Burnout

Wenn das „Feuer des Lebens“ herunter brennt

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„Das schaffe ich schon. Das geht schon noch.“ In unserer Leistungsgesellschaft laden sich immer mehr Menschen vermeintliche Verpflichtungen auf. Sie entfernen sich zunehmend von ihren Bedürfnissen, bis ihre Lebenskraft immer mehr schwindet, sie kaum mehr in der Lage sind, sich an et...
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Burnout
Von Irene Maria Klöppel, Köln – raum&zeit Newsletter 177/2012

„Das schaffe ich schon. Das geht schon noch.“ In unserer Leistungsgesellschaft laden sich immer mehr Menschen vermeintliche Verpflichtungen auf. Sie entfernen sich zunehmend von ihren Bedürfnissen, bis ihre Lebenskraft immer mehr schwindet, sie kaum mehr in der Lage sind, sich an etwas zu freuen und ihre Leistung trotz zunehmender Anstrengung immer weiter hinter ihren Ansprüchen zurückbleibt. Irene Maria Klöppel weist eindringlich darauf hin, die Warnsymptome ernst zu nehmen und zeigt Wege auf, aus dem Hamsterrad auszusteigen. 

Ständiger Stress führt zu Burnout

Gibt es denn auf dem Weg in die Stressspirale nicht so etwas wie einen Schlagbaum oder wenigstens ein Schild, auf dem steht, „ab hier wird es gefährlich“, damit man rechtzeitig anhalten kann? Leider nein! Und das ist die Krux. Es ist wie mit dem Frosch, den man gar kochen könnte. Würde man einen Frosch in heißes Wasser setzen, täte er sofort alles, da heraus zu kommen. Aber – so hat sich gezeigt –, würde man ihn in kaltes Wasser setzen und dann dieses Wasser langsam erhitzen, so unternähme er nichts und bliebe so lange im Wasser, bis er tot wäre. Nichts Anderes geschieht, wenn ein Mensch, der sich in ständigem Stress befindet, schließlich im Burnout landet.

Stress früher und heute

Stress hat es schon immer gegeben. Wohl jeder hat schon einmal so eine Durststrecke hinter sich bringen müssen und ist deshalb nicht gleich im Burnout gelandet. Warum ist auf einmal etwas gefährlich, was es schon immer gab? Ganz einfach, weil die Umstände sich geändert haben! Wer heute noch hofft, das Licht am Ende des Tunnels müsste jeden Moment auftauchen, ist meist betrogen – weiß dies aber nicht. Also strengt er sich an, strengt sich weiter an und immer weiter. Dabei bleibt aber das Ende des Tunnels außer Sicht.

Was aber hat sich geändert? Ein Beispiel: Wenn vielleicht noch vor hundert Jahren auf einem Bauernhof jeder, der Hände hatte, auf die Felder ziehen musste, um das reife Getreide noch rechtzeitig vor einem drohenden Wetterumschwung herein zu holen, und wenn dafür alle vom ersten Morgengrauen bis fast in die Nacht ohne Pause schufteten, dann war das ganz gewiss Stress und gewiss nicht wenig; denn eine vernichtete Ernte hätte damals schlichtweg Hungersnot bedeutet. Doch nun kommt der Unterschied: Nach solch einer enormen Anstrengung atmeten die Menschen erst einmal auf und belohnten sich. Sie lehnten sich zurück und schauten erleichtert auf das Geschaffte. Sie ließen los, sie feierten Erntedank. Hier wird deutlich: Nicht die Anstrengung an sich führt ins Burnout, sondern es fehlt nach der Anstrengung die Entspannung und die Freude über das Geleistete. Man hastet von Einem zum Nächsten, wird zwischendurch auch noch durch Anrufe und Mails gestört, hakt quasi nur noch die einzelnen Stationen ab, ohne zwischendrin aufzuatmen.

