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Die Moral des Kapitalismus

Von Christine Kammerer, Neumarkt – raum&zeit Ausgabe 201/2016

Die größten Rindermastbetriebe in Deutschland beherbergen bis zu 220 Tiere. Nun denken Sie wahrscheinlich: Das ist doch der reine Rinder-Wahnsinn! Aber im Grunde ist das nur so eine Art Ponyhof für Rinder. Ein netter, kleiner und sehr überschaubarer Spielzeug-Bauernhof. Jedenfalls im Vergleich mit dem, was Amerika so zu bieten hat: Auf jeden Texaner kommt ein halbes Rind. 13 000 000 sind es insgesamt. Rindviecher. Eine einzelne Anlage in Texas mästet bis zu 100 000 Rinder. Das ergibt in einem Jahr 200 000 Kubikmeter Gülle. Aber über den Nitratgehalt der texanischen Prärie wollen wir hier gar nicht groß nachdenken.

Die Amerikaner lieben Fleisch. Als Burger, als Steak und natürlich auch als lukrative Handelsware mit gigantischem Wachstums-Potenzial und saftigen Profiten.

Die Europäer dagegen sind in Sachen Lebensmittel leider etwas heikel. Sie finden Wachstums- Hormone im Essen gar nicht lecker, sie ekeln sich vor chlorgebleichten Hühnchen und sie verabscheuen Gen-Food.
Also setzten sich die amerikanischen Rinderzüchter, die Vertreter der Geflügelindustrie und die Produzenten von genverändertem Saatgut zusammen und dachten darüber nach, wie man den Europäern das pfundige Steak aus Texas schmackhaft machen könnte. Und sie tüftelten einen tollkühnen Plan aus.
Die Amerikaner waren schon immer sehr gut im Pläne machen. Nehmen Sie zum Beispiel den Marshallplan. Was waren nochmal die erklärten Ziele? Die Schaffung eines Absatzmarktes für die US-amerikanische Überproduktion und die Eindämmung der Sowjetunion. Besser verkaufen ließ sich der Plan allerdings unter der Parole: „Hilfe für die notleidende Bevölkerung Europas“. Das alles kommt uns irgendwie bekannt vor, nur dass die alte Parole durch eine neue ersetzt wurde: „mehr Wachstum und Arbeitsplätze“.
Es hat Zeiten gegeben, da klangen solche markigen Versprechungen noch einigermaßen verlockend. Das war damals, als der Bürger noch so etwas wie Vertrauen in die politischen Eliten hatte. Aber heute? Tausendmal gehört und tausendmal ist nichts passiert ...
Was uns außerdem so ganz am Rande ein ganz klein wenig irritiert: Haben die TTIP-Lobbyisten etwa bei ihren weitreichenden Plänen den einen oder anderen doch vielleicht nicht so ganz unwesentlichen Punkt vergessen? Einige grundlegende demokratische Spielregeln zum Beispiel. Und die Betroffenen.

Was ist mit den 820 000 000 EU-Bürgern? Jenen Menschen also, die die Suppe nachher auslöffeln müssen? Und die ein verdammt gutes Recht haben, selbst darüber zu entscheiden, was in ihrem Kochtopf landet?
Und sie haben noch eine winzige Kleinigkeit vergessen: Die ungefähr 6 000 000 000 anderen Menschen auf dieser Welt, die durch TTIP noch stärker benachteiligt werden als bisher schon. Jene Menschen, denen im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser abgegraben wird. Zum Beispiel im Nahen Osten.
Wohin soll dieser Wahnsinn also führen? Dahin, dass noch mehr Menschen ihren angestammten Lebensraum verlassen müssen, weil sie dort keine Lebensgrundlagen mehr vorfinden? Dahin, dass noch mehr Kriege geführt werden um das kostbare Nass und das wenige verbliebene fruchtbare Land?

Stephen Hawking wird recht behalten. Die Menschheit bereitet ihren eigenen, selbst verschuldeten Untergang vor. In einem Punkt allerdings täuscht er sich: Es wird keine 1 000 Jahre mehr dauern, bis es soweit ist. Wenn wir uns nicht auf eine gemeinsame Welt einigen können. Eine Welt, in der die Wirtschaft den Menschen dient. Allen Menschen.

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