raum&zeit Ausgabe 135

Mai/Juni 2005

Spektakuläre Funde
Formten Wasser-Wirbel die Erde?

Quantensprung in der Physik
Atomzerfall spiegelt ferne Welten

EU-Verfassung
Demokratie bleibt auf der Strecke

Vorsicht mit der Vorsorge!
Zuviel Medizin für Babys

Editorial: Der patentierte Feiertag

Als Mitglied der World Intellectual Property Organization (WIPO) begeht auch das Deutsche Patent- und Markenamt am 26. April den Welttag des geistigen Eigentums. In Europa steht dieser internationale Feiertag heuer unter einem ganz besonderen Zeichen. Der EU-Ministerrat entwarf jetzt eine Richtlinie, die reine Software-Patente auch in Europa erlaubt. In den USA ist das längst nichts Neues. Seit 1999 patentiert man dort sogar Geschäftsideen, völlig ohne technischen Bezug.
Im Klartext: Nicht nur Dyson’s beutelloser Staubsauger, die Viagrapille oder ein Schnorchel mit Radioempfänger, sondern auch ein paar clevere Zeilen in einem Textverarbeitungsprogramm, ein Pfeil oder Kreuzchen auf dem Bildschirm und die Art und Weise, wie man eine Tabellenspalte bearbeitet, sind in den USA längst patentiert.
Über 30 000 amerikanische und japanische Softwarepatente sind in Europa bereits angemeldet, aber eben noch nicht rechtsgültig. Doch das könnte sich über Nacht ändern, wenn das EU-Parlament die neue Patentrichtlinie absegnet.
Dieser Segen wäre für die Software-Branche in Deutschland ein Fluch. Eine Lawine von Lizenzgebühren für die Nutzung simpler Software-Standards würde vorwiegend kleine, aufstrebende Unternehmen in den Ruin treiben.
Globalisierende Software-Giganten wie Microsoft würden sich dieses europäische Bonbon auf der Zunge zergehen lassen. Patente sollen geistiges Eigentum schützen und Erfindern einen Lohn für ihre Arbeit sichern. Allerdings ist das Patentieren einer Erfindung teuer und kann zunehmend nur noch von Großunternehmen geleistet werden. Zudem steigen die Jahresgebühren zur Aufrechterhaltung eines Patents mit jedem Jahr.
Der Schutz des geistigen Eigentums eines Erfinders ist heute mehr denn je abhängig von seiner Zahlungsfähigkeit. Die Gesamtpatentierungskosten für ein europäisches Patent betragen zwischen 30 000 und 5 000 Euro. Als Folge werden regelmäßig Patente an internationale Konzerne veräußert. So entstehen weitreichende Monopole, die den Wettbewerb verhindern.
Die Monopolisierung des geistigen Eigentums ergreift immer weitere Bereiche intellektueller Tätigkeit. Die Ursache dieses Phänomens liegt nicht zuletzt in der wirtschaftlichen Verselbständigung des Patentrechts und der Entstehung von Unternehmen, die auf Patentklagen spezialisiert sind.

Großkonzerne unterhalten eigene Patentabteilungen und sammeln Patente wie Briefmarken. Patentpools werden als Waffe gegen Konkurrenten eingesetzt oder zur Verteidigung, um allenfalls Gegenklage erheben zu können. Deshalb wird so viel wie möglich patentiert und die Patentämter stocken auf.
Als unterstützende Maßnahme wird der Technik-Begriff von den europäischen Patentämtern und Patentanwälten erweitert. So können noch mehr Patente bearbeitet werden.
Im Ergebnis wird bald jede Idee patentierbar. Damit wird auch jedes geistige „Eigentum“ monopolisierbar. Das Bestreben nach Innovation kleiner und mittelständischer Unternehmen endet in einer intellektuellen Sackgasse. Frische Arbeitsplätze wird es bald nur noch in Arbeitsämtern und Patentämtern geben. Die Zulassung von Software-Patenten in Europa würde eine Innovationsbremse unvorstellbaren Ausmaßes erzeugen.
Die Zulassung von Gen-Patenten hat bereits dazu geführt, dass viele innovative Heilungsmethoden nicht weiter erforscht werden können. Eine US-amerikanische Order zwingt jetzt irakische Bauern, patentiertes Saatgut zu säen und verbietet gleichzeitig, ursprüngliches Saatgut zu verwenden (siehe den Artikel „Order 81 – der befohlene Tod der Landwirtschaft“ in dieser Ausgabe). So dezimieren Gen-Patente die Vielfalt landwirtschaftlicher Kulturpflanzen.
Am 17. Mai geht der Streit um Software-Patente in die nächste Runde. Die französische Linuxgemeinde AFUL hat sich bereits den Übergang zur 35-Stunden-Woche als Geschäftsmethode patentieren lassen. Vielleicht sollte sich die WIPO schon mal um ein Patent auf den Feiertag des geistigen Eigentums kümmern?

In diesem Sinne
Herzlichst Ihr

Hartmut Müller

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