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Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Teuerste, was es gibt auf der Welt

Von Christine Kammerer, Nürnberg – raum&zeit Ausgabe 193/2015

Dereinst vor langer, langer Zeit waren Freunde noch wahre Freunde. Man konnte sich darauf verlassen, dass sie zu ihrem Wort stehen. Unverbrüchlich und verlässlich - in guten wie in schlechten Zeiten. Ja, damals war Freundschaft noch recht und billig und hatte selbst in Krisenzeiten Bestand. Das war zu jener längst vergangenen Zeit, als Aufrichtigkeit, Verbindlichkeit und Charakter noch echte Werte waren.

Werte und Charakter? Sind das nicht diese altmodischen Relikte aus verstaubten alten Groschenromanen? Aber Freundschaft – ja, das sagt mir was. Kenne ich von Facebook! Eben erst den Beziehungsstatus zu 23 von meinen 456 Freunden geändert. Gelöscht. Weil sie meine Selfies nie liken.

Freundschaft – das war einmal. Heute ist Unverbindlichkeit. Leere Worte statt hehrer Werte. Daumen hoch und Daumen runter. Wir machen uns die Welt, widewide wie sie uns gefällt: Putin ist böse, die Ukraine ist gut, die EU noch viel besser und am allerbesten sind sowieso die USA. Snowden ist ein Krebsgeschwür und somit sehr, sehr böse – wie übrigens alle Krankheiten. Besonders dann, wenn sie die Wahrheit ans Licht bringen.
Aber zum Glück machen unsere lieben Freunde alles wieder gut.

Freundschaft – das ist da, wo der Vorteil winkt. Wahre Freundschaft macht sich in barer Münze bezahlt. Wie gerne hängen wir doch unser Herz an die, die stark und erfolgreich sind! Ob sie es nun wirklich sind oder nur groß tönen? Ganz gleich, Hauptsache ein kleines bisschen Licht vom ihrem gloriosen Strahlenglanz fällt auch auf uns ab.

Natürlich könnten wir auch selbst – wenn wir nur wollten. Aber wozu? Wir begnügen uns viel lieber mit ein paar Funken ihrer engelsgleichen Aureole. Was sie auch immer treiben kann so übel gar nicht sein. Und weil wir uns immer gerne ein bisschen kleiner machen, als wir eigentlich sind, stellen wir lieber unsere eigene Meinung hinten an.

Freundschaft – ja, das ist fast ein bisschen so wie die Beziehung zwischen einem Herrchen und seinem jungen Welpen: Das Herrchen hält das Würstchen an der Angel gerade so hoch, dass es sein Hündchen immer ganz knapp verfehlen muss, doch der Welpe hechelt ihm trotz alledem weiter schwanzwedelnd hinterher.

Und dennoch lassen wir unsere mächtigen Freunde beharrlich im güldenen Lichte erstrahlen – jedenfalls so lange sie uns immer wieder ein leckeres Häppchen vom großen Kuchen abgeben. Und auch wenn sie uns dabei regelmäßig einen Tritt in die Seite verpassen und unsere Illusion von inniglicher Freundschaft jedes Mal wieder in sich zusammen fällt wie ein Kartenhaus – wir feilen und basteln weiter mit vereinten Kräften an unserer heilen, kleinen Wunderwelt, widewide wie sie uns gefällt.

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