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Wie lieben Baumwolle – Hauptsache billig & Bio

Von Christine Kammerer, Nürnberg – raum&zeit Ausgabe 184/2013

Zwölf Kilo Baumwolle im Jahr? Pro Kopf? Weltweit? Da ist doch die Frage gestattet: Wozu braucht eigentlich ein einzelner Mensch so viel Baumwolle, wo doch in einem T-Shirt gerade mal ein Kilo Rohmaterial verarbeitet wird? Aber zwölf T-Shirts kommen eben schnell zusammen. Insbesondere in diesen großen Fettflecken auf dem Globus, die sich dem hemmungslosen Konsum von fast allem verschrieben haben. Fast allem, was billig ist. Und wir in Europa kommen da wegen der Einkommenselastizität locker auf fast dreimal so viele T-Shirts wie Verbraucher in Asien. Tendenz steigend.

Brauchen wir also wirklich noch mehr T-Shirts? Ja, klar! Die Modezyklen werden schließlich immer kürzer und wo wir jetzt nicht nur einen Sommerund einen Winterschlussverkauf haben, sondern auch noch einen Mid-Spring- und vermutlich bald auch noch einen Autumn-Sale, brauchen wir künftig natürlich noch viel mehr T-Shirts. Wozu? Na, zum Verramschen auf den Wühltischen. Drei Euro das Stück. Einer davon geht schon mal für das Material über die Ladentheke. Die anderen 1,90 bleiben bei den CEOS und Aktionären von H&M, Gap und Mango. Und die restlichen zehn Cent gehen dann abzüglich der Transport-Kosten an die Näherinnen in den Kleiderfabriken. Zum Beispiel in Bangladesch. Das sind die, die diese hübschen Labels auf die T-Shirts nähen, auf denen ganz groß „Bio“ und „nachhaltig“ steht, wenn ihnen nicht gerade einer dieser heimtückischen Fabrik-Unfälle die Existenz oder gar das Leben geraubt hat.

Es ist ja im Grunde sehr löblich, dass Bio-Mode endlich das Waldschrat-Image verloren hat und salonfähig geworden ist. Weil sich inzwischen herumgesprochen hat, dass auch der ökologisch bewusste Verbraucher einen gewissen Sinn für Ästhetik besitzt. Und unförmige Grobstrickware aus kratziger Roh-Baumwolle gilt nun einmal selbst in Öko-Kreisen als untragbar. Bio-Mode boomt und hat der Textilbranche wie kaum ein anderes Produkt einen gigantischen Hype beschert. Doch wo das textile Bio-Label drauf pappt, ist heutzutage eher selten wirklich nachhaltige Ware drin. Anders als bei Lebensmitteln, wo inzwischen drin sein muss, was drauf steht.

Aber was ist das eigentlich – eine „nachhaltig“ produzierte Textilie? Und wann ist Wolle wirklich Bio? Da drückt der Konsument schon gerne mal großzügig beide Augen zu. Insbesondere der Lifestyle-Trendsetter, der sein gutes Gewissen für wenige Euros im Discounter um die Ecke erstehen möchte. Bei KiK und H&M zum Beispiel, oder wo auch immer das sanfte Ruhekissen aus Bio-Baumwolle billig zu haben ist. Und: Ja, die billige Kopie aus der Ramschecke ist wie die sündhaft teure Version mit dem Siegel von Nike tatsächlich manchmal aus richtiger, echter Bio-Baumwolle. Über Herstellungsverfahren und Produktionswege ist allerdings nichts bekannt, aber wer will das schon so genau wissen? Sind die Produktions-Bedingungen eigentlich menschenwürdig? Ist die Wolle vielleicht mit chemischen Stoffen eingefärbt? Ist das T-Shirt wirklich rückstandsfrei recycelbar? Und woher kommen sie überhaupt, diese schier unermesslichen Mengen an Bio-Baumwolle? Alles viel zu kompliziert.

Die Unternehmensphilosophen der Textil-Riesen ergehen sich im Rahmen feigenblättriger Absichtserklärungen und Unternehmensrichtlinien neuerdings in Schwärmereien über ihre Liebe zur Umwelt und die immense soziale Verantwortung, die sie tapfer übernehmen. Durchsichtige PR-Manöver für fadenscheiniges Gewebe. Die allermeisten Hersteller sind noch nicht einmal imstande, schlüssig zu belegen, dass ihre Wolle auch wirklich biologisch produziert wird. 30 Prozent der als „Bio“ deklarierten Ware erweisen sich bei Überprüfungen als gentechnisch veränderte Baumwolle. Und die Hersteller verweigern auch schon mal gerne den Zugang zu den Produktionsstätten. Aus guten Gründen – wie wir spätestens nach den Berichten über die Zustände in Bangladeschs‘ Bekleidungsfabriken wissen. Wissen sollten. Wenn wir nicht wieder die Augen feste zudrücken.

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