Das Immunsystem ist weit mehr als ein biologischer Abwehrmechanismus. Es kommuniziert mit unserer Psyche, reagiert auf soziale Beziehungen und ist ein Spiegel unserer Lebensweise. Der Psychoneuroimmunologe Univ.-Prof. Dr. Dr. Christian Schubert erklärt im Gespräch mit raum&zeit, wieso Angst krank macht, warum Sickness- bzw. Health Behavior natürliche Schutzmechanismen sind und weshalb wahre Heilung nur im Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele möglich ist.
raum&zeit: Wie würden Sie das Immunsystem beschreiben aus Ihrer Sicht als Psychoneuroimmunologe?
Univ-Prof. Dr. Dr. Christian Schubert: Heutzutage ist die Zusammensetzung des biologischen Immunsystems gut erforscht: Es besteht aus Immunorganen, Immungeweben, Immunzellen und Immunbotenstoffen. Zu den klassischen Immunorganen zählen das Knochenmark, die Milz und die Tonsillen, also die Mandeln, die vielen Menschen als Kind entfernt wurden. In unserem Organismus findet man unterschiedliche Immunzellen, die sich in zwei große Bereiche gliedern lassen. Ein Bereich ist das angeborene Immunsystem, zu dem unter anderem Fresszellen und natürliche Killerzellen gehören. Diese Zelltypen reagieren sehr schnell und unspezifisch, sie unterscheiden nur zwischen Selbst und Nicht-Selbst. Wenn der Organismus beispielsweise zum ersten Mal mit einem Fremdkörper konfrontiert wird etwa mit einem neuartigen Virus wie SARS-CoV-2 zu Beginn der Pandemie , greift dieses System sofort ein. Die dabei gewonnenen Informationen verbleiben jedoch nicht im unspezifischen Immunsystem, sondern werden durch bestimmte Vermittlerzellen, die sogenannten dendritischen Zellen, weitergegeben. Diese bilden die Brücke zwischen dem angeborenen und dem erworbenen Immunsystem, also dem zweiten großen Bereich des Immunsystems. Die dendritischen Zellen wandern in die Lymphknoten und präsentieren dort das neue Antigen, mit dem der Körper in Kontakt gekommen ist. Dabei kann es sich um jede Art von Mikrobe handeln Bakterien, Viren, Parasiten oder Pilze. Das spezifische Immunsystem beginnt daraufhin zu lernen und kann bei einem erneuten Kontakt mit demselben Erreger gezielt und effizient reagieren.
Gedächtnisfunktion des Immunsystems
r&z: Inwiefern greift eine Impfung in das natürliche Zusammenspiel von angeborenem und erworbenem Immunsystem ein?
C. S.: Das erworbene Immunsystem ist jener Teil des Immunsystems, der auch durch klassische Impfungen moduliert wird. Jede Form der Impfung ob moderne mRNA-Vakzine oder die bewährten aktiven Schutzimpfungen basiert im Kern auf demselben Prinzip: der Präsentation eines Antigens im Organismus. Das Immunsystem nimmt diese Information auf und reagiert, indem es Antikörper produziert, die anschließend im Körper verbleiben und das sogenannte immunologische Gedächtnis bilden. Gelangt derselbe Erreger zu einem späteren Zeitpunkt erneut in den Körper, erkennt ihn das erworbene Immunsystem und kann ihn rasch und gezielt beseitigen. Ob und in welchem Maße man sein Immunsystem technisch verändern möchte, sollte letztendlich jeder selbst entscheiden dürfen. Denn genau genommen stellt jede Impfung einen gezielten, technischen Eingriff dar. Die Reaktion des spezifischen Immunsystems entsteht nicht auf natürlichem Wege, sondern wird durch die Injektion der jeweiligen Antigene ausgelöst. Durch das Verständnis von Immunreaktion und Impfung wird deutlich, wie das biologische Immunsystem grundsätzlich funktioniert.






