Heilpflanzen der Indianer

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In keinem anderen Land sind Heilpflanzen und pflanzliche Arzneimittel so beliebt wie in Deutschland. Doch viele Pflanzen sind einst über den „großen Teich“ zu uns gekommen und waren ursprünglich Heilpflanzen der Indianer. Ernst-Albert Meyer stellt einige Schätze indianisch...
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Heilpflanzen der Indianer
Von Ernst-Albert Meyer, Hessisch Oldendorf – raum&zeit Newsletter 213/2018

In keinem anderen Land sind Heilpflanzen und pflanzliche Arzneimittel so beliebt wie in Deutschland. Doch viele Pflanzen sind einst über den „großen Teich“ zu uns gekommen und waren ursprünglich Heilpflanzen der Indianer.
Ernst-Albert Meyer stellt einige Schätze indianischen Wissens vor, die bisher eher weniger bekannt sind.

Was Mönche berichten

Europäische Eroberer plünderten im 15. und 16. Jahrhundert auf dem amerikanischen Kontinent nicht nur die Schätze der Indianer und die dortigen Goldvorkommen. Sie entdeckten auch die indianische Medizin. Es waren zunächst einzelne Mönche, die im Auftrag der Christianisierung unterwegs waren, die sich für die Heilmethoden der Indianer interessierten und ihre Erkenntnisse aufschrieben. Danach griffen auch andere Eindringlinge aus Europa in der Not der Krankheit auf indianisches Heilwissen zurück, weil es ihnen nicht möglich war, an die in Europa gebräuchlichen Medikamente zu gelangen.
Die Mönche erfuhren bei Befragungen von Medizinmännern und Schamanen, dass bei den Indianern Medizin und Religion untrennbar miteinander verbunden sind und beide oft ineinander übergehen. So kannten die Indianer Krankheiten mit natürlichen Ursachen, wie zum Beispiel Geburtsfehler, Knochenbrüche, Verwundungen, aber auch den Tod im frühen Kindesalter und den Tod aus Altersschwäche.
Zu den Krankheiten und Leiden mit übernatürlichen Ursachen zählten für die Indianer der Verlust der Seele, Unglück durch Übertretung eines Tabus, die Besessenheit von bösen Geistern, das Eindringen eines fremden Gegenstandes in den Körper oder die Folgen von Hexerei und schwarzer Magie.
Außer medizinischen Praktiken wie zum Beispiel das Nähen von Wunden, das Behandeln von Knochenbrüchen oder das Anlegen von Umschlägen kannte die indianische Volksmedizin vor allem Arzneipflanzen zur Behandlung von Infektionskrankheiten, Fieber, Entzündungen, Parasiten und zur Insektenabwehr. Die große Bedeutung der Phytotherapie bei den Indianern wird durch die Tatsache verdeutlicht, dass die ersten Arzneipflanzengärten 1467 auf Anweisung des Aztekenherrschers Montezuma I. angelegt wurden. Doch die Kenntnis und der Gebrauch indianischer Heilpflanzen setzten sich in Europa nur langsam durch. Hier einige Beispiele.

Cimicifuga als Alternative zur Hormonersatztherapie

Die Traubensilberkerze (lat. Cimicifuga racemosa), eine attraktive Staude, ist eine Heilpflanze der Indianer Nordamerikas und Kanadas. Die Stämme der Cherokee, Sioux und Winnebago nutzten den Wurzelstock von Cimicifuga bei Menstruationsstörungen, zur Anregung der Milchsekretion, aber auch als Schmerz- und Rheumamittel sowie bei Erkältung und Husten. Die Heilpflanze wurde bald von den weißen Siedlern übernommen. 1732 gelangte Cimicifuga nach England. Bis vor einigen Jahren war man der Ansicht, dass die Inhaltsstoffe des Wurzelstocks ähnlich wie die weiblichen Sexualhormone, die Östrogene, wirken und damit Beschwerden der Wechseljahre lindern können. Heute weiß man, dass bei längerer Einnahme von pflanzlichen Arzneimitteln mit Auszügen (Extrakten) aus dem Wurzelstock die Cimicifuga-Inhaltsstoffe in den Haushalt der Botenstoffe Serotonin und Dopamin eingreifen. Es kommt so zu einer Abnahme der Produktion von Luteinisierungshormonen im Körper. Die Folge ist ein Abklingen klimakterischer Beschwerden wie zum Beispiel Hitzewallungen, nervöse Herzbeschwerden, Schlafstörungen und nervöse Reizbarkeit. Viele Frauen in den Wechseljahren lehnen heute eine Hormonersatz-Therapie wegen möglicher belastender Nebenwirkungen ab. Hier stellt die Anwendung eines Cimicifuga-Arzneimittels eine schwächere, aber dafür risikoarme Alternative dar.

