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    Alles in Ordnung an der Wasserfront!

    raum&zeit-Kolumne von Manfred Jelinski

    Geht es Ihnen nicht manchmal auch so? Sie hören Radio oder lesen Zeitung und fragen sich, für wie dumm man sie hält?
    Oder ist es nur ein Versehen? Schlampige Berichterstattung?
    Langsam bin ich bereit, auch das nicht mehr zu glauben.
    Nehmen wir zum Beispiel die Entscheidungsfindung der EU-Kommission, Glyphosat weiterhin zu erlauben. Die WHO hatte angemerkt, dieses Unkrautvernichtungsmittel sei als vermutlich krebserregend eingestuft. Diese Einstufung wird nicht ohne Grund geschehen sein. Nun gibt es aber ein Gegenargument. Natürlich leugnet niemand mehr, dass Glyphosat inzwischen überall nachgewiesen wurde, auch in der Muttermilch und im Urin beinahe jedes Menschen in Mitteleuropa. Aber, argumentiert man nun, das Mittel wäre unverändert nachgewiesen worden. Das würde beweisen, dass es unschädlich sei. Denn sonst wäre es ja vom Körper abgebaut worden.
    Wie bitte?
    Der Beweis für die Unschädlichkeit ist, dass es unverändert ausgeschieden wird? Das eröffnet ganz neue Wege der Argumentation. Ein neues Universum tut sich auf, vom Östrogen bis zur radioaktiven Strahlung, die den Körper ja auch unverändert wieder verlässt.
    Dann hörte ich von den Verhandlungen der EU mit der Türkei, um den Flüchtlingsstrom in den Griff zu kriegen. „Die Türkei soll sechs Milliarden Euro bekommen, um die Flüchtlinge zu versorgen. Im Gegenzug wird die Visumspflicht für türkische Bürger ausgesetzt.“
    Wie – im Gegenzug? Nicht, dass ich gegen die Versorgung der Flüchtlinge bin, aber hier zeigt sich eine Formulierungskunst, die mir schon öfter aufgefallen ist. Es ist ungefähr so, als ob ich zu meinem Sohn sagen würde: „Du bekommst mehr Taschengeld, damit du dir in der Mensa mehr kaufen kannst. Im Gegenzug dazu brauchst du keine Schularbeiten mehr zu machen.“
    Unglaublich, wie mittlerweile Umstände miteinander verkoppelt, verglichen, gleichgesetzt und abgehakt werden, ohne dass es einen sinnvollen Zusammenhang gibt. Wodurch wird diese Entwicklung genährt?
    Meine Sensibilität setzte ein, das weiß ich genau, als vor ein paar Jahren alle Hausbesitzer dazu verpflichtet werden sollten, ihre Abwasserleitung mit einer Druckprüfung auf Undichtigkeit untersuchen zu lassen. Das hätte, zugegeben, einen hohen Investitionsschub für eine kleine Dienstleistungssparte gebracht. Die Bewohner unseres ländlichen Bereiches rieben sich verwundert die Augen. Sie sahen, wie die Bauern tankwagenweise Gülle auf die Felder ausbrachten, hörten, dass Rückstände der Schweinezucht wie Hormone und Antibiotika inzwischen im Grundwasser angereichert seien und sollten ihre Leitungen prüfen! (Die Verordnung kam übrigens zu Fall, weil ein Feststellungsverfahren angestrengt wurde, welche Kosten dieser Beschluss dem Land selbst bereiten würde!)
    Allen Leuten aller Bevölkerungsschichten, mit denen ich zusammenkomme, ist ein tiefes Unbehagen gemein. Für mich wird mehr als jemals zuvor geäußert, dass man sich verkohlt, verschaukelt und in jeder Hinsicht nicht wahrgenommen fühle.
    Dazu passt auch, wie ein sinnvolles Thema, beispielsweise die nächste kybernetische Revolution, in der uns die fortschreitende IT-Technik eine riesige Wandlung bescheren wird, behandelt wird. Ich habe noch immer das Zitat eines Industriesprechers im Ohr: „Der Facharbeitermangel wird sicherlich in den nächsten Jahren durch die Weiterentwicklung der IT-Technik aufgefangen werden.“
    Na klar! Der Lehrermangel wird sicherlich durch die geringere Geburtenrate aufgefangen werden!
    Tatsächlich hörte ich heute Morgen einen Regierungssprecher aus Sachsen-Anhalt sagen: „Der Zuzug von Flüchtlingen und ihren Kindern gibt uns die Chance, einige Schulen nicht schließen zu müssen!“ Eine interessante Argumentation. Nichts von besserer Bildung durch kleinere Klassen.
    Man könnte auch feststellen: Weil Glyphosat schon im Grundwasser ist, kann nun jeder Kleingärtner kostfrei sein Gemüse vor Schädlingen schützen. Und die Bauern können in Zukunft allein mit Wasser die Felder beregnen. So kann man auch schon düngen. Im Gegenzug dazu wird ja lediglich die Krankenversicherung erhöht. Ich bemühe mich, nicht nach links oder rechts zu driften, aber die Mitte unserer Gesellschaft bringt mich zur Verzweiflung.

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