlischt, kippen die Betreiber einfach die brennbaren Kunststoffe hinzu. Fast vollständig recycelbare Kunststoffe wohlgemerkt. Weiterverwertung? Fehlanzeige. Nachhaltigkeit? Romantisch verklärte Sehnsucht unverbesserlicher Öko-Träumer.
Ob Wertstoff oder Gift – deutsche Müllverwertungs-Wertarbeit kennt keine Diskriminierung. Ungeachtet ihrer Herkunft, Abstammung und spezifischen Eigenheiten verglühen die absonderlichsten Absonderungen in der Hitze der Müllschluckschlünde. Asche zu Asche, Feinstaub zu Feinstaub.

Zerlegt in ihre atomaren Partikelchen wandern all die namenlosen Substanzen dorthin, woher sie niemals kamen – in den Kreislauf der Natur. Plastik und Chlor, Schwermetalle und Dioxine tanzen leise im Wind durch die Lüfte, sickern beständig mit dem Regen in die Tiefen unseres Grundwassers und finden früher oder später unaufhaltsam ihren Weg in die Ozeane.
Auf ihrem unergründlichen Weg durch die Atmosphäre und die Lebensadern unserer einzigen Erde vermengen sie sich mit anderen molekularen Bausteinchen zu neuen unbekannten Lebensgemischen und verwandeln sich unterwegs in prickelnde Überraschungs-Cocktails. Und dank der immer komplexer werdenden Filteranlagen steigt die Konzentration der in der Schlacke verbleibenden Gifte weiter und weiter. Niemand auf Gottes Erdboden könnte auch nur annähernd besagen, wie sich das dabei heranköchelnde toxische Substrat auf Menschen und Tiere und auf die Natur überhaupt auswirken könnte.

Müllweltmeisterlich vorbildlich, wie wir Deutschen nun einmal sind, importieren wir sogar den Umweltschmutz der anderen, damit die Schornsteine unserer Verbrennungsanlagen Tag und Nacht rauchen, was das Zeug hält. Oder eben auch nicht hält. Denn auch wenn wir selbst unseren Abfall in mühevoller Kleinarbeit in blau, grün und gelb durchnormieren und sogar fleißig die kleinen Joghurt-Becherchen spülen, wandern schließlich doch all die feinsäuberlich getrennten Sächelchen mir nichts dir nichts in eine große Tonne. Emissionsgrenzwerte? Schall und Rauch. Genau wie die Normen für den Ausstoß der toxischen Wolken. Alles nur vage Nebelschwaden, wo doch nicht einmal bekannt ist, wie sich die Stoffe letztlich zu- und miteinander in der Umwelt verhalten. Nachhaltig ist dabei bestenfalls die Wertschöpfung der Müllverbrennungsanlagen-Betreiber.

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