Der Facharzt für Gynäkologie Prof. Dr. med. Bernd Kleine-Gunk, Autor einschlägiger Bücher über Longevity und Anti-Aging, erläutert im Interview das Prinzip der Hormesis: Maßvolle Stressreize sind absolut unverzichtbar für gesundes Altwerden.
raum&zeit: Was versteht man unter Hormesis?
Bernd Kleine-Gunk: Am besten hat es Friedrich Nietzsche auf den Punkt gebracht mit dem Satz: Was uns nicht tötet, macht uns härter. Dass muss man jetzt nicht ganz so martialisch formulieren, aber dahinter steht das Prinzip, dass milde Stressreize bzw. Stressoren uns nicht schädigen, sondern unser Körper darauf eine gesunde Antwort findet. Und von daher sind solche Belastungen für unsere Gesundheit durchaus förderlich.
r&z: Also mit Hormonen hat Hormesis nichts zu tun?
BKG: Das Wort Hormesis stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie anreiben, anstoßen. Das tun die Hormone, das tut auch das Hormesis-Prinzip. Aber Hormesis hat natürlich insofern nichts zu tun mit Hormonen.
r&z: Welche Formen von positiven Stressoren haben sich als besonders effektiv erwiesen?
Reparaturmodus
BKG: Im Anti-Aging Bereich besonders das Fasten. Nichts essen ist für unseren Körper erst einmal eine Form von Stress. Hunger-Stress ist sogar ein ziemlich übler Stress. Doch wissen wir, dass Fasten in seinen unterschiedlichen Formen wie Intervallfasten, Heilfasten oder Scheinfasten positive Wirkungen hat, weil unser Körper dann in den sogenannten Fastenmodus kommt. Und da findet im Wesentlichen Reparatur statt. Wenn genügend Kalorien zur Verfügung stehen, dann wird der Hebel eher in Richtung Wachstum, Proliferation gelegt. Beim Fasten geht es in Richtung Wartung. Und das wird im Alter natürlich immer wichtiger, weil viele Schäden angefallen sind in unserem Organismus. Wenn die repariert werden, dann profitieren wir davon. Also Hunger-Stress ist schon mal ein Hormesis-Prinzip.