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Der Rechtsstaat unter Beschuss

Interview mit Corona-Maßnahmenkritiker Dr. Josef Hingerl

Interview mit Dr. Josef Hingerl von Detlef Scholz

Dr. Josef Hingerl aus Wolfratshausen gehörte während der Corona-Krise zu den wenigen standhaften Juristen, die sich durch den politischen Druck nicht einschüchtern ließen. Im Interview legt er dar, wie es zu dieser Bedrohung unseres Rechtsstaates kommen konnte. 

raum&zeit: Was waren für Sie die schwersten Rechtsverfehlungen der Maßnahmenpolitik?
Dr. Josef Hingerl: Es gab zwei Hauptursachen, die zu allen Verfehlungen der Justiz geführt haben. Die erste war ein Blattschuss der Exekutive gegen die Judikative. 2021 hat der Vormundschaftsrichter Christian Dettmar aus Weimar eine Entscheidung gefällt, dass die Kinder in den Schulen keine Atemschutz-Masken tragen müssen. Damals wusste man bereits, dass Masken keinen Schutz vor Viren bringen. Doch diese Masken sind nicht nur unnütz, sie schaden auch noch. Aus dem Arbeitsschutz wissen wir, dass solche Masken nach 75 Minuten abgenommen werden müssen. 

Paralysierte Richterschaft
Richter Dettmar kommt daher in einem Verfahren unter Anhörung von Sachverständigen zu dem Ergebnis, dass die Kinder keine Masken tragen sollen. Und was passiert? Es wird ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung gegen ihn eingeleitet und zwischenzeitlich ist er in erster Instanz verurteilt. Das schlimmste Delikt, das ein Richter begehen kann. Allein aufgrund des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen Dettmar war die ganze Richterschaft paralysiert. Denn ein Richter verliert seinen Job, wenn er eine Freiheitsstrafe von über einem Jahr kassiert. Das heißt, er verliert seine berufliche Existenz! Über die politisch gesteuerten Staatsanwaltschaften kam der Blattschuss gegen die Judikative. 

Wenn ich mit Grundrechten bei irgendeinem Gericht argumentierte, dann hatten die Richter davor Angst wie der Teufel vor dem Weihwasser: Nein, nein, das ist politisch! Wir sprechen Recht. Dieser Blattschuss – die Einschüchterung der Richterschaft – ist das eine Hauptargument. Das zweite ist die Relativierung der Grundrechte durch den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth. Er war vor seinem Amt als Bundesverfassungsrichter stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU im Bundestag. Also Politiker. Mithilfe von Angela Merkel kam er an das Bundesverfassungsgericht. Im Jahre 2020 wurde Harbarth dessen Präsident. Und mit ihm passierte dann die entscheidende Destabilisierung unseres Rechtsstaats, die wohl auch eine Steilvorlage für das Verfahren gegen den Richter Dettmar war.

„Grundrechte gelten anders“
Vor Harbarth waren die Richter des Bundesverfassungsgerichts unabhängige Gralshüter unserer Verfassung. Im Jahre 2017 haben sich die Verfassungsrichter noch ein Credo dahingehend gegeben, wie sie Abstand zur Politik halten sollten und wollten. Sie haben sich damals einen Kodex der Unabhängigkeit vorgegeben. Sie wussten: Wir dürfen nicht Politik machen. Das änderte sich mit Harbarth, der niemals zuvor in seinem Leben Richter war, sondern Anwalt und Politiker. Er stellte sich am 22. Juni 2020, also ungefähr vier Monate nach Beginn der grundrechtseinschränkenden Maßnahmen hin vor die Öffentlichkeit wie ein Politiker und sagte: „Die Grundrechtsausübung geschieht in Corona- Zeiten teilweise in einer anderen Weise als vor der Pandemie.“ Ungeheuerlich, denn die Grundrechtsausübung ist immer die gleiche! Meine Grundrechte kann ich immer ausüben, die kann Harbarth nicht einschränken. Zum Schluss sagt er noch: „Die Grundrechte gelten, aber sie gelten anders als vor der Pandemie.“ Der höchste Repräsentant unseres Rechtsstaates relativiert also die Grundrechte! Das war ein Freifahrtschein für jeden Richter, denn er kann nun sagen: Jetzt gelten die Grundrechte anders. Und in der Folgezeit haben Politiker und Medien sowie die Exekutive die Grundrechte definiert und nicht mehr der originäre Richter.

r&z: Wurde der Rechtsstaat außer Kraft gesetzt?
Dr. J. H.: Das ist eine begründete Frage und Sorge. Viele Bürgerinnen und Bürger, die sich ohnmächtig ob der Entscheidungen fühlen, bejahen Ihre Frage. Aber solange ich als Anwalt kämpfen kann, als ein Organ der Rechtspflege, kann ich immer noch sagen: Ja, ich befinde mich noch im Rechtsstaat, wenn auch die Grundfesten erschüttert sind. Denn ich sehe immer noch die Chance, dass sich die Justiz auf die Grundrechte besinnt. Das hat auch mit meinem Schreiben an die Richterschaft in ganz Deutschland etwas zu tun. Ich bitte darin die Richterinnen und Richter, sich eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts anzuschauen, die meiner Auffassung nach die Wende bringen kann und muss. 

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