Belohnung für Gipfelstürmer

Hilft es einem Menschen, der extrem unter Stress leidet, ihn einfach einmal in Urlaub zu schicken? Das bringt nur dann etwas, wenn dieser Mensch im Urlaub tatsächlich abschalten und sich erholen kann. Viele können das aber schon gar nicht mehr. Dann bringt auch ein Urlaub nichts, erst recht, wenn derjenige danach weiter macht wie bisher. Dann ist er nämlich ganz schnell wieder da, wo er vorher war. So jemand braucht etwas Anderes. Hierzu ein Beispiel: Stellen wir uns einen Bergsteiger vor! Wenn er auf dem Gipfel ankommt, dann können wir sagen: Der hat bestimmt jede Menge Stress hinter sich. Und dennoch wird er bald den nächsten Gipfel angehen. Nun stellen wir uns vor, dass, sobald er den Fuß auf den Gipfel setzt, ein Hubschrauber landet. Die Besatzung steigt aus, hievt den Gipfelstürmer ins Innere und lässt ihn erst an einem Strand wieder aussteigen mit der Empfehlung: „Du hattest so viel Stress; nun ruh Dich erst mal aus!“ Glauben Sie, das wäre hilfreich für den Bergsteiger? 

Nein! Bergsteiger zieht es auf die Gipfel, weil sie das Gefühl genießen wollen, ganz da oben zu stehen, sozusagen die Welt unter sich zu sehen, es geschafft zu haben. Sie wollen den Lohn ihrer Anstrengungen genießen – genießen, dass sie diesen Sieg errungen haben. Das ist für sie Erholung! Wieder sehen wir, es geht um eine bestimmte Art von Belohnung. Es geht darum, Raum zu haben, sich am Geleisteten zu erfreuen oder auch darum, Anerkennung zu bekommen. Es kommt also auf den Moment des Innehaltens an, auf den Moment, in dem man die Früchte seines Tuns erntet, das Alte abschließen und zu etwas Neuem übergehen kann. – Hier bekommen wir eine Ahnung davon, an welcher Stelle Stress ins Burnout kippen kann.

Warnzeichen des Körpers

Gibt es Alarmglocken, die uns rechtzeitig aufhalten können, bevor wir immer tiefer in den Stresstunnel geraten? Die gibt es in jedem Fall! Jemand, der im Burnout landet, hat jede Menge Zeichen seines Körpers ignoriert. Das können Schlafstörungen sein, Herzprobleme, Magenschmerzen, Schwindelgefühle. Natürlich können diese Symptome auch andere Ursachen haben. Spätestens aber wenn keine organischen Ursachen für derartige Störungen gefunden, sollte daran gedacht werden, dass es Stresssymptome sein können. Leider ist es aber erstaunlich, wie viele Menschen mit ihrem Auto besser umgehen als mit ihrem Körper. Ihr Auto würden sie niemals über längere Zeit im roten Drehzahlbereich fahren. Aber ihrem Körper tun sie das an. Und irgendwann klemmt sogar das Gaspedal; und sie kommen nicht mehr vom roten Drehzahlbereich herunter.

Was machen wir, wenn wir nicht mehr in gewohnter Weise funktionieren? Viele strengen sich noch mehr an, geben noch mehr von dem, was sie eigentlich dringend für sich bräuchten. Der nächste Schritt: Man kann sich nicht mehr freuen, ist immer weniger empfänglich für die schönen Dinge des Lebens. Dann nimmt die Konzentration ab, Gedanken und Handlungen werden fahrig. Es passieren immer mehr Fehler. Man arbeitet nicht mehr wirklich effektiv. Schließlich geben viele, die sich auf diesem Level befinden, den Druck, den sie innerlich spüren, nach außen weiter; sie werden zum Beispiel ruppig. Es entstehen Spannungen im Umfeld, mit Kunden, mit Mitarbeitern. Die Leistungsfähigkeit nimmt weiter ab. Organisieren und Planen ist kaum noch möglich. In dem Versuch, die Defizite zu kompensieren, verfallen die Betroffenen oft in blinden Aktionismus. Spätestens hier treten Probleme am Arbeitsplatz beziehungsweise im Unternehmen auf. Spitzt sich der Zustand weiter zu, fällt der Mensch auf Reaktionen des frühen Menschseins zurück; er reagiert mit Amoklauf – oder Flucht – meist jedoch mit einer Art Erstarrung, in der praktisch nichts mehr geht. Am Ende steht der physische Zusammenbruch, berufliches Scheitern, geschäftlich meist Verluste oder gar ein Konkurs.

