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Heutzutage haben wir alles im Griff

raum&zeit-Kolumne von Manfred Jelinski

Die Bundesstelle für Antidiskriminierung beklagt ein ständiges Ansteigen rassistischer, antisemitischer und frauenfeindlicher Äußerungen in den letzten Jahren.
Hm.
Das ist sehr erstaunlich, denn um was wird in Deutschland seit einigen Jahren (Jahrzehnten) mit geradezu erbittertem Einsatz gerungen? Und man hat doch auch schlagende Argumente.

Zum Beispiel weiß man, dass ein Verbot von bestimmten Worten und Zeichen dazu führt, dass diese nicht mehr gebraucht werden. Und schon gar nicht beleidigend!
Ja, das Verbot von Hass führt zu liebevollen Kommentaren im Internet.
Die Einführung des Gendersternchens führt zur allgemeinen Gleichberechtigung und gleicher Lohngestaltung.
Das Verbot von Diskussionen mit Vertretern rechtslastiger Ansichten führt zum Wählerschwund bei der AFD.
Die Schließung von Grenzen führt zu allgemeinem Wohlstand in den Heimatländern von Flüchtlingen und zum Bleibenwollen dort.
Die konsequente Verneinung von Übergriffen führt bei der Kirche zu einem Zustrom von Gläubigen.
Verbot von alternativen Heilmethoden macht alle Menschen wieder gesund.

Hat alles funktioniert oder ist auf dem besten Wege. Das haben Sie doch sicher alle gemerkt. Wo also ist das Problem dieser Bundesstelle? Es ist doch alles Menschenmögliche getan.
Und nun kommen jeden Tag aufs Neue diese komischen Meldungen. Da kann man doch auf die Idee kommen, dass sich diese Regierung und die Medien alles nur ausdenken, um Aufmerksamkeit zu erringen.
Denn eigentlich ist doch alles gut.
Ohne hier staatskritisch erscheinen zu wollen, erhebt sich in mir die Frage, dass da irgendwo etwas nicht stimmt. Ich kenne das auch schon aus der Vergangenheit, aber die ist ja bekanntlich vergangen und wird nicht wieder. Schon gar nicht, wenn man die Analyse verbietet.
Trotzdem erinnere ich mich, dass man früher meinte:

Wenn man öffentlich Bücher verbrennt, sind sie weg und keiner wird sie mehr lesen.
Wenn man mit Kommunisten nicht redet, ist das zum Vorteil der Völkerverständigung.
Wenn man sich an der Uni aufmacht, alle Studenten dazu zu bringen, Marx zu lesen und die Rechte von Arbeitern und Bauern zu diskutieren, gibt es dort einen sozialistischen Umsturz und niemand will mehr Karriere im Kapitalismus machen.
Wenn man nicht über Sexualität redet, verhindert man ungewollte Schwangerschaften.
Wenn man andersartige politische Strömungen diskreditiert, verhindert man eine Wählerschaft für die Grünen.
Wenn man allen Bürgern befiehlt, Fähnchen zu schwenken, sichert man die Existenz des Staates.
Wenn man nur noch Lehrer mit dogmenkonformen Meinungen einstellt, erzielt man eine Lehrerschwemme.
Usw.

Mein ganzes Leben war begleitet von der Meinung, wenn man nur etwas verbietet und/oder nicht drüber redet, dann wäre das Problem gelöst. Wir haben doch immer Leute gewählt, die alles besser wissen!
Warum dann eine Bundesstelle für – oder gegen? – Diskriminierung?
Die Bevölkerung (ui, darf man das Wort „Volk“ noch verwenden?) hat es begriffen. Die Beschimpfung von Politiker*innen wie Frau Künast ist doch ein gerichtlich erlaubtes ... naja, nach letztem Urteil wieder nicht so, aber ein nicht wirklich verbotenes Mittel, Leute aus ihrem Leben zu entfernen.
Da könnten wir uns doch ganz neu an Vorlagen bedienen:

„Hej, du Virenträger, hau bloß ab!“ (Und weg ist die Epidemie!)
„Enteignet die Hausbesitzer!“ (Führt garantiert zu mehr bezahlbarem Wohnraum!“
„Raus aus den Stadien mit den Ultras!“ (Vorschlag für DFB und DFL, um wieder Frieden in den Fußballstadien zu erreichen.)
„Ausländerfeind, wir wissen, wo du wohnst!“ (Ach nee, das letztere gibt’s nur andersherum, aber jede Seite ist ja lernfähig!)

Hm.
Völlig indiskutabel auf diesem Stand, aber ich habe in den letzten Jahren bemerkt, dass einige Politiker sogar erfolgreich mit konstruktiven und für die Einwohner dieses Landes sogar verständlichen Reden und Aktionen Erfolg haben. Hat das sonst noch jemand gemerkt? Hören Sie sich mal die Kandidaten der aktuellen Wahlen vorher und nachher an. Und schauen Sie mal hin, wer davon Wähler gewonnen hat.
Nadelstreifenanzüge und kurze Haare für weibliche Bewerber sind inzwischen politisch erfolglos. (Entschuldigung, aber ich wehre mich gegen die Ansprache „weibliche Bewerber*innen“) Neee, gugge da ... die erfolgreichen Frauen tragen wieder Kleider und, ähem, sehen sogar gut aus!
Darf man natürlich nicht sagen, ist sexistisch gesehen, deshalb schauen Sie mal selbst! Ha, und diese weiblichen Politikerinnen (das ist jetzt völlig so gemeint!) werden sogar von Frauen gewählt! Irre, was? Was für eine verkehrte Welt!

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