Lauschangriffe gegen Jedermann – ganz legal

Das große Ohr der Mächtigen

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Privatsphäre? Die gibt es nicht mehr. Denn seit dem 1. Januar dieses Jahres darf das Bundeskriminalamt jeden überwachen, seine Wohnung abhören und seinen Computer heimlich ausspähen – er muss nur irgendwie verdächtig sein. Und verdächtig ist man schnell! Eigentlic...
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Lauschangriffe gegen Jedermann – ganz legal
Von Hans Rebhorn, Köln – raum&zeit Ausgabe 160/2009

Privatsphäre? Die gibt es nicht mehr. Denn seit dem 1. Januar dieses Jahres darf das Bundeskriminalamt jeden überwachen, seine Wohnung abhören und seinen Computer heimlich ausspähen – er muss nur irgendwie verdächtig sein. Und verdächtig ist man schnell! Eigentlich ist jeder verdächtig. Auch Sie!

Die anderen hören mit

Stellen Sie sich vor, Sie telefonieren mit ihrem besten Freund, und gestehen ihm, dass Sie vor zwei Monaten ein außereheliches Rendezvous in der Suite des Stadthotels hatten. Jetzt seien Sie für die Folgen mitverantwortlich und suchen einen guten Arzt, der bereit ist abzutreiben. Womit Sie nicht gerechnet haben: Jemand hat sich dazwischen geschaltet! 

Jeder ist verdächtig

Seit Jahren, schon bevor darüber in den Medien debattiert wurde, bevor Mehdorn seine Angestellten überprüfen ließ, lange bevor die Kompetenzen der Polizei offiziell aufgerüstet wurden, wurden Kriminelle und „die üblichen Verdächtigen“ ohne richterlichen Beschluss abgehört. Seien es vermeintliche RAF-Sympathisanten oder einfach nur Menschen, die ins Ausland telefonieren.

Als die illegale Abhör-Aktion ans Licht kam, gab es damals einen Skandal. Heutzutage allerdings, in einer Zeit, in der jeder ohne Bedenken seine persönlichen Daten für jedermann zugänglich ins Internet stellt, kann selbst die bisher ausgedehnteste Überwachungsmaßnahme, das Bundeskriminalamt-Gesetz (BKA-Gesetz), ohne großen Aufschrei durchgesetzt werden. „Die Bürger haben sich an ihre „informationelle“ Entmündigung gewöhnt“, schreibt Michael Naumann, Mit-Herausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit". 1

Mit dem BKA-Gesetz, das am 1. Januar dieses Jahres in Kraft trat, werden dem Bundeskriminalamt die denkbar größten staatlichen Eingriffe erlaubt: in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, in die Unverletzlichkeit der Wohnung sowie die Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme, wie Computer oder Laptops im Büro und auch zu Hause. 

Mehr als einen Verdacht braucht das BKA auch nicht mehr. Das Amt kann präventiv tätig werden – alles unter dem allzeit gern genommenen Mantel der Abwehr terroristischer Verbrechen. Auf wen auch immer die Beamten ihren Lauschangriff lenken – das BKA-Gesetz legitimiert ihr Handeln und niemand, auch keine Bundesanwaltschaft kann sie aufhalten. Grundsätzlich ist erstmal jeder verdächtig. Damit kann das BKA erstmals in seiner Geschichte auch vorbeugend ermitteln und künftig Wohnungen und private Computer heimlich ausspähen. Auch Telefongespräche, Faxe, E-mails, aufgerufene Internetseiten, Chats mit Behörden etc. können jetzt ganz legal vom Staat ausgewertet beziehungsweise durchleuchtet werden.

Entsprechend warnt der ehemalige Staatssekretär der rot-grünen Regierung und Präsident a. D. des Bundesnachrichtendienstes, Hans-Jörg Geiger: „Der Einzelne gerät zunehmend in Gefahr, Objekt staatlicher Ausforschung zu werden.“

Grundpfeiler der Demokratie ausgehebelt

Auch Journalisten, Rechtsanwälte und Ärzte werden in ihrer Berufsausübung massiv beeinträchtigt, denn ihr Zeugnisverweigerungsrecht wird massiv eingeschränkt. Da das BKA-Gesetz Ermittlern das Recht gibt, Journalisten zu überwachen und abzuhören, ist damit der investigative Journalismus in Deutschland extrem in Gefahr. Informanten müssen damit rechnen, dass Gespräche mit Journalisten abgehört werden – was zwangsläufig die Bereitschaft senkt, sich Journalisten anzuvertrauen. So warnt Thomas Osterkorn, Chefredakteur der Magazins „Stern“ gegenüber dem „Spiegel“: „Die neuen Regelungen sind ein Anschlag auf die im Grundgesetz garantierte Pressefreiheit, weil sie das Redaktionsgeheimnis aushöhlen. Sie führen auch dazu, dass investigativ recherchierende Journalisten eingeschüchtert werden, weil sie ständig damit rechnen müssen, dass ihr Handy abgehört, ihr Computer heimlich durchsucht und ihre Wohnung gefilzt wird.“ 2 Auch Kai Diekmann, Chefredakteur der Bild-Zeitung, zweifelt an dem neuen Gesetz: „Weniger Enthüllungen, weniger Transparenz, weniger Demokratie. Das Ausspähen von Journalisten wird keinen Terroristen fangen helfen … Aber es wird viele mutige Bürger davon abhalten, ihrem Gewissen Luft zu machen und unangenehme Wahrheiten ans Licht zu bringen.“ 3

