raum&zeit Ausgabe 125

September/Oktober 2003

Zivilisation im Überzucker
Diabetes alternativ heilen

Wir brauchen ein ganzheitliches Gesundheitssystem
Analysen und Wege aus der Krise

Gentechnik
Bush-Saat erobert Europa

Tschernobyl
Was wirklich passierte!

Die verlorene Ethik der Schulmedizin

Editorial: Die Moral von der Geschicht'

Man kann Menschen radioaktiv verseuchen, indem man eine Atombombe zündet; es kann aber auch aus Unwissenheit geschehen, zum Beispiel infolge eines unbeabsichtigten Unfalls. Das Letzte ist menschlich, das Erste unmenschlich. Hiroshima und Tschernobyl sind also nicht zu vergleichen.
So ist es in allen Dingen. Es kommt darauf an, ob etwas mutwillig, also wissentlich, oder versehentlich, also unwissentlich, getan oder unterlassen wird. Das ist die Kernfrage der Ethik.

Dieser ethischen Fragestellung muss sich auch jeder Arzt stellen. Daran erinnert ihn der Eid des Hippokrates, den er geleistet hat.

Das deutsche Gesundheitssystem indes hat sich von dieser lästigen Fragestellung weitgehend befreit. Das musste auch geschehen, denn dieses System kann nur funktionieren, wenn es kranke Menschen gibt, die überteuerte Medikamente konsumieren und Betten belegen.
Es ist eben ein ganz normales Wirtschaftsunternehmen. Da werden ethische Spitzfindigkeiten schnell mal durch die Frage ökonomischen Überlebens verdrängt.

Andere Wirtschaftszweige wollen ja auch überleben. Zum Beispiel die viel beschäftigte Rüstungsindustrie. Soll die sich etwa auch noch mit Ethik abgeben? Na also. Am besten, wir zerbrechen uns über diese altmodischen Begriffe nicht den Kopf, und jeder macht einfach seinen verdammten Job: Bist du Reporter, fotografiere die Vergewaltigung, bist du Militär-Pilot, werfe Bomben ab, bist du Arzt, bestrahle das Geschwür und verschreibe Ritalin®. So nähern wir uns mit deutscher Gründlichkeit dem amerikanischen Traum.

Die Ethik wird weggeworfen wie eine überflüssige Verpackung. Gerade noch zu gebrauchen als Einstieg in den Wahlkampf, wird sie im Tagesgeschäft schnell zum Ballast. In der Politik nutzt man sie wie ein weißes Hemd, das nur einen Tag lang getragen werden kann, weil es schnell verschmutzt.

Eine andere Kernfrage lautet: Ist es überhaupt zulässig, ein Krankenhaus als Unternehmen dadurch zu organisieren, das seinen Unterhalt selbst erwirtschaften muss? Wird dieses Unternehmen nicht geradezu versessen auf schwer kranke Menschen? Läuft man als Patient dort nicht Gefahr, unnötig operiert zu werden?
Wird nicht ein Arzt, der sich einen Röntgenapparat kaufen muss, automatisch dazu neigen, möglichst viele Patienten zu durchleuchten? Animiert die aufdringliche pharmaindustrielle Praxisbetreuung den Doktor nicht dazu, möglichst teure Medikamente umzusetzen?

Es gibt gewisse essenzielle Aspekte unseres Lebens, die nicht käuflich sein dürfen. Dazu gehört die Luft zum Atmen und reines Trinkwasser. Dazu gehört aber auch die medizinische Versorgung. Erst wenn wir das begriffen haben, wird es ein Gesundheitssystem geben, das umso besser funktioniert, je mehr gesunde Menschen es gibt.

In diesem Sinne herzlichst Ihr

Hartmut Müller

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