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Offline ist das neue Bio

Von Robert Stein, Ismaning – raum&zeit Ausgabe 220/2019

Stellen Sie sich auch manchmal die Frage, wie wir nur ohne die ganzen neuen Techniken und Medien leben konnten? Wie wir ohne Google-Maps zu unserem Ziel gefunden haben? Wie wir ohne Wikipedia einen Aufsatz schreiben sollten? Wie wir zum Telefonieren erst einmal Kleingeld wechseln mussten, um dann eine Telefonzelle zu finden? Eine Telefonzelle? Wir digitalen Immigranten, also alle, die ohne Handy, Computer und Internet aufgewachsen sind, können uns nur allzu gut daran erinnern, an diese analoge Welt voller vermeintlicher Mühen im Alltag. Ist durch die moderne Technik, durch die Digitalisierung, die mit aller Macht unsere Kinder beglücken soll, also wirklich alles besser und einfacher geworden?

Diese Frage kann wohl jeder für sich selbst beantworten und auch wenn die Technik uns nun vieles erleichtert, so ist es wie beim Zauberlehrling, der nicht weiß, wie er den Zauber wieder abstellen kann. Unser Verhalten wird mehr und mehr geprägt von diesen verflixten kleinen Dingern, die so nützlich, die so hilfreich, die so „handy“ sind. War es am Anfang wirklich nur ein mobiles Telefon, ist es jetzt so etwas wie das digitale Schweizer Taschenmesser, das in jeder Situation im Alltag zum Einsatz kommt. Wir benutzen es hundert Mal am Tag und wissen gar nicht mehr, wie wir ohne es auskommen können. Unser Verhalten ändert sich dadurch dramatisch. Wenn wir im Supermarkt an der Kasse stehen, zücken wir sofort das Handy, weil wir keine fünf Minuten mehr unbeschäftigt sein können. Spätestens alle paar Minuten nehmen wir diese kleinen Monster wieder in die Hand und versinken in die digitale Welt, um uns unseren nächsten Kick zu holen. Wie Drogensüchtige suchen wir nach dem nächsten Schuss, denn genauso reagiert unser Gehirn auf die ständige Reiz- und Informationsüberflutung. Immer online, immer den Status checken, immer auf Nachrichten antworten, die eigentlich gar keine Nachrichten sind. Digitaler Overkill.

Doch langsam findet nun ein Umdenken statt und ironischerweise kommt aus dem Epizentrum der Digitalisierung, dem Silicon Valley, ein neuer Trend zu uns. Die Ent-Digitalisierung der Schulen. Immer mehr Waldorf-Schulen werden dort gegründet, die die Technik aus dem Klassenzimmer verbannen. Stattdessen stapfen die Kinder dort durch den Wald und wühlen mit den Händen im Dreck. Einfacher, schmutziger und völlig analoger Dreck. Und auch Erwachsene hat die neue Welle bereits erfasst. Das „Ausmalbuch für Erwachsene“ von der Schottin Johanna Basford stand in Großbritannien und den USA wochenlang in der Amazon-Top-Ten-Bestsellerliste, denn es wirkt wohl wie eine Entgiftungskur vom Digitalen.

Wenn also alleine der Verzicht auf moderne Technik schon als Entgiftung bezeichnet wird, dann muss es wohl schon mehreren Menschen aufgefallen sein, dass die Digitalisierung nicht nur Vorteile bringt. Digital-Detox als neuer Vorsatz.

Also los, gehen sie barfuß auf eine Wiese und seien Sie offline.
Seien Sie lebendig.

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