raum&zeit Ausgabe 120

November/Dezember 2002

Mysterium Ägyptologie
Funktioniert die Pyramide noch?

Kosmisches Netz der heiligen Orte

Hochwasserkatastrophe
Eine Folge von HAARP?

Therapeuten-Netzwerk statt Ritalin

Editorial: Interdisziplinäre Kommunikation

Führt ein Mensch in der Öffentlichkeit Selbstgespräche, vermutet man Schizophrenie oder Depression. In der Wissenschaft sind „Selbstgespräche“ die Norm – eine Folgeerscheinung der extremen Differenzierung und Spezialisierung der Fachrichtungen. Kernphysiker unterhalten sich mit Kernphysikern, Biochemiker mit Biochemikern und Archäologen mit Archäologen. So gerät keiner in Gefahr, inkompetent zu sein oder vom eigenen Tellerrand zu fallen. Gleichzeitig werden jedoch gängige Konzepte so festgefahren, dass konzeptuelle „Spurrinnen“ immer weniger Spielraum für geistige Bewegungsfreiheit lassen.

Da verwundert es kaum, dass viele der wissenschaftlichen Entdeckungen, auf denen etablierte Theorien basieren, von fachlichen „Quereinsteigern“ gemacht wurden.
Ich denke dabei an Michael Faraday, Wilhelm Conrad Röntgen, Jean Bernard Léon Foucault oder Ernst Florens Friedrich Chladni. Diese Vergangenheit ist nicht so sehr veraltet, als dass man aus ihr nichts lernen könnte.
Entdeckungen treiben die Wissenschaft voran, nicht Theorien. Theorien geben Entdeckungen einen Kontext. Deshalb wirken sie nicht nur heuristisch, sondern auch limitierend. Sie lenken die Suche nach weiteren Fakten in eine favorisierte Richtung, die sich später zum Maßstab für Professionalismus und Fachkompetenz entwickelt.

Fachkompetenz und Professionalismus bedeuten Qualität, Präzision und Effektivität. In seiner höchsten Form wird Professionalismus jedoch nicht selten zur „Filzbrille“, durch die man nichts mehr sieht. Man neigt dazu, Fakten nur dann zu akzeptieren, wenn sie ins Paradigma passen. Interdisziplinäre wissenschaftliche Entdeckungen bekommen den Stempel „Artefakt“ und die dazugehörigen Personen werden zu „Scharlatanen“.

Dabei entwickelten sich alle modernen Fachbereiche aus interdisziplinärer Forschung. Das trifft sogar für die Mathematik zu, z. B. die fraktale Geometrie. Erst viel später wird aus den Ergebnissen interdisziplinärer Forschung ein selbständiger Fachbereich mit eigener theoretischer Basis.

Deshalb, meine ich, sollte man die interdisziplinäre Kommunikation fördern. Sie könnte wesentlich dazu beitragen, die geistige und technische Entwicklung unserer Zivilisation nicht nur zu beschleunigen, sondern auch in eine holistische Bahn zu lenken. Zieht man die extrem hohe Spezialisierung wissenschaftlicher Fachbereiche in Betracht, wird die Aktualität dieses Anliegens besonders deutlich.

Die Fachzeitschrift raum&zeit ist ein Forum der interdisziplinären Kommunikation. Wir sind deshalb bemüht, Beiträge sprachlich so zu gestalten, dass sie von Vertretern möglichst vieler verschiedener Fachrichtungen verstanden werden können. Das erfordert die Bereitschaft zu Kompromissen, die unserer Fachzeitschrift eine populärwissenschaftliche Erscheinungsform aufzwingt.

Zu Fakten und Hypothesen verhalten wir uns offen und unvoreingenommen, ungeachtet ihrer Kompatibilität mit etablierten Paradigmen.

Herzlichst Ihr
Hartmut Müller

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