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Wir sind die Müll-Mafia

Von Christine Kammerer, Neumarkt – raum&zeit Ausgabe 208/2017

Deutschland verbraucht 54,5 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr. Ein Drittel davon landet im Müll. Das sind 18 Millionen Tonnen. Vor allem Grundnahrungsmittel. Beim Brot allein sind es schon 2 Millionen Tonnen. Wir leben derart im Überfluss, dass wir Nahrung gar nicht mehr zu schätzen wissen. Sind ja nur Lebensmittel.
Der Konsument ist schuld. Sagt die Industrie. Wir kaufen zu viel auf einmal ein. Wir wissen nicht mehr, wie man die Sachen richtig lagert. Und das mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum kapieren die meisten einfach auch nicht. Der Verbraucher ist tatsächlich schuld. Denn beim Endverbraucher gehen fast 40 Prozent der Lebensmittel verloren. Die restlichen 60 Prozent bleiben irgendwo zwischen Produzent und Großverbraucher auf der Strecke. Sind ja nur Lebensmittel.

Bei Lebensmitteln plagt uns vielleicht sogar noch ein bisschen das Gewissen. Mit anderen Abfällen gehen wir nämlich sehr viel leichtfertiger um. Mit Arsen und Asbest zum Beispiel. Mit Phenol und Benzol, PET und PVC, BPA et cetera. Unser Müll ist eine Wissenschaft für sich. Der Laie blickt da kaum noch durch. Deswegen landet am Ende einfach alles in der Tonne. Und das mit gutem Gewissen. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan. Der Müll kann gehen. Was kümmert‘s uns? Wenn der Sack erst zu ist, sind die andern dran. Die Industrie ist schuld. Sagt der Verbraucher.

Die Industrie floriert. Sie sammelt Müll, was das Zeug hält. Recycelt ihn. Vielleicht. Oder verbrennt ihn. Oder lädt ihn einfach irgendwo ab. Gar nicht so selten nachts im Dunkeln. Und nicht immer da, wo er eigentlich hingehört. Nach italienischem Vorbild. Denn in Italien war Giftmüllentsorgung lange ein äußerst lukrativer Geschäftszweig. Auch die anderen Europäer haben ihren radioaktiven und mit Schwermetallen verseuchten Müll gerne gen Bella Italia abgekarrt.

Wir Deutschen natürlich auch. Das war nämlich viel einfacher, als ihn selbst zu entsorgen. Viel sauberer. Und viel sicherer, als den Dreck einfach in Deutschland zu verbuddeln. Dafür aber auch nicht ganz billig. Ein Millionengeschäft eben. Dumm nur, dass das Gift irgendwann ins Grundwasser durchsickerte und die Böden der italienischen Bauern verseuchte. Und natürlich auch die Lebensmittel auf ihren Äckern.

Das waren doch nicht wir! Das war doch die Müll-Mafia! Wir entsorgen unseren Müll schließlich vorbildlich nach Vorschrift. In schwarzen, grünen und blauen Tonnen. Und im Gelben Sack. Fein säuberlich getrennt. Oder im Pfandautomaten. Unser Gewissen ist rein. Weil das nämlich alles recycelt wird. Oder etwa nicht?

96 Prozent der PET-Flaschen werden zurückgebracht. Immerhin gibt es ja auch reichlich Pfand dafür. Daraus entstehen 450 000 Tonnen Kunststoffabfälle. Die werden zu 71 Prozent recycelt. 20 Prozent gehen ins Ausland, wozu auch immer. Und der Rest – immer noch fast 10 Prozent – wird schlicht verbrannt. Die Öko-Bilanz beim Recycling ist übrigens grottenschlecht. Der Aufwand und der Energieverbrauch sind gigantisch und stehen in keinem Verhältnis zu dem, was hinten raus kommt. Aber immer noch besser als das Plastik direkt ins Meer zu werfen.

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