raum&zeit Ausgabe 137

September/Oktober 2005

Nano-Technologie
Experimente außer Kontrolle

Politiker vor der Wahl
Die dunkle Seite der Macht

Blutforschung
Schnelleres Erkennen von Krankheiten

Mit den Wölfen heulen
Wie wir mit Tieren sprechen können

Editorial: Die Qual der Wahl

Die politische Schlammschlacht in Deutschland erreicht ihren Höhepunkt. Auch die großen regierungsfähigen Parteien entdecken jetzt das Internet als Speicherort für gehässige Anspielungen. Spamfilter sind machtlos. Der Spiegel stellt auf seine Website die Anti-CDU Anzeige „leere-
versprechen.de“, der Stern plaziert die SPD-Dresche „die-falsche-wahl.de“. Die Alternative „Schröder oder Merkel“ erinnert dabei an die Kreuzungsfrage eines orientierungslosen Autofahrers: Linksrum oder rechtsrum?
Warum sind Menschen politikverdrossen und wahlfaul geworden? Weil sie nicht so dumm sind, wie Politiker sie verkaufen wollen. Viele sagen sich: Ob wir linksrum oder rechtsrum fahren, wir werden immer nur rumfahren, ohne dabei ein Ziel zu erreichen.
Warum hält Schröder seine Versprechen nicht? Warum bezeichnen sich Politiker gegenseitig als Lügner, werfen sich einander Wahlbetrug und Inkompetenz vor und raten der Öffentlichkeit, den Kollegen ihrer Zunft nicht zu vertrauen? Bewegt sich moderne Politik noch auf dem Entwicklungsstadium der Quacksalberei?

Warum arbeiten die gewählten Volksvertreter nicht kontinuierlich mit vereinten Kräften auf wissenschaftlicher Basis an der Bewältigung sozial-ökonomischer Probleme?
Anstatt schmutzige Wäsche zu waschen, könnte man doch das Internet nutzen, um zu wichtigen politischen Entscheidungen, wie Teilnahme am Irak-Krieg, Erhöhung der Mehrwertsteuer, Studiengebühren etc., die Meinung der Wähler einzuholen.
Alle technischen Voraussetzungen dafür sind vorhanden. Man muss nicht vier Jahre auf eine Wählermeinung warten – es sei denn, man will es so.
Haben wir den teuren Wahlrummel alle vier Jahre wirklich so nötig? Dabei geht es immer weniger um die Wahl wichtiger Entscheidungen zu konkreten Themen, sondern um komplette Parteiprogramme, deren Inhalte von den politischen Gegnern so gut wie möglich verschleiert beziehungsweise verleumdet werden. Es entsteht der Eindruck, dass es immer mehr darum geht, WER versuchen darf, sich innerhalb der kommenden vier Jahre zu verwirklichen.
Das vierjährige Unvermögen der Wahlberechtigten, wichtige politische Entscheidungen mitbestimmen zu können, trägt auch dazu bei, bei der nächsten Gelegenheit eine eher emotionale als rationale Wahl zu treffen.
Wenn zwei sich streiten, lacht der Dritte. Eskalierender schwarz-roter Schmutzwahlkampf bedeutet Aufwind für politische Extreme. Ob man so Deutschland dienen kann, wage ich zu bezweifeln.

In diesem Sinne,
Herzlichst Ihr

Hartmut Müller

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