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Jugendsprache wird erwachsen

raum&zeit-Kolumne von Manfred Jelinski

Kolumne: Das Gegenteil von „Das wird man ja noch sagen dürfen!“ ist nicht das Schweigen. Es ist Jugendsprache. Wort- und Satzschöpfungen, die dem uneingeweihten Zuhörer den Inhalt der Aussage unzugänglich machen. Jugendliche zu allen Zeiten haben erkannt, dass sie sich damit einen Freiraum in der Kommunikation und damit in der Praxis des Handelns erwirken können. An der Jugendsprache erkennt man auch immer sehr schön den Zeitgeist und die aktuellen Themen.
Ich persönlich bin aktiv durch drei Jahrzehnte gerutscht und habe erlebt, wie es aus den harmlos-sexistischen Sprüchen der 60er Jahre „Lass uns mal `ne Schnecke angraben!“ zu den hämischen Bezeichnungen der 80er Jahre kam, nun die ungeliebte Elterngeneration zu diffamieren mit „Hackenporsche“ und „Rentnerbravo“. Danach diffundierte der Sprachschatz in den wiedervereinigten deutschen Weiten. Bücher zu dem Thema lösten in den meisten, meist neudeutschen, Bundesländern eher Kopfschütteln aus. Aber regional funktioniert es immer wieder.
Natürlich hat das Phänomen auch seinen Widerhall in der Erwachsenengeneration. Lauschen Sie mal in den Alltag! Viele Dinge sagt man nicht gern, wenn man zu zweit in der Öffentlichkeit unterwegs ist. „Wir müssen noch für die Kinder in Bangladesh spenden“, heißt natürlich nicht, wie bewundernde Mithörer mutmaßen könnten, dass man zur Bank gehen will, um auf ein Hilfskonto zu überweisen. Übersetzt heißt es schlicht: „Wir müssen noch zu KIK und wenn’s reicht auch zu H&M.“
Kann man verbal natürlich nicht mehr öffentlich thematisieren.
Oder „Denk an die Wale“ bzw. „Lass uns Wale füttern“ heißt selbstverständlich „Lass uns eine Plastiktüte nehmen, ich hab meine Tasche vergessen!“
Bei Erwachsenen hat das Phänomen auch viel damit zu tun, dass man sich mit einem Thema einfach nicht auseinandersetzen möchte. Neuerdings sagt man deshalb „Die gehen Schule schwänzen!“, wenn sich besorgte Schüler zu „Fridays for Future“ auf die Straße begeben. Dieser Slogan kam natürlich auch bei Bankern nicht gut an, denn sie hatten nun ihre „Future“ nicht mehr allein für sich, besonders an Freitagen. Und die Kids hatten damit auch eine Regel gebrochen. Die Regel der Jugendsprache, die endlich auch von den Erwachsenen begriffen worden war.
„Sage nie, was du meinst! Am besten das Gegenteil oder so, dass dich niemand versteht!“
Ganz neue Geheimsprachen sind so entstanden. Hören sie sich mal um, im Bankgewerbe, in Aufsichtsräten, bei Immobilienmaklern oder auch nur in Reisebüros.
Aus existenziellem Grund hat das natürlich auch in die Politik Einzug gehalten. Sicher fallen jedem Bürger sofort diverse Aussprüche ein, die ein unbefriedigendes Thema in der Diversität der Kommunikation in glänzender Schönheit versiegen lassen können. Am längsten, glaube ich, hat sich „Das müssen wir an die Ausschüsse verweisen!“ gehalten, wenn man sich mit einem Thema absolut nicht blamieren wollte.
Ich will das hier auch nicht zu weit treiben. Aber falls Sie im Vorbeigehen an der Chefetage zufällig hören sollten: „Da müssen wir umstrukturieren!“, wissen Sie, dass wahrscheinlich Insolvenz angemeldet werden muss, mindestens aber eine betriebsbedingte Kündigungswelle bevorsteht.
Nein, das Gegenteil von „nicht sagen“ ist nicht Schweigen.

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