Ein Ausstieg ist zu jeder Zeit möglich

Doch sollte jeder wissen: Egal wie weit man in dieser Schräglage bereits auf den Abgrund zugeschlittert ist, man kann zu jedem Zeitpunkt aussteigen. Es ist nie zu spät! Frauen sind, statistisch betrachtet, dreimal eher bereit, sich von außen Hilfe zu holen. Das Tragische ist, dass Männer in einer solchen Notlage dreimal häufiger Selbstmord begehen. Offensichtlich gibt es also noch immer das aberwitzige alte Bild vom „starken Mann“, der lieber den „Heldentod“ stirbt, als sich helfen zu lassen. In letzter Zeit gingen dazu genügend prominente Namen durch die Nachrichten. 

Hilfe bringt in den anfänglichen Stadien ein gutes Coaching, das die Selbststeuerungsfunktionen des Klienten möglichst bald wiederherstellt. Denn für die meisten ist es höchst wichtig, die Kontrolle über ihr Leben in der Hand zu behalten beziehungsweise rasch wieder zu erlangen. Wenn sich ein Mensch aber auch schon körperlich herunter gewirtschaftet hat, bleibt meist nur noch der Weg zum Arzt oder Psychiater. 

Archaische Grundlagen

Die Dynamik der Stressspirale hat sehr alte Wurzeln. In archaischer Vorzeit musste der Mensch viele Gefahren bewältigen. Da war es wichtig, dass in solchen Situationen alle Kraft gebündelt wurde für Kampf oder Flucht. So zog der Körper alle Energie aus den Verdauungsorganen ab und brachte sie in die Muskeln. Weiter war wichtig, dass der Mensch sich nicht ablenken ließ, sondern den Gegner oder das wilde Tier fest im Auge behielt; das Gesichtsfeld engte sich ein. Es kam zu dem, was wir heute den Tunnelblick nennen. Man starrt nur noch auf das Problem und nimmt im Umfeld nichts mehr wahr, obwohl vielleicht gerade das wichtig wäre. Damals konnte aber auch geschehen, dass zum Beispiel eine rasche Klimaveränderung sich ereignete. Auch das löste Stress aus. Doch nun nutzten alle gespeicherten Handlungsmuster und -abläufe nichts mehr. Der Stress hielt also an. Damit die Menschen aber auch bei solchen Herausforderungen die richtigen Lösungen finden konnten, war es notwendig, dass sich die bisherigen neuronalen Muster auflösten, damit neue Verknüpfungen sich bilden konnten. Noch heute haben wir die Gene in uns, die solches steuern. Doch was damals sinnvoll war, kann heute zur Falle werden, denn wir leben längst in einer anderen Umwelt. So existiert dieser Prozess einer neuer Vernetzung auch noch heute und zwar dann, wenn – wie beim früheren Klimawandel – Stress länger anhält. Es ist der Zustand beim fortschreitenden Burnout, dass Menschen nicht mehr richtig denken können, sozusagen keinen vernünftigen Gedanken mehr zustande bringen oder gar Denkprozesse abbrechen, quasi zerfasern. Wenn jemandem das widerfährt, wenn er sich also schon weit ins Burnout bewegt hat, sollte er wenigstens Eines wissen: Er ist nicht irgendwie „falsch“ oder unfähig. Sondern in ihm läuft ein genetisch festgelegtes Programm ab.