Der virginische Zauberstrauch ist ein wertvolles Wundheilmittel

Der virginische Zauberstrauch (lat. Hamamelis virginiana) – auch Hamamelis genannt – ist ein 3 bis 5 Meter hoher Strauch, der im östlichen Nordamerika heimisch ist. Bei uns ist er in vielen Gärten und Parks zu finden. Die Indianer sammelten die Blätter und die Rinde des Zauberstrauchs, aus denen sie zum innerlichen und äußerlichen Gebrauch Abkochungen herstellten. Die Cherokee verwendeten die Abkochung der Blätter zu Waschungen bei Entzündungen der Haut, bei Hautabschürfungen und zum Gurgeln bei Halsentzündungen. Der Stamm der Chippewa setzte eine Abkochung aus der inneren Rinde erfolgreich bei Augenentzündungen ein. Und die Mohikaner schätzten Hamamelis bei Insektenstichen, zur Blutstillung bei Wunden, bei Furunkeln und Brandwunden sowie innerlich angewendet bei Fieber, Erkältungen und Durchfall. 1588 beschrieb der Engländer Harriot erstmals den Zauberstrauch und 1736 wurde er als Zierpflanze in Europa eingeführt. Seine Inhaltsstoffe sind vor allem Gerbstoffe. Sie ziehen die Oberfläche von Schleimhäuten zusammen (adstringieren) und dichten die feinen Blutgefäße (Kapillaren) ab. Außerdem entwickeln die Inhaltsstoffe entzündungshemmende, leicht schmerzstillende und juckreizstillende sowie wundheilungsfördernde Eigenschaften. Pflanzliche Arzneimittel enthalten heute Extrakte aus dem virginischen Zauberstrauch und werden erfolgreich bei Haut- und Schleimhautentzündungen, Ekzemen, Akne, Krampfaderbeschwerden sowie zur Wundheilung angewendet. Salben mit Hamamelis sind auch zur Pflege der Altershaut geeignet. Die heute verbreitete Anwendung von Hamamelis als Salbe oder Zäpfchen gegen Hämorrhoiden geht ebenfalls auf die Indianermedizin zurück.

Die Ananas als Nutz und Heilpflanze

Wenn die Ananas erwähnt wird, denken viele gleich an Hawaii. Denn Gerichte wie „Toast Hawaii“ oder „Putenschnitzel Hawaii“ sind fast auf jeder Speisekarte zu finden. Doch die Ananas (lat. Ananas comosus) ist eine Kultur- und Heilpflanze der Indianer Mittel- und Südamerikas. Brasilianische Indianer nahmen den Saft der unreifen Ananas als Wurmmittel und bei Erkrankungen der Atemwege ein. Für andere Indianerstämme war die Ananas und ihr Saft ein wichtiges verdauungsförderndes und blähungstreibendes Mittel. Obwohl die Ananas bald auch bei den Weißen beliebt war, gelangte die exotische Frucht erst im 18. Jahrhundert nach Europa. Bei uns wird die Ananas wegen ihres Gehaltes an dem Enzymgemisch Bromelain arzneilich genutzt. Dabei befindet sich das Enzym nicht in der Frucht, sondern wird aus dem Strunk gewonnen, dem Verbindungsstück, an dem die Ananas an der Pflanze hängt. Bromelain besitzt eiweißabbauende Eigenschaften. Es wirkt zusätzlich blutgerinnungshemmend, entzündungswidrig und fördert die Wundheilung. Deshalb werden Arzneimittel mit Bromelain heute bei Schwellungen eingenommen, die durch Operationen oder durch stumpfe Verletzungen (zum Beispiel Prellungen nach Unfall, Sport etc.) verursacht werden.