Und das alles, um die vermeintliche Terror-Bedrohung abzuwehren? Um den Bürger in vermeintlich absoluter Sicherheit zu wiegen? Dass diese Begründung jenseits der Realität liegt, weiß auch Heribert Prantl, Redakteur der Süddeutschen Zeitung: „Dieser Präventationsstaat muss, das liegt in seiner Logik, dem Bürger immer mehr Freiheiten abnehmen, um ihm dafür vermeintliche Sicherheit zu geben; das trägt den Hang zur Maßlosigkeit in sich, weil es nie genug Sicherheit gibt.“4

Wo bleibt die Sicherheit des Bürgers? Ist damit nicht jeder Willkür Tür und Tor geöffnet, wenn staatliche Stellen ohne jegliche Kontrolle jeden ausspionieren dürfen? Wer beurteilt dann noch, was Recht ist oder ob der überwachte Bürger nicht geschützt werden müsste?

Die Telekom, Mehdorn und sein Team, Lidl, Siemens und Drogerie Müller, haben es vorgemacht: Von Tausenden Angestellten wurden persönliche Daten gesammelt und ausgewertet, um Druckmittel in die Hand zu bekommen. 

Eine fällige Verfassungsbeschwerde

Jetzt haben zwei Anwälte, ein Psychologe und zwei Journalisten, ein Arzt, der FDP-Politiker Gerhardt Baum und der Präsident der Bundesärztekammer Jörg Dietrich Hoppe in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen das BKA-Gesetz eingelegt. Sie möchten den „Kern der unantastbaren Menschenwürde“ schützen und verhindern, dass unschuldige Personen heimlichen Ermittlungen ausgesetzt werden. Die Polizeibehörde in Wiesbaden mit ihren über 5500 Beschäftigten erhält immer mehr Macht, kritisieren sie. „Wir erleben eine sicherheitspolitische Aufrüstung ohne Ende“, sagte Baum. Die Trennung zwischen Nachrichtendiensten und polizeilichen Vollzugsbehörden dürfe nicht aufgeweicht werden.

Die Beschwerdeführer nennen fünf Gründe

1. Das Gleichgewicht zwischen gesellschaftlicher Sicherheit und individuellen Freiheitsbedürfnissen wird aufgehoben. Indem die Überwachungsmacht bei einer Behörde liegt, kann Staatsmacht leicht zur Übermacht werden.

2. Es wird das Trennungsgebot zwischen dem Bundesnachrichtendienst und dem Bundeskriminalamt verschleiert. Damit kann ein polizeilicher Machtkomplex entstehen, eine Mischung aus CIA und FBI, was unweigerlich zu Gesetzesübertretungen führen würde. Doch ein Kontrollorgan für diese Superbehörde ist nicht vorgesehen.

3. Das Privatleben und der Intimbereich der Bürger und deren Wohnräume kann „präventiv“ mit Wanzen, Minikameras ausgespäht werden. Auch Kontaktpersonen sind im Visier der Spähangriffe. 

4. Auch Journalisten, Anwälte und Ärzte können problemlos heimlich überwacht werden. Damit werden die demokratische Grundwerte wie Meinungsfreiheit und ärztliche Schweigepflicht ausgehebelt. Online Durchsuchungen, Infiltrieren von Programmen in Computern sollen legalisiert werden auch bei solchen Bürgern, die keine Zielpersonen sind, aber mit gefährlichen oder angeblich gefährlichen Personen in Kontakt kommen könnten. Weder die überwachten Personen noch die Kontaktpersonen müssen über die Überwachung informiert werden, selbst wenn sich der Verdacht als unbegründet herausstellt.

5. Das Vertrauensverhältnis zwischen Anwälten und Mandanten, Ärzten und Patienten, Journalisten und Informanten wird gestört, weil das BKA jederzeit Auskunft erzwingen kann.

 

Pressefreiheit in Gefahr

Auch Medienverbände, wie zum Beispiel der Deutsche Journalisten-Verband und die Deutsche JournalistiInnen Union von verdi protestieren und befürchten die totale Überwachung. Eine Vereinigung von Chefredakteuren aus 19 Ländern verabschiedete eine Europäische Charta für Pressefreiheit. Der Bundesverband Deutscher Zeitungs- verleger, der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger, der Deutsche Presserat, der Verband Privater Rundfunk und Telemedien sowie ARD und ZDF wehren sich ebenfalls. Sie haben sich mit dem Innenausschuss des Bundestages in Verbindung gesetzt und sich gegen den Regierungsentwurf ausgesprochen. 

Ob die Verfassungsbeschwerde durchkommt, wird sich zeigen. Schäuble stellt sich jedenfalls jenseits unseres höchsten staatlichen Vollzugsorgans: Er hatte sich schon darüber geärgert, dass das Verfassungsgericht Online-Untersuchungen eingeschränkt hatte. Die Zeit zitiert ihn mit den Worten: „Ich habe verfassungsrechtliche Bedenken, ob ein Verfassungsgericht wirklich entscheiden kann, für welche Straftaten welches Instrument gesetzlich vorgesehen werden kann oder nicht …“

Fußnoten

1 „Jeder ist verdächtig“, Die Zeit Nr. 18/2009
2 „Anschlag auf die Pressefreiheit“, Der Spiegel 51/2008
3 ebd.
4 Zit. nach: „Jeder ist verdächtig“, a.a.O.

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