Der Überhitzung im Gehirn entgegensteuern

Hirnforscher haben mit ihren bildgebenden Verfahren bewiesen, dass unter Stress der vordere Teil des Gehirns, also der Teil hinter der Stirn, quasi überhitzt. Das Gehirn leistet Schwerstarbeit. Mit diesen Verfahren lässt sich aber auch umgekehrt die Wirksamkeit von Gegenmaßnahmen darstellen. Es ist bewiesen: Stress und Entspannung sind absolute Gegenspieler. Wenn jemand unter Stress steht, kann er sich nicht entspannen. Wenn jemand entspannt ist, kann er niemals zur selben Zeit Stress haben. Also ist alles, was Entspannung bringt, hilfreich. Das kann Yoga sein, Bodyscan, fast jede Form von Meditation oder autogenes Training. Allgemein hilfreich zur Stresseindämmung ist es, vor jedem neuen Arbeitsabschnitt kurz innezuhalten und zu überlegen, welches Ziel man mit dem nächsten Tun erreichen will. Das führt zu zielorientiertem Handeln und effektivem Energiemanagement. Die schnellste und wirksamste Hilfe bei Stress, das haben wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt, bringt jedoch MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction). In nahezu allen größeren Städten werden inzwischen Kurse dazu abgeboten. Darüber hinaus zeigt sich auch hier wieder, wie überhaupt in allen Fragen der Gesundheit, dass eine funktionierende Partnerschaft sowie generell ein tragendes soziales Umfeld ein sehr guter Schutz vor Burnout sind. Leider ist es nur so, dass heute die alten Muster von Ehe und Familie sich auflösen und neue sich erst bilden müssen.

Das Wort „Burnout“ bezeichnet ein Ausbrennen. Doch was brennt da aus? Und was ist sozusagen der Brennstoff? Wo etwas ausbrennen kann, muss vorher ein Feuer gewesen sein. Wenn ein Ofen ausbrennt, hat man kein Holz oder keine Kohle nachgelegt. Wenn ein Mensch ausbrennt, hat er ebenfalls etwas nicht nachgelegt. Da erlischt sozusagen das „Feuer des Lebens“. Was aber bringt dieses Feuer zum Brennen? Wie so oft enthüllt unsere Sprache ein altes Wissen: „Jemand brennt darauf, etwas zu tun. Jemand ist Feuer und Flamme. Jemand brennt vor Begeisterung“. In unserer versachlichten Welt, besonders in der Geschäftswelt, sind Emotionen größtenteils verloren gegangen. Es gibt zwar Sachzwänge, aber es gibt nichts Vergleichbares für etwas, das den Menschen in den Mittelpunkt rückt. Deshalb mag die Vorstellung vom Wert der Emotionen für uns fremd oder gar suspekt klingen. Wir sind eben an das, was da verloren ging, nicht mehr gewöhnt und argwöhnen daher. Wenn man aber wieder zu Werten, die mit Emotionen verbunden sind, zurück findet – und das ist derzeit ja auch im Wirtschaftsbereich stark in der Diskussion -, findet man auch wieder zur Akzeptanz und Wertschätzung von Emotionalität. Auf dieser Basis kann also heute zunächst einmal nur jeder selbst gut für sich (und auch für seine Mitarbeiter) sorgen. So muss jeder erst einmal selber finden, wofür er sich begeistern kann, und dem dann auch einen angemessenen Raum geben in seinem Leben. Das ist kein Luxus, keine Spinnerei, sondern sollte idealerweise eine Selbstverständlichkeit sein wie die tägliche Dusche. Es bewahrt vor etlichen Spätfolgen. Hinzu kommt: Wo man sich begeistert, kann auf Dauer Erfolg nicht ausbleiben. Denn dieses innere Feuer dringt nach außen, wird vielleicht gar zur charismatischen Ausstrahlung; der sprichwörtliche Funke springt auf die Anderen über.

Die Autorin

Irene Maria Klöppel
Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre war sie zwanzig Jahre Geschäftsführerin eines Malerbetriebs. Zusätzlich war sie Baubiologin und zählte damals auf dem Gebiet zu den Pionieren. Es folgten verschiedene psychologische Aus- und Weiterbildungen, nach C. G. Jung, in Psychosynthese, eine große Coachingausbildung (TA und systemisch), eine in Konfliktmediation und andere. Heute arbeitet sie als Beraterin, Coach und Trainerin, sowohl für Unternehmen als auch für Privatleute. Sie hat drei erwachsene Kinder. www.kloeppel-beratung.de

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