Die Kapuzinerkresse als pflanzliches Antibiotikum

Die Kapuzinerkresse (lat. Tropaeolum maius) ist eine in Südamerika beliebte Gemüse- und Heilpflanze. Als Kletterpflanze bildet sie große trichterförmige orange oder rot gefärbte, manchmal auch punktierte oder gestreifte Blüten aus, die einen Sporn tragen. Wegen ihrer Attraktivität ist sie heute in Europa in vielen Gärten zu finden. Bei den Indianern galten der Saft bzw. die Abkochung von Blättern und Wurzeln als Mittel bei Schmerzen, Entzündungen, Hautkrankheiten und Infektionen. Im 19. Jahrhundert war die Anwendung der Kapuzinerkresse in Europa bei Skorbut, Erkältungen und vor allem als wirksames Mittel bei Harnwegsinfekten weit verbreitet. Die zu häufige und zu unkritische Anwendung von Antibiotika hat zu Resistenzentwicklungen geführt, das heißt einzelne Antibiotika wirken nicht mehr bei bestimmten Infektionskrankheiten. Antibiotika-Resistenzen sind heute ein weltweites und schwerwiegendes Problem in der Medizin. Auf der Suche nach Alternativen stieß man auf die Kapuzinerkresse. Die Pflanze enthält sogenannte Senfölglucoside. Nimmt man die getrocknete Pflanze ein, entsteht im Körper aus den Senfölglucosiden Benzylsenföl. Diese Verbindung entwickelt im Körper deutlich antibakterielle Eigenschaften, ähnlich denen eines Antibiotikums. Nur dass bei der Kapuzinerkresse noch keine Resistenzen aufgetreten sind. Hinzu kommt die Wirkung der Heilpflanze gegen Viren. Bewährt hat sich ein pflanzliches Arzneimittel, eine Kombination aus Kapuzinerkresse und Meerrettich. Meerrettich enthält ebenfalls Senföl mit antibakteriellen und antiviralen Eigenschaften. Das Kapuzinerkresse-Meerrettich-Präparat gilt als wirksames und gut verträgliches Arzneimitteln bei Infektionen der Harnwege (zum Beispiel akute Blasenentzündung, wiederholt auftretende Harnwegsinfekte) und bei entzündlichen Erkrankungen der oberen Atemwege (akute Bronchitis, Nasennebenhöhlenentzündung, grippaler Infekt).

Die Blüten öffnen sich abends

Die Nachtkerze (lat. Oenothera biennis) ist heute als schönes Unkraut in Europa weit verbreitet. Es gedeiht an Wegrändern, auf Schuttplätzen, auf Viehweiden und Überschwemmungsflächen. Die großen, gelben, wohlriechenden Blüten bilden sich von Juni bis September. Sie öffnen sich abends, dabei die unteren Blüten vor den oberen und verwelken am nächsten Morgen. Daher leitet sich auch der Name ab. 1638 wurde die Pflanze erstmals beschrieben, wobei sie in ganz Nordamerika verbreitet ist. Die Cherokee tranken einen Nachtkerzentee gegen Fettleibigkeit und setzten eine warme Wurzelpackung bei Hämorrhoiden ein. Die Irokesen behandelten mit der Pflanze Geschwüre. Aus den kleinen Samen der Nachtkerze wird heute das Nachtkerzensamenöl gewonnen, das innerlich und äußerlich zur Behandlung der Neurodermitis (atopisches Ekzem) eingesetzt wird. Das Öl ist reich an ungesättigten Fettsäuren, wie zum Beispiel Gamma-Linolensäure. Sie sind Ausgangsstoffe für die Bildung von bestimmten entzündungshemmenden Stoffen (Prostaglandine) im Körper. Für die Haut besonders wertvoll ist die Gamma-Linolensäure, die der Körper mittels eines bestimmten Enzyms aus einer anderen Fettsäure herstellt. Gamma-Linolensäure ist wichtig für die Hautgesundheit und wird in die Wände der Hautzellen eingebaut. Wissenschaftler gehen davon aus, dass ein Mangel an Gamma-Linolensäure in der Haut aufgrund eines Enzymdefekts auch für die Symptome der Neurodermitis verantwortlich ist. Durch die Einnahme von Kapseln mit Nachtkerzensamenöl wird die Versorgung der Haut mit Gamma-Linolensäure verbessert, was Symptome wie Juckreiz, Entzündung und Rötung der Haut lindert. Wichtig für einen Therapieerfolg ist eine regelmäßige Einnahme über mindestens 4 bis 12 Wochen. Unterstützt wird diese Behandlung durch die Anwendung von Cremes und Lotionen mit Nachtkerzensamenöl. Besonders bei hautkranken Kindern wurden mit dieser Behandlung gute Erfolge erzielt.

