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Frequenzwechsel

Von Robert Stein, Ismaning – raum&zeit Ausgabe 225/2020

Wer kann sich noch daran erinnern, wie man bei alten Radios am Regler die neue Frequenz genau treffen musste, damit ein sauberes Signal kam? Wie lange nur Rauschen kam und dann plötzlich der neue Sender zu hören war. Man musste ganz exakt einstellen und auch die Antenne musste genau ausgerichtet sein. Ohne Feingefühl gab es keine Musik.

Und auf einmal, dreht irgendwer oder irgendwas am großen Regler der Weltfrequenz und plötzlich hören wir nur noch weißes Rauschen. Die allseits gewohnte Melodie der Spaß- und Konsumgesellschaft verstummt gefühlt über Nacht und wir wachen auf in einer Welt ohne Straßenlärm, ohne Flugverkehr, ohne Bundesliga und dazu noch im Hausarrest. Ach, nur ein paar Wochen denken viele. Dann geht es bestimmt zurück zum alten Takt. Weiter wie gewohnt. War doch so schön hier. Uns ging es doch so gut. Uns ging es doch so gut?

Schmerzhaft trifft diese Tatsache diejenigen, die bisher blind durchs Leben gestapft sind. Doch auch für stets wache Geister wird diese nun kommende Zeit sicher eine große Prüfung sein. Ein globaler Frequenzwechsel wurde eingeleitet und der alte Sender ist verstummt. Nun sind wir im Zwischenraum, zwischen den Signalen und die nahe Zukunft liegt voller Möglichkeiten und Variationen. Worauf wird sich die Welt „eintunen“, welches Programm werden wir als Kollektiv ansteuern? Schlagerparade oder Heavy-Metal-Konzert? Helene Fischer oder Rammstein? Lassen wir uns wieder einlullen oder gestalten wir unser neues Programm diesmal selbst?

Es gibt unendlich viele Variationen der Zukunft und solange die Sonne nicht aufhört ihre Energie zur Erde zu schicken, wird sich der Planet auch fleißig weiter drehen, ob mit oder ohne uns. Da wäre es doch jetzt eine ideale Gelegenheit einmal den richtigen Sender für diese Welt einzustellen, oder? Ein neues Wirtschaftssystem, welches Ökologie und Nachhaltigkeit als oberste Prämisse hat. Eine neue Energielandschaft, die Tesla, Schauberger und Co. endlich ihre verdiente Rolle zukommen lässt. Eine Landwirtschaft, die keine Monokulturen mehr kennt, sondern Artenvielfalt im Einklang mit der Natur. Eine Kultur, die in jeder Stadt hundert Bienenvölker aufstellt und dann zuschaut, wie die Natur schon innerhalb kürzester Zeit zurück ins Gleichgewicht kommt.

Die neue Melodie auf dieser Welt ist noch nicht zu hören und wir werden jetzt durch das Rauschen hindurch gehen, aber vielleicht wird einmal in den Geschichtsbüchern stehen:

„Die Zeit des Spätkapitalismus endete damals abrupt im Jahr 2020, als die Welt wie nie zuvor zum Stillstand kam. Doch nach einer kurzen Phase der Unsicherheit und der Neuregulierungen, brach jene Epoche an, die nun die Zweite Renaissance genannt wird.“

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