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Feuer frei!

Von Robert Stein, Ismaning – raum&zeit Ausgabe 216/2018

Ein ehemaliges Nachrichtenmagazin von der Hamburger Alster hat es also schon wieder getan. Diese publizistische Flugabwehr-Kanone richtete sich in der Vergangenheit immer wieder mit großer Beharrlichkeit auf all die Themen, die so ganz und gar nicht ins rein wissenschaftlich verordnete Weltbild passen wollen. Und wieder mal war das Ziel das große und weite Feld der Homöopathie, zusammen mit anderen alternativen Heilmethoden. Feuer frei hieß es in der Ausgabe 34/2018 und mit Blick auf das große Trommelfeuer der medialen Blendgranaten konnte sich der unverbesserliche Rest der immer weniger werdenden Abonnenten zufrieden zurücklehnen und sein altes Weltbild hegen und pflegen. Stur wie die Gallier verteidigen sie ihren Glauben an die Segnungen einer Pharmamedizin, komme was da wolle.

Doch halt, welch Überraschung schlummert da in jenem Elaborat aus Gift und Galle? Im verzweifelten Versuch, so viel Mist wie möglich auf alternative Heilmethoden zu werfen, ist es der Autorin letztendlich gelungen ein unbewusstes Loblied auf eine neue Medizin zu singen. So erfuhr der geneigte Leser zum Beispiel, dass deutsche Ärztekammern mittlerweile fast 7 000 Ärzten Zusatzbehandlungen in Homöopathie anerkannt haben, außerdem quälen offenbar 14 400 ihre Patienten mit Akupunkturnadeln und mehr als 16 000 offerieren angeblich total lebensgefährliche Naturheilverfahren. Donnerwetter, wer hätte gedacht, dass so viele studierte Menschen auf diesen Hokuspokus hereinfallen? Von den 47 000 zugelassenen Heilpraktikern ganz zu schweigen.
Sogar die Volkshochschulen, einst Bastionen bürgerlicher Vernunft, haben sich mittlerweile dazu herabgelassen „äußerst fragwürdige Kurse zu alternativmedizinischen Verfahren“ anzubieten. Und der Untergang des Abendlandes muss wohl endgültig eingeläutet werden, wenn „die Alternativmedizin sogar Einzug in die Universitäten gefunden“ hat. Unsere zukünftigen Ärzte würden jetzt also mit diesen Irrlehren vergiftet werden, indem sie im Wahlfach Naturheilkunde indoktriniert werden.

Der geneigte Leser möge verzeihen, dass hier ein Drittel des Weltvorrats an Ironie verbraucht wurde, aber diese Zahlen belegen doch in Wirklichkeit etwas ganz anderes:
Es ist nicht die „systematische Verdummung des Volkes“ wie ein (zum Glück) emeritierter Professor behaupten darf, sondern hier zeigt sich die mittlerweile tiefe Akzeptanz in unserer Gesellschaft für neue Wege der Heilung und des Denkens. Ein neues Bewusstsein bahnt sich unaufhaltsam seinen Weg. Diese Entwicklung hat sicherlich damit zu tun, dass Millionen Menschen die Irrwege in unserem Gesundheitssystem am eigenen Leib oder in der eigenen Familie schon erlebt haben. Dazu braucht es keine Studien, da reicht ein trauriger Blick in deutsche Wartezimmer.
Man muss diesen Artikel wohl als das betrachten, was er wirklich ist:
Ein letztes und verzweifeltes Gefecht der Pharmaindustrie, kurz bevor sich ein neues Weltbild in unserer Gesellschaft tief und unumkehrbar verfestigt hat.
Uns das klar gemacht zu haben, dazu kann man der Spiegel-Redaktion ganz herzlich gratulieren.

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