Der Rote Sonnenhut stärkt unsere Abwehrkräfte

Der Rote Sonnenhut (lat. Echinacea purpurea) ist heute eine Zierde vieler Gärten. Für die nordamerikanischen Indianer war Echinacea eine wertvolle Arzneipflanze mit vielen Anwendungsmöglichkeiten. Sie setzten die Pflanze äußerlich zur Wundheilung, bei Schlangenbissen und Insektenstichen ein. Innerlich fand Echinacea bei Schmerzen, Magenkrämpfen, Erkältungen und Masern Verwendung. Dabei muss betont werden, dass die Indianer auch häufig den Schmalblättrigen Sonnenhut (lat. Echinacea angustifolia) als Heilpflanze nutzten. Die Indianer verwendeten die Wurzeln von Echinacea oder bereiteten einen Saft oder Brei aus zerstoßenen Frischpflanzen. Um 1870 brachte der Deutsche H. C. F. Meyer das erste Echinacea-Präparat mit der Bezeichnung „Meyer`s Blutreiniger“ auf den Markt. Um den weltweiten Bedarf zu decken, werden die Echinacea-Arten heute in großen Kulturen angebaut. Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben, dass die Inhaltsstoffe von Echinacea – vor allem die Polysaccharide – unser Immunsystem mobilisieren. Dabei wird besonders die Phagozytose angeregt. Das heißt, bestimmte Zellen des Immunsystems („Fresszellen“ oder Phagozyten) werden stimuliert, verstärkt in den Körper eingedrungene Krankheitserreger aufzunehmen und abzutöten. Dabei werden auch bestimmte Botenstoffe vermehrt abgesondert, die auch andere Zellen des Immunsystems aktivieren. Hinzu kommen entzündungswidrige Eigenschaften der Heilpflanze. Insgesamt wird durch Echinacea-Präparate, die häufig einen Presssaft aus der frischen Pflanze enthalten, die Schlagkraft unseres Immunsystems erhöht. Damit leisten diese pflanzlichen Arzneimittel einen wichtigen Beitrag bei der Abwehr bzw. Behandlung von leichten, wiederholt auftretenden (rezidivierenden) Infektionskrankheiten im Bereich der Atem- und Harnwege. Wichtig bei der Anwendung von Echinacea-Präparaten ist, dass sie bereits bei den ersten Symptomen einer Erkrankung eingenommen werden. Später ist das Immunsystem ohnehin durch den Krankheitserreger aktiviert, sodass das Präparat keine zusätzliche Wirkung mehr entfalten kann. Außerdem ist zu beachten, dass diese Naturmedikamente nicht für eine Dauertherapie geeignet sind! Doch zu Zeiten erhöhter Ansteckungsgefahr sind prophylaktische Kuren über vier bis acht Wochen sinnvoll. Eine Salbe aus Echinacea wird äußerlich zur Unterstützung der Heilung oberflächlicher Wunden angewendet.

Der Autor

Ernst-Albert Meyer, Fachapotheker für Offizin-Pharmazie, Medizin-Journalist und Buchautor. Als Freiberufler schreibt er über Naturheilverfahren (besonders Phytotherapie), Vitamine, Mineralstoffe und Themen der Medizin- und Pharmaziegeschichte. Seine bisher zehn Ratgeber-Bücher über Naturmedizin sind zum Teil auch in anderen Ländern erschienen. E.-A. Meyer war viele Jahre als Dozent an Universitäten und in der beruflichen Fortbildung von Apothekern und PTA’s tätig.

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