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Die kleinen Dinge des Lebens: ein Becher Yoghurt

raum&zeit-Kolumne von Manfred Jelinski

„Da“, sagte ein Freund zu mir, mit dem ich gelegentlich mal in einem Gespräch hängen bleibe, und schob mir einen Plastikbecher mit Yoghurt herüber. „Schenk ich dir.“
Wir saßen in der Bar seines kleinen Hotels und hatten jeder ein Bier vor der Nase.
„Danke“, gab ich zurück. „Aber – was soll das? Neue Mode? Molle und Matsch, könnte man in Berlin sagen.“
„Wenn du nicht willst, muss ich ihn wegschmeißen.“
Ich studierte das Etikett. „Datum von heute. Musst du nicht wegschmeißen. Ist noch gut.“
„Morgen ist es von gestern. Dann kann ich ihn nicht mehr anbieten. Kommt mir das Ordnungsamt ins Haus, wenn jemand Bescheid sagt.“
„Du könntest ihn selbst essen.“
„Das wäre geldwerte Privatentnahme. Sehr aufwändig, das zu verbuchen, vor allem wenn es angebrochene Packungen sind. Macht zu viel Arbeit, keine Zeit dafür. Also schmeiß ich es lieber weg.“
„Aber du könntest es danach wieder aus der Tonne holen, denn es ist ja Abfall.“
„Oh, nein, was du dir vorstellst.“ Er nahm einen tiefen Zug aus dem Bierglas und hob dozierend den Zeigefinger. „Sobald eine Ware sich im Abfallcontainer befindet, ist sie Eigentum der Abfallbeseitigungsgesellschaft. Dann wäre es Diebstahl. Alles juristisch geregelt.“
„Ach so, deshalb ist Containern strafbar? Aber wer sollte dich anzeigen?“
„Das weiß man heute nie. Kürzlich habe ich einer Angestellten gekündigt. Die war ganz schön sauer, aber sie war untragbar. Gab einen hübschen Knatsch im Büro.“
„Gut.“ Ich nahm jetzt auch einen tiefen Schluck. „Aber du könntest die Ware einer Tafel anbieten. Das wäre bestimmt steuerlich absetzbar.“
Er seufzte. „Ja, aber darum geht’s nicht. Die müssten das von Rechts wegen auch verbuchen. Und wenn sie ein gemeinnütziger, eingetragener Verein sind, können sie mir auch eine Bescheinigung dafür ausschreiben. Aber die nächste Tafel ist 40 Kilometer entfernt. Wer soll das dahin fahren? Das kostet mehr, als es bringt. Und dann auch noch jeden Tag. Vergiss es.“
„Vielleicht macht das ein Angestellter auf dem Heimweg?“
„Dann muss geklärt werden, ob er dafür versichert ist.“
„Hm.“ Ich dachte nach. Es war einfach unbillig und von meiner moralischen Warte her auch pervers. Gerade hatte man wieder eine Statistik veröffentlicht, wonach in Deutschland elf Millionen Tonnen Lebensmittel jährlich weggeworfen werden. Sogar die Bundesregierung will nun etwas dagegen tun. Was genau, weiß allerdings niemand. Vielleicht die Versorgungswege digitalisieren? Digital geht ja alles heutzutage.
„Aber sag mal“, versuchte ich es noch einmal. „Ist das nicht wegen Geringfügigkeit sowieso egal? Ich meine – ein Becher Yoghurt, meine Güte!“
Mein Freund nahm noch einmal einen großen Schluck. „Was du dir vorstellst. Also erstens bleibt es ja nicht bei dem einen Becher. Was wir allein an Fleisch und Wurst wegwerfen, weil es keiner beim Frühstücksbuffet genommen hat. Kannst du ja nicht mehr anbieten, ist ja schon mal ausgepackt und/oder angerichtet worden. Und zweitens: Was geringfügig ist, muss im Zweifelsfall ein Gericht feststellen. Ein gefundener Pfandbon von 70 Cent kann durchaus ein Kündigungsgrund sein, wenn er von einer Kassiererin eingewechselt wird.“
„Ja, ich habe davon gehört. Schon irre, mit was sich Gerichte herumschlagen müssen.“
„Aber es hat sein Gutes: Alles ist gesetzlich geregelt und kann juristisch umgesetzt werden. Könnte ich dir noch bis morgen früh Sachen erzählen ...“
„Aber sag mal, dann kannst du mich doch hier nicht zum Bier einladen, mit oder ohne Yoghurt?“
„Doch, du wirst ja hier als Gast verköstigt. Und weil du etwas über mich schreiben kannst, ist das hier eine geschäftliche Besprechung. Da kann ich noch viel mehr reinsetzen. Nur mein Bier muss ich ausbuchen, aber das geht automatisch. Du musst nur bei Anfrage angeben, dass du tatsächlich hier warst.“
„Und ich muss auch nichts Gutes über deinen Laden schreiben?“
„Aber nein, du musst gar nichts schreiben. Wir haben doch freie Meinungsäußerung. Sonst wäre es ja auch Bestechung.“
Ich dachte noch viel über den Abend nach. Ich schreib also sicherheitshalber gar nichts über das wirklich nette, kleine Hotel. Dann war es eben eine Werbeausgabe, die sich nicht gelohnt hat, wie so vieles heutzutage. Aber das ist selbst für Steuerrechtler sehr plausibel. Sie kennen das selbst, wenn sie verärgert darauf warten, die Werbung bei Youtube wegklicken zu können. Aber zehn Sekunden muss sie schon stehen. Alles juristisch geregelt.

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